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Gekaufter Schulerfolg

Sola Hülsewig10. Januar 2013

Die meisten Eltern wollen, dass ihre Kinder die Schule erfolgreich abschließen. Wenn es mal nicht so gut läuft, ist privat bezahlte Nachhilfe oft die Rettung. Doch die muss man sich erst mal leisten können.

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Eine Nachhilfelehrerin mit ihrem Schüler. Foto:ITAR-TASS/Alexander Ryumin
Bild: picture-alliance/dpa

Wenn Paul von seiner Grundschulzeit erzählt, muss er grinsen. "In der Grundschule war ich richtig gut, ich hatte eigentlich nur Einsen auf dem Zeugnis", erzählt der blonde Junge, der heute die achte Klasse besucht. Doch nach der Grundschule folgte der Wechsel auf das Gymnasium, und ab dann lief es nicht mehr so glatt für Paul. Vor allem nicht im Fach Mathematik.

Pauls Eltern entschieden sich damals dafür, einen privaten Nachhilfelehrer zu engagieren. Während seine Klassenkameraden Fußball spielten oder schwimmen gingen, musste Paul eine Stunde pro Woche zusätzlich Mathe büffeln. Ein Trost: Wie ihm geht es vielen Schülerinnen und Schülern in Deutschland. Aktuelle Studien zeigen, dass etwa 15 Prozent der deutschen Kinder und Jugendlichen Nachhilfeunterricht erhalten. In den höheren Klassen sind es auf dem Gymnasium sogar 20 Prozent.

G8 befeuert Nachhilfeunterricht

Nachhilfe bekommen sie zum Beispiel von älteren Schülern oder Studenten wie Stefan Biermann. Der Mathematikstudent gibt seit zehn Jahren Nachhilfestunden. In jüngster Zeit stellt er fest, dass Schüler durch das so genannte "G8"-System heute offenbar unter höherem Leistungsdruck stehen. Die Abkürzung "G8" steht für die verkürzte Abiturzeit. Lange Zeit haben deutsche Schüler in vielen Bundesländern erst nach neunjähriger Gymnasialzeit Abitur gemacht, nach und nach erfolgt die Umstellung auf nur acht Jahre.

Aushang an einer Pinnwand der TU Dortmund. Foto: Sola Hülsewig
Aushang an einer Pinnwand der TU Dortmund.Bild: DW/S.Hülsewig

"Ich habe das Gefühl, dass durch die verkürzte Schulzeit momentan jeder Nachhilfe nimmt. Vor allem in Mathe", erzählt der Student. Der Nachhilfebedarf ist offenbar groß, dem entsprechend gewachsen ist auch das Angebot. Privatwirtschaftliche Institute, Internet-Plattformen oder Annoncen von älteren Schülern, Studierenden oder pensionierten Lehrern sind die üblichen Wege, einen Nachhilfelehrer zu finden.

Nachhilfe oft jahrelang

Dabei sind manche Eltern durchaus bereit, den bezahlten Zusatzunterricht über mehrere Schuljahre hinweg zu finanzieren. Stefan Biermanns letzte Nachhilfeschülerin hat seine Hilfe von der fünften bis zur elften Klasse in Anspruch genommen. Als Stefan ihr aus Zeitgründen keinen Unterricht mehr geben konnte, hat ein Bekannter von ihm die Aufgabe übernommen.

Für eine Nachhilfestunde berechnet Stefan Biermann in der Regel zehn Euro. Ein Freundschaftspreis, den er deshalb nimmt, weil er alle seiner bisherigen Schüler persönlich kannte. Ein Mathematikabsolvent oder ein pensionierter Lehrer kann jedoch gut auch 25 oder 35 Euro für eine Nachhilfestunde verlangen. Insgesamt werden in Deutschland etwa eine bis anderthalb Milliarden Euro jährlich in Nachhilfeunterricht investiert, schätzt der renommierte Bildungsforscher Klaus Klemm.

Zusatzunterricht als Fehlentwicklung des Bildungssystems

Klaus Klemm steht dem so genannten "grauen Unterricht", also Unterricht, der privat neben der Schule erteilt wird, kritisch gegenüber. "Das Gesamtsystem versagt, wenn Eltern zusätzlich Geld in die Hand nehmen und Schüler Zeit investieren müssen, um das zu erreichen, was eigentlich die Schule erreichen sollte." Nachhilfe sei dazu da, Wissenslücken zu überbrücken, die zum Beispiel durch Krankheit, Schulwechsel oder Familienkrisen entstanden sind. Kontinuierlichen Zusatzunterricht nebenher hält Klemm hingegen für eine Fehlentwicklung.

Klaus Klemm Rechte: Klaus Klemm (Privat)
Klaus Klemm hält nicht viel vom "grauen Unterricht"Bild: Klaus Klemm

"Wenn die Versetzung aufs Gymnasium oder in die nächste Klasse davon abhängt, ob die Elternhäuser reich genug sind, das zu finanzieren, dann ist das hart an der Grenze der Verfassungsmäßigkeit", kritisiert Klemm. Kinder begüterter Eltern haben so die Chance, privat gefördert zu werden. Schüler aus weniger wohlhabenden Familien hingegen laufen Gefahr, durch mangelnde private Förderung abgehängt zu werden. Ein Unding, findet der Bildungsforscher.

Nachhilfe in Südeuropa weit verbreitet

Dabei ist Nachhilfe bei weitem nicht nur in Deutschland ein Thema. Eine von der Europäischen Union in Auftrag gegebene Studie mit Daten aus dem Jahr 2011 zeigt, dass privater Förderunterricht vor allem in Südeuropa weit verbreitet ist. In Westeuropa hat der Umfang der Nachhilfe im letzten Jahrzehnt stark zugenommen. Lediglich die nordeuropäischen Länder scheinen leisten zu können, was Klemm verlangt: ein Schulsystem zur Verfügung zu stellen, das Nachhilfe überflüssig macht. Was genau könnte das deutsche Bildungssystem also verbessern?

"Es gibt die Aufforderung an das Bildungssystem insgesamt, die Unterstützungen, die Schülerinnen und Schüler benötigen, stärker im System selbst anzubieten", so Klemm. Eine oft genannte Maßnahme sei die Ganztagsschule mit integrierter Hausaufgabenbetreuung. Ganztagsunterricht wird in Deutschland seit ein paar Jahren verstärkt in allen Schulformen eingeführt. "Bisher haben wir allerdings keine Befunde, die bestätigen, dass ganztäglicher Unterricht eine Verbesserung bedeutet."

Nachhilfe-Aushang an einer Pinnwand an der TU Dortmund von einem Gymnasiasten, der Nachilfe sucht. Foto: DW/Sola Hülsewig
Nachhilfe verzweifelt gesuchtBild: DW/S.Hülsewig

Durch Nachhilfe werden Noten nicht unbedingt besser

Ein Beispiel, dass die Ganztagsschule nicht automatisch die Lösung des Problems bedeutet, ist Frankreich. Hier wird trotz Ganztagsbetreuung noch mehr Nachhilfe erteilt als in Deutschland. Laut EU-Studie ist Frankreich demnach Vorreiter beim "grauen Unterricht". Dass die Noten damit auch wirklich besser werden, ist allerdings längst nicht garantiert. Pauls Mathematikleistungen zum Beispiel gleichen eher einer Zickzack-Kurve: "Ich hatte mal schlechte Noten, dann auch wieder mal gute." Im Moment bekommt der Achtklässler jedoch keine Nachhilfe mehr -Wenn jahrelangen Zusatzunterricht finden seine Eltern übertrieben.