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Gegen viele Widerstände

Mathias von Lieben
8. September 2017

Als erste Frau leitet Bibiana Steinhaus am Sonntag ein Spiel in der Fußball-Bundesliga der Männer. Darauf hat die Schiedsrichterin lange gewartet. Auf dem Weg dahin musste sie einige Hürden überwinden. Ein Porträt.

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Deutschland Fußball Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus
Bild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

"Das ist ein Meilenstein für die Schiedsrichterinnen. Ich hoffe, dass das zur Normalität wird", sagte Bibiana Steinhaus bei ihrem ersten Besuch im ZDF-Sportstudio am 22. September 2007. Die damals 28-Jährige hatte einen Tag zuvor Geschichte im deutschen Fußball geschrieben. Als erste Frau leitete sie ein deutsches Profi-Fußballspiel: die Zweitligapartie zwischen dem SC Paderborn und der TSG Hoffenheim. Wochenlang hatten die Medien darüber berichtet. Und nun also eine Einladung ins Sportstudio. Den Fragen von Moderatorin Kathrin Müller-Hohenstein antwortet Steinhaus auffällig entspannt, grinst viel, spricht sehr ruhig und eloquent. Willkommen auf der großen Fußball-Bühne.

Fast genau zehn Jahre danach, am 19. August 2017, hat Bibiana Steinhaus wieder eine Einladung vom ZDF-Sportstudio erhalten. Und wieder ist der Grund eine Premiere: Als erste Schiedsrichterin wird sie ein Spiel in der ersten Bundesliga leiten - zwischen Hertha BSC Berlin und Werder Bremen. Als sich die Elitekommission der DFB-Schiedsrichterabteilung im Sommer für das Debüt von Steinhaus entschied, hatte sie schon gar nicht mehr damit gerechnet. Doch dann: ein Anruf von DFB-Chef-Schiedsrichter Lutz Michael Fröhlich: "Ich hörte seine Worte am Telefon, alleine der Glaube fehlte mir ein bisschen. Es war eine echte Achterbahnfahrt der Gefühle", sagt sie darüber. Die Achterbahnfahrt ist beendet - und Steinhaus an ihrem Ziel angekommen.

Urs Meier, Fußball Schiedsrichter 2004
Der ehemalige Schweizer Schiedsrichter, Urs Meier, hat den Werdegang von Bibiana Steinhaus jahrelang verfolgtBild: picture-alliance/Pressefoto Ulmer/A. Schaad

"Die erste Bundesliga wird eine ganz andere Hausnummer als die zweite Bundesliga sein. Sie steht jetzt auf dem Mount Everest, da gibt es keinen Schutz mehr und es wird windig und eisig", sagt der ehemalige FIFA-Schiedsrichter Urs Meier im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er kennt Bibiana Steinhaus schon lange und hat ihren Werdegang im deutschen Schiedsrichterwesen über die Jahre verfolgt. "Sie wird von allen - Medien, Fans, Spielern - viel kritischer betrachtet werden als ihre männlichen Kollegen. Aber darauf ist sie vorbereitet." Vorbereitet scheint Steinhaus in der Tat. Schließlich hat sie jahrelang für einen Bundesliga-Einsatz gekämpft.

Mit 14 Jahren meldet sich bei ihrem Fußball-Heimatverein SV Bad Lauterberg an und probiert sich als Verteidigerin. "Ich war ziemlich talentfrei", sagt sie heute. Nach dieser frühen Einsicht sowie dem Werben des damaligen Schiedsrichter-Obmanns des Vereins, entschließt sie sich dazu, es als Schiedsrichterin zu versuchen. Anfangs leitet sie nur Frauen-Amateurspiele in den umliegenden Dörfern. Schnell pfeift sie ein paar Ligen höher, der DFB wird auf sie aufmerksam. Parallel zu ihrem rasanten Aufstieg wächst aber auch der Widerstand in der patriarchalischen Fußballbranche.

Widerstand aus der patriarchalischen Fußballbranche

"Frauen sollen Frauenspiele pfeifen. Zum Männerfußball gehören Männerschiedsrichter", sagt der Trainer des SV Babelsberg 03, Wolfgang Sandhowe, 2002 zu Steinhaus, die zu diesem Zeitpunkt mit 22 Jahren ein Spiel seiner Mannschaft in der Regionalliga pfiff. Steinhaus interessiert das nicht. "Sie war immer sehr positiv und locker im Umgang mit solchen Angelegenheiten", sagt Urs Meier. "Wenn man in den Gegenangriff geht oder in eine Opferrolle, dann verhärtet das die Fronten. Mit ihrer Art hat sie ihre Gegner eher geschwächt und alles richtig gemacht." Bis heute war Steinhaus bereits sechsmal deutsche Schiedsrichterin des Jahres, leitete insgesamt 80 Zweitliga-Spiele und ist seit 2009 bei internationalen Frauen-Turnieren im Einsatz - zuletzt bei der Frauen-EM in den Niederlanden.

