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Menschenrechte 2011

1. Juni 2011

Kohle trägt mehr zum Klimawandel bei als jeder andere fossile Brennstoff. Trotzdem erlebt Kohle zurzeit eine echte Renaissance. Abgebaut wird die Kohle unter anderem in Sibirien – unter lebensgefährlichen Umständen

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Bergwerk in Sibirien (Foto: DW)
Gefährlicher Arbeitsplatz: Bergwerk in SibirienBild: DW/Khan

Nowokusnezk, die größte Stadt im westsibirischen Kusbass, dem Zentrum der russischen Kohleindustrie. Eine dichte Nebelwand hängt über der Region. Kohlenstaub und Ruß verdunkeln die Luft. Hier lebt und arbeitet der Bergmann Michail Hejfetz. Am Stadtrand wohnt er mit seiner Familie in einem tristen Mehrparteienhaus. Michail wohnt bescheiden, in einer kleinen Zweizimmer-Wohnung für drei Personen. Obwohl er meist 50 Stunden in der Woche arbeitet und nach der höchsten Lohngruppe seiner Firma bezahlt wird, verdient er nur 30.000 Rubel im Monat, also rund 750 Euro. Das reicht gerade mal für Kleidung und Lebensmittel, sagt Michail.

Bergmann Michail Hejfetz (Foto: DW)
Bergmann Michail HejfetzBild: DW/Khan

Seine kleine Tochter ist elf Jahre alt und spielt gerne Schach. Das habe er früher auch gerne gemacht, erzählt Michail weiter. Aber wenn er von der Arbeit im Bergwerk "Abaschweskaja" nach Hause komme, sei er meist sehr müde von der harten Arbeit. Außerdem - geistige Fitness sei dort ohnehin nicht gefragt. "Es kann passieren, dass ein Abteilungsleiter kommt, sich alles anschaut und anordnet, die Mine zu befestigen. Wir sagen ihm, dass die Pläne solche Balken nicht vorsehen. Aber er besteht darauf", erzählt Michail. Dann könne noch ein anderer Boss kommen und anordnen, weitere Balken zu setzen. Das sei aber nicht seine Aufgabe, sagt Michail. "Ich muss die Kohle abbauen, aber man bekommt trotzdem die Anordnung, die Mine zu befestigen. Schließlich haben wir dann all diese Befestigungen, und wenn an anderer Stelle etwas zusammenbricht, dann wird trotzdem der Arbeiter dafür verantwortlich gemacht."

Gefährliche Geschäfte

Gemeinsam mit seinen Kumpel muss Michail vor allem die Kohle aus dem Felsen schlagen. Die Bergwerksleitung handelt wie die vieler anderer Gruben in der Umgebung: Alle setzen auf ein schnelles Geschäft, die Minen sind in schlechtem Zustand, mit Akkordlöhnen werden die Arbeiter zur Leistung angetrieben. Deshalb kommt es immer wieder zu Verletzungen. Der ständige Staub in der Atemluft verursacht zahlreiche Krankheiten. Viele Bergleute sind chronisch erschöpft.

Eigentlich müsste immer eine komplette Brigade diese Arbeit machen, sagt Michail, aber oft seien sie weniger. Es fehle an Mitarbeitern und es gebe keinen Nachwuchs mehr. Ein junger Mann bekäme heute keine 30.000 Rubel mehr. Man gebe ihm höchstens 15.000, sagt Michail. "Und wie soll man davon leben? Wohnungen haben sie keine, also muss man eine Hypothek aufnehmen." Die Hypothek koste dann 10.000 Rubel im Momant und so bleibe kaum noch Geld zum leben. "Kann man Kinder bekommen, wenn die Frau nicht arbeitet und ein junger Bergmann nur 15.000 Rubel erhält? Deswegen geht niemand mehr ins Bergwerk arbeiten. Es ist besser, als Wachmann oder Spediteur zu arbeiten."

Portrait von Roman Abramowitsch (Foto: dpa)
Verdient an der Kohle: Roman AbramowitschBild: picture alliance / dpa

Aber auch da gibt es keine Jobs, wenn die Bergwerke nicht arbeiten. Sie sind die wichtigen, einzigen großen Arbeitgeber im Kusbass. Unter ihnen auch Oligarchen, die Superreichen, die im neuen Russland ihr Geld gemacht haben. Wie Roman Abramowitsch, zu dessen Imperium nicht nur der Londoner Fußballverein FC Chelsea, sondern dem auch Teile der Evraz Group gehören, die wiederum Groß-Aktionär der Grube "Raspadskaja" ist. Dort war es im vergangenen Jahr zu einer Methanexplosion gekommen, 91 Bergleute starben.

