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"Gefährliche Machtdemonstration"

24. November 2010

Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel nach dem nordkoreanischen Granatenbeschuss auf eine südkoreanische Insel sind Thema auf den Kommentarseiten der deutschen Tageszeitungen.

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Titelseiten deutscher Tageszeitungen zur Eskalation auf der koreanischen Halbinsel (Foto: DW)
Bild: dw

Süddeutsche Zeitung, München:

"Lange wird das nicht mehr gutgehen. Die Südkoreaner empfinden die Angriffe aus dem Norden - seien sie auf ein Kriegsschiff gerichtet oder wie jetzt auf eine Insel - nicht nur als Nadelstiche. (...) Die Gefahr einer Eskalation bis hin zum Krieg zwischen den beiden Koreas ist hoch, weshalb es immer wieder lohnt, auf das mutmaßliche Motiv hinter den Provokationen aus dem Norden hinzuweisen. Zunächst führt Pjöngjang seine neueste Nuklearanlage vor, dann fliegen die Granaten - das Diktatoren-Reich zeigt seine Kraft und will seinen Gegnern offenbar Zugeständnisse abtrotzen: mehr Lebensmittel, mehr Treibstoff, weniger nervtötende Verhandlungen über das Nuklearprogramm, eine ungestörte Machtübergabe im Kim-Clan. Nordkoreas Aggression dient dem Eigenschutz. Das Land will nicht erobern, es will seinen Kollaps verhindern."

Frankfurter Allgemeine Zeitung:

"Nordkorea bestreitet bis heute, dass es 1950 den Koreakrieg begonnen hat. Deshalb sollte man die Behauptung Pjöngjangs, am Dienstag habe der Süden zuerst geschossen, nicht ernst nehmen. Ernst ist allerdings die Lage auf der koreanischen Halbinsel, auch wenn der südkoreanische Präsident gesagt hat, seine Streitkräfte sollten eine Eskalation vermeiden. Das war vor allem deshalb vernünftig, weil das Regime im Norden offensichtlich durch nichts von seiner Überzeugung abzubringen ist, die Vereinigten Staaten und Südkorea hätten nichts anderes im Sinn als den Sturz Kim Jong-ils und seiner Anhänger. Ob es Lee Myung-bak gelingt, mit seiner Botschaft durchzudringen, ist eines der großen Rätsel in diesem Konflikt. Die Präsentation einer Uran-Anreicherungsanlage vor einigen Tagen konnte noch als Versuch Nordkoreas gewertet werden, Amerika und andere nach bekanntem Muster wieder an den Verhandlungstisch zu zwingen; doch die militärische Provokation passt nicht in dieses Bild. Eine Führung, die so etwas zulässt, kann eigentlich kein verlässlicher Gesprächspartner sein."

Die Welt, Berlin:

"In der Vergangenheit waren Provokationen Pjöngjangs immer auch der Versuch, auf sich aufmerksam zu machen und die Amerikaner zu Verhandlungen über das Atomprogramm zu drängen. Auch jetzt will Nordkorea eine Wiederaufnahme der Sechs-Parteien-Gespräche. Der Angriff scheint eine direkte Reaktion zu sein auf den US-Sondergesandten Stephen Bosworth. Der hatte am Dienstag in Japan gesagt, es werde nicht zu einer Neuauflage der Sechs-Parteien-Gespräche kommen angesichts der Enthüllungen über eine neue nordkoreanische Urananreicherungsanlage. Nun erhöht Pjöngjang eben seinen Quälgeist-Faktor, um die Amerikaner zu Verhandlungen zu zwingen - und zwar nach seinen, Nordkoreas Bedingungen. Das hat jedoch in der Vergangenheit selten funktioniert, und man fragt sich, warum die Nordkoreaner glauben, es könnte diesmal funktionieren. Die Obama-Regierung ist gut beraten, solchen Erpressungsversuchen nicht nachzugeben. Wer militärische Aggressionen belohnt, wird nur weitere militärische Aggressionen ernten."

die tageszeitung, Berlin:

"Nordkoreas Machthaber Kim Jong Il hat es noch einmal geschafft, weltweit auf sich aufmerksam zu machen. Erst vor ein paar Tagen schockierten seine Techniker die Öffentlichkeit mit der Enthüllung einer nagelneuen Urananreicherungsfabrik, in der sowohl Material für Atombomben als auch für zivile Atomkraftwerke produziert werden kann. Jetzt ließ er seine Armee auf eine von Südkoreanern bewohnte Insel feuern. (...) Es ist ungeheuerlich und unverantwortlich, dass die wichtigsten Mächte im Poker um die Zukunft Nordkoreas, China und die USA, aber auch Russland, offenbar weiterhin auf Zeit setzen, weil sie sich nicht darauf einigen können, wie die Zukunft der Koreanischen Halbinsel aussehen soll, wenn sich das Regime der Kims einmal dem Ende entgegenneigt."

Rheinische Post, Düsseldorf:

"Warum spielt das gespenstische Regime in Pjöngjang derart leichtsinnig mit dem Feuer? Innenpolitische Gründe sind denkbar: Vielleicht will Diktator Kim Jong Il mit dieser Machtdemonstration seinem Sohn den Weg als Nachfolger ebnen. (...) Der gestrige Übergriff, dem im März die Versenkung einer südkoreanischen Korvette vorausging, könnte aber auch bloße Erpressung sein: Der ausgeblutete Norden steht erneut vor einer Hungerkatastrophe. Will er so internationale Hilfe erzwingen? Die Chinesen sind die Einzigen, die das unberechenbare Regime mäßigen können. (...) Gefragt sind auch die USA: Sie müssen ihren Partner Südkorea beruhigen. Und die internationale Gemeinschaft hat zu entscheiden, wie sie die Zeitbombe Nordkorea entschärfen will. Sie wird den Druck trotz aller Risiken verschärfen müssen."

Stuttgarter Zeitung:

"Zwar haben die USA angekündigt, sich nicht erpressen lassen zu wollen, doch je offensiver Nordkorea auftritt, umso mehr gerät Washington unter Druck, seine harte Position aufzugeben. Vor allem die Südkoreaner, aber auch die Japaner haben Angst vor einer weiteren atomaren Aufrüstung des Kim-Regimes. Allerdings gibt es nur zwei Möglichkeiten, dies zu verhindern. Die eine Strategie bestünde darin, den Kollaps des Systems herbeizuführen. Die andere wäre die erneute Einbindung Nordkoreas. Denn Pjöngjangs Aggressivität ist allemal leichter zu kontrollieren, wenn die Kims nicht auf Konfrontationskurs sind, sondern sich von Verhandlungen Vorteile erhoffen können."

zusammengestellt von Esther Broders
Redaktion: Nicola Reyk