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Gefährlicher Hautschmuck

9. Februar 2012

Farbe geht unter die Haut: Beim Tätowieren gelangen auch unerforschte Substanzen in den Körper. Experten befürchten Schäden für die Gesundheit, die deutsche Politik will handeln.

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Aufbringen eines Tattoos (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/Eibner-Presse

Tattoos sind mittlerweile keine Seltenheit mehr. In Deutschland haben sich Schätzungen zufolge schon zehn bis zwanzig Prozent der Bevölkerung tätowieren lassen, und vor allem bei jungen Menschen scheint der Trend zum permanenten Körperschmuck ungebrochen. Noch vor wenigen Jahrzehnten dachte man bei Tattoos noch an Seeleute oder Gefängnisinsassen, heute trägt sogar die Gattin des deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff ein Tattoo auf dem Oberarm. Diese Mode ist inzwischen in allen gesellschaftlichen Schichten verbreitet.

Doch offenbar machen sich die Wenigsten Gedanken darüber, was genau ihnen da unter die Haut gespritzt wird. Die Farb-Pigmente werden mit Nadeln in lebendes Hautgewebe gestoßen. Experten warnen deshalb schon lange vor möglichen Folgen für die Gesundheit. Aus dem Bundesland Baden-Württemberg kommt jetzt der Vorstoß, zunächst das deutsche und später auch das europäische Recht zu verschärfen.

Die geltenden Gesetze reichen nicht aus

Birgit Bienzle arbeitet für das baden-württembergische Verbraucherschutzministerium an diesem Vorhaben. Sie betont, dass Kosmetik-Artikel momentan rechtlich besser kontrolliert würden als Tätowierfarbe. Und das, obwohl Make-up nur vorübergehend auf die Haut aufgetragen wird, Tattoo-Farbe aber üblicherweise lebenslang im Hautgewebe steckt. Deshalb müssten die Regelungen schnell angepasst werden.

In Deutschland ist seit 2009 die "Nationale Tätowiermittelverordnung" in Kraft. Birgit Bienzle zufolge basiert diese Verordnung aber zum Teil auf veralteten Daten des Europarates. Mittlerweile gebe es neue Empfehlungen aus Europa, doch selbst die gehen dem Verbraucherschutzministerium nicht weit genug: "Diese Empfehlungen vom Europarat reichen nicht aus, weil sie nur in ganz wenigen Mitgliedsstaaten umgesetzt sind", meint Bienzle im Interview mit der Deutschen Welle.

Hersteller sollen künftig für Qualität sorgen

Die stellvertretende Referatsleiterin für Lebensmittelüberwachung in Baden-Württemberg fordert deshalb, dass die Hersteller solcher Farben in die Pflicht genommen werden: "Kurzfristig sollten wir die nationale Tätowiermittelverordnung nachbessern, gleichzeitig wird der Bund gebeten, sich für europaweite Vorschriften einzusetzen." Denn in Europa gibt es bisher nur Empfehlungen, keine Gesetze für Tätowier-Farben.

Auch der Bundesrat befasste sich am Freitag (10.02.2012) mit dem Thema. Die Hersteller sollen demnach den Nachweis erbringen, dass ihre Tätowiermittel gesundheitlich unbedenklich sind. Die Entschließung wurde an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Das Bundesamt für Risikobewertung überprüft außerdem in diesen Wochen seine bisherigen Stellungnahmen zur Tätowierfarbe. Auch eine Positivliste ist im Gespräch, die alle unbedenklichen Stoffe auflistet. Experten gehen allerdings davon aus, dass die Erstellung einer solchen Liste noch Jahre dauern kann. Viele Forschungen zum Thema stehen noch am Anfang.

Autolack als Tattoo-Farbe

Untersuchungsämter in Freiburg und Karlsruhe hatten schon 2010 Alarm geschlagen. Von 38 untersuchten Tätowierfarben enthielt ein Drittel nicht erlaubte Substanzen. Die Hälfte hiervon wurde als gesundheitsschädlich eingestuft, darunter aromatische Amine, Nitrosamine und Phenol, die zum Teil auch als krebserregend eingestuft werden.

