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Angst vor Wahlfälschung

Viktoria Kleber30. Mai 2012

Während die beiden verbliebenen Präsidentschaftskandidaten um Stimmen werben, protestieren die Aktivisten wieder auf dem Tahrir-Platz in der Hauptstadt Ägyptens. Für sie steht fest: Die Wahlen sind nicht demokratisch.

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Demonstranten mit durchgestrichenen Bildern des Kandidaten Schafik (Foto: dapd)
Demonstranten mit durchgestrichenen Bildern des Kandidaten SchafikBild: dapd

Im Hauptquartier von Mohammed Mursi in Kairos Stadtzentrum ist man stolz auf den Präsidentschaftskandidaten. In kleinen Grüppchen stehen seine Wahlkämpfer in der großen Eingangshalle und diskutieren, welcher Teil seiner Rede am brillantesten war. Und in der Tat war am Dienstag (29.05.2012) ein Mohammed Mursi vor die in einem Kairoer Luxushotel versammelte Presse getreten, wie ihn Ägypten noch nicht kannte: rhetorisch gewandt und mitreißend, würdevoll und doch bescheiden. Gewöhnlich wird dem Präsidentschaftskandidaten der Muslimbrüder das Charisma eines Esels nachgesagt. Das ist nun anders.

Mohammed Mursi hat auch Großes vor: Im zweiten Wahlgang muss er nicht mehr nur die eigenen Reihen überzeugen, sondern auch die drei Viertel der Wähler, die nicht für ihn gestimmt haben. Die Vision seiner Präsidentschaft gleicht einem Wunschzettel, auf dem jeder Ägypter ein paar Worte hinzufügen durfte: Er will den Tourismus wieder ankurbeln und fordert einen Mindestlohn, er will es den Frauen selbst überlassen, ob sie Kopftuch tragen oder nicht. Er wendet sich an Behinderte, Jugendliche und sichert den koptischen Christen Schlüsselpositionen in seinem Kabinett zu. Und vor allem will er seine Macht teilen. "Ich will ein Präsident aller Ägypter sein", sagt Mursi, "deshalb sollen Menschen mit verschiedenem politischen Hintergrund mit mir zusammenarbeiten."

Mohammed Mursi bei einem Wahlkampfauftritt (Foto: dpa)
Mohammed Mursi bei einem WahlkampfauftrittBild: picture-alliance/dpa

Kein Vertrauen in die Muslimbrüder

Mohammed Mursi macht große Versprechen, er ist vor allem beim säkularen, liberalen Lager und bei den Revolutionären auf Stimmenfang. Er verhandelt mit den Präsidentschaftskandidaten Hamdien Sabbahi und Abdel Moneim Abul Futuh, die schon aus dem Rennen sind, und versucht neue Allianzen zu schmieden - bislang ohne Erfolg. Doch Ende der Woche, so munkelt man in der Zentrale des Hauptquartiers, lägen offizielle Bündnisse auf dem Tisch.

Doch die Revolutionäre kann er damit nicht beruhigen. Für viele sind die Muslimbrüder, genau wie Schafik, unwählbar. Auch für die Aktivistin Rehab el-Adham. Mursis Rede findet sie eine Zumutung. "Die Muslimbrüder haben so viele Fehler gemacht in den letzten anderthalb Jahren und ich vertraue ihnen nicht", sagt sie. "Mursi war nicht ehrlich."

Die Kandidaten Mohammed Mursi (l.) und Ahmed Schafik (Foto: dpa)
Die Kandidaten Mohammed Mursi (l.) und Ahmed SchafikBild: picture-alliance/dpa

Auf der Straße gegen Wahlfälschung

Demonstrationen auf der Straße und auf dem Tahrir-Platz sind Rehab el-Adhams Antwort auf die Wahl. Seit Montagabend, als die Wahlkommission die Vorwürfe der Wahlfälschung zurückwies, sammeln sich Aktivisten in Kairo, Alexandria und Suez. Sie wollen das Wahlergebnis nicht anerkennen, zu viele Ungereimtheiten können nachgewiesen werden. Zum einen haben 900.000 Soldaten ihre Stimme abgegeben, obwohl sie laut Gesetz von der Wahl ausgeschlossen sind. Zum anderen sind fünf Millionen Wähler mehr auf Wählerlisten aufgetaucht als noch vor vier Monaten bei den Parlamentswahlen. Die Aktivisten sind sich sicher: Das sind die Stimmen, die Schafik in die zweite Runde katapultiert haben.

Seitdem gibt es Märsche durch Kairos Innenstadt, es wird wieder demonstriert und auch das Hauptquartier von Schafik ging in Flammen auf. Ihm selbst kommt das wohl zugute, sagen Aktivisten auf dem Tahrir. Doch Mustafa Mohammed vom Wahlkampfteam Schafik ist sich sicher, dass es Demonstranten vom Tahrir waren, die hier gezündelt haben. Die versteht er ohnehin nicht. "Demokratie war ein Ziel unserer Revolution", sagt Mustafa Mohammad. "Und jetzt erkennen die Demonstranten die Wahl von fünfeinhalb Millionen Ägyptern nicht an, die für Schafik gestimmt haben?"

Mustafa Mohammed (Foto: Viktoria Kleber)
Mustafa Mohammed unterstützt SchafikBild: Viktoria Kleber

Muss Schafik ausscheiden?

Der alte Mubarak-Premier Schafik als Präsident - für die Aktivisten sieht Demokratie anders aus. Doch eine Hoffnung haben sie noch: Das Parlament hat in einem Eilverfahren kurz vor Beginn der Wahlen beantragt, dass alte Regime-Mitglieder nicht zur Wahl antreten dürfen. Das Gesetz liegt nun vor dem Verfassungsgericht, muss dort überprüft werden und erst dann kann die Präsidentschaftswahlkommission entscheiden, ob Schafik ausgeschlossen wird oder nicht. In diesem Fall würden Neuwahlen stattfinden. Doch wann das Gericht entscheidet, ist unklar - vielleicht erst dann, wenn die Wahlen schon lange vorbei sind. Dass Schafik der neue Präsident Ägyptens wird, steht für den Aktivisten Shady Abdallah jetzt schon fest. "Der Militärrat wird die Wahl so beeinflussen, dass Schafik gewinnt", sagt er. Deshalb will er die Wahl boykottieren. "Ich bin aber auf jeden Fall zurück auf der Straße." Manche fürchten, dass es dann zu spät sein könnte. Schafik ist bekannt für sein hartes Durchgreifen. Er hat schon im ersten Wahlgang angekündigt, Demonstrationen zu verbieten und auf dem Tahrir-Platz für "Ordnung" zu sorgen.

Der Aktivist Shady Abdallah will mehr Ägypter vom Boykott der Wahlen überzeugen (Foto: Viktoria Kleber)
Der Aktivist Shady Abdallah ist für einen WahlboykottBild: Viktoria Kleber