Viele Arbeiter seien mehr oder weniger gezwungen ihr Leben zu riskieren, erzählt Michail, weil sie ständig nach Wegen suchten, mit dem geringen Lohn zu überleben. So sei es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei der Explosion im Bergwerk "Raspadskaja" am 9. Mai 2010 gewesen. Bergleute hätten die Messgeräte für die Methan-Konzentration manipuliert, um den Leistungslohn nicht zu verlieren. Der werde nur bei Planerfüllung gezahlt. "Ich habe selbst viele Male die Geräte betrogen, um die Messwerte zu senken", sagt Michail. "Ich kenne da viele Möglichkeiten: Man kann die Sensoren mit Stoff umwickeln, man kann aber auch das Gerät einfach nur auf die Seite legen, damit der Zeiger unter dem eigenen Gewicht nach unten fällt."

Proteste für bessere Arbeitsbedingungen

Bergwerk Raspadskaja im Kemerowo-Gebiet Russland (Foto: DW)
Bergwerk Raspadskaja im Kemerowo-GebietBild: DW/Khan

Nach dem Unglück in "Raspadskaja", einem von vielen in den vergangenen Jahren, hatten sich mehr als 2000 Bergleute und ihre Angehörigen spontan zu einer Protestdemonstration getroffen, um eine Reform des Arbeits- und Lohnsystems zu erreichen. Schließlich hatte Premier Putin medienwirksam vor laufenden Kameras die Bergwerksleitung zum Rücktritt gedrängt. Die Bergwerksunternehmen hatte er aufgefordert, die Lohnbestandteile zu ändern: mindestens 70 Prozent müsse das Grundgehalt betragen, es dürfe eben nicht überwiegend aus Prämien, Zuschüssen und Gefahrenzulagen bestehen.

Den Wegfall von Gefahrenzulagen fordert im fernen Moskau auch der Vertreter der internationalen Arbeitsorganisation, ILO, Viking Husberg. "Wenn ein Unternehmen für Gefahren zahlt, kauft es sich aus der Verantwortung für seine Arbeiter los. Stattdessen müsste es viel mehr in die Sicherheit investieren, um nicht zahlen zu müssen. Nach Einschätzungen der ILO wäre dies auf Dauer billiger, als lediglich Gefahrenzulagen zu zahlen." Die ILO sei gegen das System der Entschädigungszahlung, erklärt Husberg.

Strengere Kontrollen

Immerhin: Seit dem jüngsten Unglück ändert sich was - auch an Michails Arbeitsplatz im Bergwerk "Abaschewskaja". "Jetzt sind viel mehr Geräte aufgestellt worden und es ist schwieriger zu mogeln. Sie sind alle mit einer Schaltzentrale verbunden. Es reicht, dass nur ein Sensor erhöhte Werte anzeigt, um die Arbeit in der Mine zu stoppen", sagt Michail. Wenn das passiert, wird der ohnehin knappe Monatslohn allerdings immer noch reduziert.

Schichtwechsel in einem Bergwerk in Sibirien (Foto: DW)
Bergmänner hoffen auf bessere ArbeitsbedingungenBild: DW/Khan

Im Unglücksbergwerk "Raspadskaja" werden die Bergleute inzwischen besser bezahlt - für den Wiederaufbau. Allerdings fürchten sie, dass auch ihre Löhne wieder sinken, wenn die Mine ihren gewohnten Betrieb wieder aufnimmt. Denn ein Tarifvertrag sei bis bislang nicht abgeschlossen worden.

Michail Heifetz und viele Bergleute im Kusbass fragen sich nun, wie es weiter geht. Immerhin: Die Politik hat inzwischen gehandelt und ILO-Vertreter Husberg sieht die Grundlagen für Verbesserungen geschaffen. "Alle drei großen Konventionen zur Organisation der Arbeit von Bergleuten sind von Russland unterzeichnet und alles sollte in Ordnung sein, aber das steht so bislang nur auf dem Papier." Wann und wie die Unternehmen Verbesserungen umsetzen wollen, sagen sie nicht. Presseanfragen lehnen die Leiter der Bergwerke grundsätzlich ab. Das Gebäude der Sibirischen Kohleenergie-Gesellschaft darf mit einer Foto-Kamera nicht einmal betreten werden. Und auf dem Gelände der Gesellschaft Juschkusbassugol, Eigentümer des Bergwerks "Abaschewskaja", sorgt ein bewaffneter Sicherheitsdienst dafür, dass niemand erfährt, wie die Arbeit des Bergmanns Michail Heifetz vor Ort und in der Zukunft aussieht.

Autor: Artjem Khan
Redaktion: Christine Harjes