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Gegen die Macht der Märkte

Dirk Kaufmann27. Mai 2012

Die Welt wird von den Finanzmärkten regiert, die gewählten Regierungen stolpern ihnen hinterher. Doch es gibt eine kleine Organisation mit Sitz in Brüssel, die das ändern will: Finance Watch.

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Die Euro-Skulptur vor der Zentrale der Europäischen Zentralbank (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Von einem kleinen Büro in Brüssel aus, direkt gegenüber dem Europäischen Parlament, werfen sechs Mitarbeiter der unabhängigen Organisation Finance Watch ein äußerst kritisches Auge auf die Akteure an den Finanzmärkten.

Vor allem aber überlegen sie, wie sie die Spieler an diesen Märkten, die Banken, Versicherungen und Hedgefonds, dazu verpflichten können, wieder das zu tun, wofür sie geschaffen worden sind. Der Generalsekretär von Finance Watch, Thierry Philipponat, formuliert das griffig und kurz so: "Wir brauchen Banken, die die Wirtschaft mit Geld versorgen. Wir brauchen keine Banken, die auf alles wetten, was sich bewegt."

Um das zu erreichen, betreibt Finance Watch selbst Lobbyarbeit und macht Vorschläge, wie sich die Finanzmärkte kontrollieren lassen. Denn Banken und Versicherungen nehmen bereits seit Jahrzehnten Einfluss auf die Politik und haben vieles erreicht, das ihre Geschäfte dereguliert. Dem wollte Finance Watch etwas entgegensetzen. Im Juni 2011 hat die Organisation ihre Arbeit in Brüssel aufgenommen.

Ausgewogene Einflussnahme

Sven Giegold, Abgeordneter der Grünen im Europaparlament und dort im Ausschuss für Wirtschaft und Währung tätig, gehört zu den Mitbegründern von Finance Watch. Wie eine ganze Reihe seiner Kollegen, so war auch er es leid, immer nur die Argumente einer Seite zu hören, wenn sich sein Ausschuss mit der Regulierung des Finanzmärkte beschäftigte. Lobbyismus sei ja nicht grundsätzlich verwerflich, sagt Giegold gegenüber der Deutschen Welle, aber er müsse eben ausgewogen sein: "Die Einseitigkeit des Lobbyismus ist das eigentliche Problem."

Für diese Ausgewogenheit sollte eine unabhängige Organisation sorgen, die weder von den Finanzinstituten bezahlt wird noch einer politischen Partei verpflichtet ist. Aus diesem Gedanken entstand im vergangenen Jahr Finance Watch, eine private NGO (Nichtregierungsorganisation), die sich mit Spenden finanziert - wahrscheinlich die erste NGO, wie Sven Giegold feststellt, "die parteiübergreifend aus einem Parlament heraus gegründet wurde".

Abstimmung im EU-Parlament (Foto: Reuters)
Die EU-Parlamentarier treffen wichtige Entscheidungen und brauchen gute BeratungBild: picture-alliance/dpa

Der Journalist und Finanzexperte Werner Rügemer begrüßt, dass es eine eigenständige, private Interessenvertretung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt. "Das Wichtigste heute ist", so Rügemer im Gespräch mit der Deutschen Welle, "von der Finanzindustrie und ihrem Einfluss auf die Politik, insbesondere in Brüssel, unabhängig zu sein."

Die Allmacht der Global Player beschränken

Werner Rügemer sieht die Arbeit von Finance Watch vor allem als Gegengewicht zur Macht der Finanzinstitute. Allein durch ihre Existenz helfe sie, "die Macht sowohl der Lobby der Finanzindustrie als auch die Finanzindustrie selbst einzuschränken".

Sven Giegold kann diese Beobachtung aus eigener Erfahrung als Parlamentarier bestätigen. Finance Watch habe einen eigenen Regulierungsvorschlag für Ratingagenturen vorgelegt und versucht, "die Macht der Ratingagenturen in der Finanzmarktgesetzgebung systematisch zu schwächen". Außerdem hat die NGO Vorschläge gemacht, wie man die Börsenstrukturen verändern kann und hat ein Modell vorgestellt, um Spekulationen mit Nahrungsmitteln zu verhindern.

Die Anzeigetafel des Deutschen Aktienindex DAX (Foto: dapd)
Die Regulierung des Finanzmarktes ist ein schwieriges Feld...Bild: dapd

Europas Mühlen mahlen langsam

Finance Watch ist bereits jetzt ein Erfolg, meint Werner Rügemer. Wobei er aber süffisant hinzufügt, es sei schon eine Leistung, "dass es eine solche Nichtregierungsorganisation überhaupt gibt".

Sven Giegold sieht bereits Resultate in der täglichen Arbeit. Der Grünen-Politiker hat festgestellt, dass sich durch Finance Watch "das Klima bei vielen unserer Anhörungen verändert hat". Nun würden "Positionen vertreten, die man vorher dort nicht gehört hat". Dass außerhalb des EU-Parlamentes bisher kaum jemand von der Arbeit von Finance Watch gehört hat, sei dagegen leicht zu erklären: In Brüssel trabe der Amtsschimmel eben sehr langsam. Bis ein Gesetz im EU-Parlament verabschiedet wird, vergehen nämlich durchschnittlich zwei Jahre.

Boersenmakler stossen mit Champagner an. (Foto: ap)
... denn Entscheidungen, die an der Börse für Hochstimmung sorgen...Bild: AP

Von Brüssel auf die Straßen Europas

Noch mehr Organisationen wie Finance Watch wünscht sich Werner Rügemer: unabhängige Finanzberater in allen Parlamenten, nicht nur bei der EU in Brüssel, sondern auch in den anderen 27 Mitgliedsstaaten der Union. Aber die Arbeit der NGO müsse auf eine breitere Basis gestellt werden, müsse auch von Kreisen außerhalb der Parlamente begleitet und unterstützt werden. Es fehle am "Druck der Straße", stellt Rügemer fest. Erst wenn die Regierungen der Mitgliedsstaaten unter Druck gerieten, würden die "Vorschläge von Finance Watch an Wirkung gewinnen".

Der Abgeordnete Sven Giegold ist da etwas zurückhaltender. Aber auch er weiß, dass die Diskussion über die Regulierung der Finanzmärkte nicht allein im Parlament geführt werden kann. Schließlich sei das ein Projekt, das die ganze Gesellschaft angeht. Und der Erfolg von Finance Watch, so Giegold, "hängt davon ab, wie sehr die Öffentlichkeit diese Ideen unterstützt".

Arbeitslose vor einem Jobcenter in Alcala de Henares nahe Madrid / Spanien (Foto: picture-alliance/dpa)
... können anderswo Menschen in die Arbeitslosigkeit treibenBild: picture alliance/dpa