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Geisel aus Versehen

Mahmoud Tawfik10. September 2004

Dass im Irak Ausländer verschleppt und in den meisten Fällen getötet werden, ist trauriger Alltag. Dass es auch Araber trifft, ist selten. Dass jemand von seiner Entführung berichten kann, noch seltener.

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Fadi Fadel, Kanadier libanesischer Herkunft, wurde im Irak von Anhängern des radikalen Predigers Muktada el Sadr entführt und gefoltert - fast zwei Wochen lang. Fadi hatte allerdings mehr Glück als viele andere Geiseln im Irak: Er kam mit dem Leben davon, denn seine Entführung beruhte auf einem Missverständnis. Selbst die radikalen Geiselnehmer mussten das nach langen Verhandlungen hinter den Kulissen einsehen. Seine Geschichte liest sich wie ein Krimi, ist aber bittere Realität.

Rückblende: In Montreal in Kanada fängt alles an. Fadi Fadel will sich für eine internationale Hilfsorganisation am Wiederaufbau des Irak beteiligen. Der 35-Jährige fliegt in die jordanische Hauptstadt Amman und von dort aus weiter nach Nadschaf im Irak. Seit der radikale Schiiten-Prediger Muktada el Sadr mit seinen bewaffneten Milizen in eine offene Auseinandersetzung mit den Besatzungstruppen getreten war, wurde aus der heiligen Stadt der Schiiten ein Brandherd. "In dieser Stadt haben Schulen schon zu Saddams Zeiten erheblich gelitten. Wir wollten sie wieder aufbauen, und uns zuerst einmal erkundigen, an was es den Kindern alles mangelte", erklärt Fadel, warum sie gerade in Nadschaf aktiv wurden.

Schutz durch Offenheit

Obwohl seine "Mission" in keiner Weise politisch gefärbt war, wusste sich Fadi von Anfang an, dass seine Arbeit in einem Krisengebiet gefährlich sein könnte. Als Schutz schien es ihm aber ausreichend, von Anfang an offen auf die verschiedenen politischen und religiösen Gruppierungen in der Stadt zuzugehen und sich ihre Unterstützung zu sichern. "Ein Vertreter des Ajatollah Ali el Sistani predigte sogar in Moscheen, dass sich die Leute uns anschließen und ihre Kinder zu den Schulen schicken sollen", erzählt Fadel.

Doch dann kam die überraschende Wende: Entführung, Folter. Warum - das blieb zunächst unklar. Die Entführer wechselten mit der Geisel kein einziges Wort. Bis hin zu dem Moment, den bisher viele Geiseln im Irak erleben mussten, und der für die meisten das sichere Todesurteil bedeutete: "Als sie den Verband nach einigen Tagen wieder von meinen Augen nahmen, saß ich vor einer Kamera. Ich sollte sagen, dass ich ein israelischer Spion sei." Als Fadi sich weigerte, schlugen sie ihn mit einem Plastikschlauch und drückten Zigaretten an seinem Körper aus. Dann stellte sich einer der Entführer mit einem Gewehr hinter die Kamera und sagte: 'Wenn du nicht zugibst, dass du ein Spion bist, dann knallen wir dich ab!'"

Den Falschen erwischt?

Fadi hielt den Mund. Die Geiselnehmer ließen die Aufnahme trotzdem ausstrahlen. Sie gaben Fadi einen anderen Namen, das Spionage-Geständnis wurde von einer anderen Stimme gesprochen, Bild und Ton danach zusammenmontiert. Unterdessen bemühten sich Angehörige und Bekannte um seine Freilassung. Der Druck, den sie ausübten, wirkte: Nach fast zwei schmerzhaften Wochen war Fadi wieder frei. Sahen die Entführer dieses Mal ein, dass sie den Falschen erwischt hatten? Darüber lässt sich nur spekulieren, denn bis zuletzt hüllten sich die bewaffneten Männer in Schweigen.

Wenn Fadi zurückblickt, dann spricht er erstaunlicherweise trotzdem ohne Wut auf seine Entführer. In seinen Worten schwingt sogar so etwas wie Verständnis mit. Er habe im Irak viele Menschen kennen gelernt, die an Freiheit glauben und für eine bessere Zukunft arbeiten wollen. Aber es gäbe natürlich auch viele Menschen, die keine Schule oder Uni besuchen konnten, die unter Saddam sehr leiden mussten. "Es gibt so viel Ignoranz da unten, und das, zusammen mit dem dortigen Chaos und Machtvakuum, da braucht man nur jemandem ein Gewehr in die Hand zu drücken..."

Kurz nach seiner Freilassung verließ Fadi Fadel den Irak, ging zurück nach Jordanien, dann wieder nach Kanada. Aus der Traum vom Wiederaufbau des Landes - zumindest für ihn. Wenn er sich heute erinnert, dann spricht er nicht in Vorwürfen. Er spricht vor allem von einer schweren Enttäuschung: "Wir hätten so viel machen können."