Außerdem wurden Farbstoffe verwendet, die für völlig andere Bereiche entwickelt wurden. Birgit Bienzle nennt das Beispiel Farrari-Rot: "Aus dem Namen geht schon hervor, wofür die Farbe eigentlich entwickelt wurde, nämlich als Autolack." Genau dieses Farbpigment aber findet man in Tätowierfarbe.

Medizinische Studien kamen darüber hinaus zum Ergebnis, dass sich Bestandteile der Tattoo-Farbe in den Lymphknoten ablagern können. "Das Lymphsystem ist ein sehr wichtiges System im menschlichen Körper, auch für die Entgiftung", erklärt Birgit Bienzle. Wenn dort Stoffe nachgewiesen werden könnten, dann werde darauf geschlossen, dass sie nicht ungefährlich sind. Auch beim Entfernen von Tattoos durch Laser gebe es dieses Problem. Was mit den durch Laserlicht zerstörten Farbpigmenten in der Haut genau passiert, könne noch niemand genau sagen." Einen konkreten Nachweis, dass durch Tätowierfarben bereits Krebs ausgelöst wurde, gibt es laut Bienzle allerdings nicht.

Vom Nischenprodukt zur Massenware

Experten fragen sich nun, wie die Hersteller solcher Produkte in die Pflicht genommen werden können. Die Geschichte des Tätowierens erschwert die Umsetzung: Tattoos zu stechen war lange Zeit eine Nischenbranche, die weitgehend unbeobachtet blieb. Auch die Farben kamen nicht von spezialisierten Firmen, sondern von diversen Zulieferern. Seriöse große Firmen waren lange Zeit nicht im Boot, und auch heute gibt es immer noch Hersteller, die keiner großen Kontrolle unterliegen. Tätowier-Experten nennen in diesem Zusammenhang das bedeutende Herkunftsland China, die Produktion soll sich stark in diese Region verschoben haben.

Dabei wünschen sich nicht nur Tattoo-Fans genauere Regelungen, sondern auch die Händler und Tattoo-Studios. Andi arbeitet für einen Großhändler im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Der selbst von oben bis unten tätowierte Mann sieht den Ruf der Händler und Studios in Gefahr: "Es gibt nichts Schlimmeres als schlechten Leumund oder schlechte Mund-zu-Mund-Propaganda. Wenn sich bei Kunden etwas entzündet hat, dann macht das ganz schnell die Runde", meint er gegenüber DW.DE.

Ob die Farbstoff-Hersteller sich aber wirklich dazu verpflichten lassen, alle politischen Wünsche auch umzusetzen, bezweifeln Experten. Viele könnten sich darauf berufen, dass ihre Farben nicht dazu gedacht waren, unter die Haut gespritzt zu werden. Untersuchungen zur Gesundheitsverträglichkeit sind teuer und langwierig, und so viel Geld wie die Kosmetik-Industrie hat die Tätowierprodukt-Industrie nicht zur Verfügung.

Autor: Klaus Jansen
Redaktion: Judith Hartl

Dermatologe Walter Trettel entfernt in Hamburg die Tätowierung einer Patientin (Foto: dpa)
Ein Dermatologe entfernt eine TätowierungBild: picture alliance/dpa
Eine Tätowierstube in Hamburg (Foto: Dirk Schneider)
Eine Tätowierstube in HamburgBild: DW
Jose Daniel Galindo, 22, mit Gesichtstätowierung (Foto: AP)
Gesichtstätowierung in GuatemalaBild: AP
Die Frau von Bundespräsident Christian Wulff trägt ihre Tätowierung offen zur Schau (Foto: dpa)
Bettina Wulff will ihre Tätowierung nicht versteckenBild: picture-alliance/dpa