Deutschland Fußball Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus
Kerim Demirbay sagt zu Steinhaus sinngemäß, dass Frauen im Männerfußball nichts zu suchen hättenBild: picture-alliance/Voelker/Eibner-Pressefoto

Völlig widerstandslos bleibt ihre Karriere danach allerdings nicht. Im Dezember 2015 stellt Steinhaus in einer Zweitligapartie Kerim Demirbay - damals ein Spieler von Fortuna Düsseldorf - vom Platz. Darauf hin sagt er sinngemäß zu ihr, dass Frauen im Männerfußball nichts zu suchen hätten. Sie schreibt einen Bericht, Demirbay wird für fünf Spiele gesperrt. In der ersten DFB-Pokalrunde in diesem Jahr öffnet Bayern-Profi Franck Ribéry vor der Ausführung eines Freistoßes die Schnürsenkel von Steinhaus. Respektlosen Sexismus sahen darin einige. Steinhaus lächelte: "Für mich hat es sich wie eine Willkommensgeste angefühlt. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er das mit einem Hintergedanken gemacht hat", sagt sie. Alles richtig gemacht, so der allgemeine Tenor.

Steinhaus hat so viel trainiert wie nie zuvor

Feedback für ihre Leistungen holt sich Steinhaus auch bei ihrem Lebensgefährten Howard Webb, dem ehemaligen englischen Spitzen-Referee. Beide verbindet nicht nur das Schiedsrichterwesen, sondern sie sind beide auch hauptberuflich Polizisten. Webb lebt in den USA, Steinhaus in Deutschland. In der Vorbereitung auf die Saison hat die heute 38-Jährige so akribisch trainiert wie nie zuvor. Sie will gewappnet sein. Auch für schlechte Phasen. Ihre Ausbildung zum Mentalcoach, die sie in den vergangenen beiden Jahren zusätzlich absolviert hat, hilft ihr, um sich selbst zu motivieren.

Zum Abschluss der Saison 2015/2016 war Steinhaus die notenbeste Schiedsrichterin der zweiten Liga. Für eine Berufung reichte es trotzdem nicht. Es heißt: Die beiden Entscheider Herbert Fandel und Hellmut Krug wollten keine Frauen in der Bundesliga. Erst als Lutz Michael Fröhlich die Elite-Kommission Ende 2016 übernimmt, klappt es für Bibiana Steinhaus. Urs Meier sagt: "Fröhlich hat dafür gesorgt, dass sie nominiert wird." Neben Fröhlich stellen sich auch Profis hinter Steinhaus. Nach vehementer Kritik an ihrer Bundesliga-Beförderung im Mai, ergreift der ehemalige BVB-Spieler Ilkay Gündogan über Twitter Partei für sie:

Gündogan setzte mit seinem Tweet auch das Thema Emanzipation und Gleichberechtigung auf die Agenda. Zwar behauptet Steinhaus selbst von sich, dass sie nie einen Emanzipationsweg beschreiten wollte. Doch der Süddeutschen Zeitung sagte sie im Mai: "Trotzdem muss ich mich damit auseinandersetzen. Denn um mich herum sind Menschen, für die das ein Thema ist." Der ehemalige Schiedsrichter Urs Meier geht noch einen Schritt weiter und sagt: "Sie kann vielleicht auch zeigen, dass sich Frauen sogar noch viel mehr durchsetzen können als Männer."

"Gehen wir mal davon aus, dass es noch ein zweites Spiel gibt"

Das glaubt auch Alexander Nouri, der Trainer von Werder Bremen: "Wir sind es von zu Hause gewohnt, nach der Pfeife einer Frau zu tanzen", sagt Nouri bei der Abschluss-Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Hertha BSC Berlin und fügt hinzu: "Im Ernst: Sie hat sich das verdient. Durch sehr gute Leistungen - und das ist am Ende entscheidend." Hoffenheim-Trainer Julian Nagelsmann freut sich auf Einsätze von Steinhaus: "Das Geschlecht an sich ist ja kein Qualitäts-Merkmal. Auch wenn wir Männer manchmal beim Autofahren hoffen, dass es so ist." So begrüßt die Männerbranche eine Schiedsrichterin.

Bibiana Steinhaus ist jedenfalls endlich an ihrem Ziel angekommen - der ersten Fußball-Bundesliga. Sie weiß, dass sie von nun an noch mehr unter Beobachtung steht und gegen noch mehr Widerstände ankämpfen muss. Vielen gilt sie von nun an aber auch als Kämpferin für eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Sie nimmt all das gelassen: "Mal gucken, wie es läuft. Man muss sich dem Wettbewerb stellen. Das ist überall so. Gehen wir mal davon aus, es gibt noch ein zweites Spiel." Dass es ein zweites Spiel in der Bundesliga geben wird, ist realistisch. Dass Steinhaus irgendwann einmal sogar internationale Spiele im Männer-Fußball leiten wird, daran will Urs Meier nicht glauben. Falls doch, wird sie ganz bestimmt ein drittes Mal ins Sportstudio eingeladen werden.