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Geld ist farbenblind

Kerstin Steinrecher/(pt)8. Juli 2002

Während viele deutsche Unternehmen unter der Wirtschaftskrise leiden, entdecken andere neue Kunden: die in Deutschland lebenden Türken. Ethno-Marketing soll den Unternehmen wieder auf die Beine helfen.

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Die deutsche Wirtschaft entdeckt die türkische BevölkerungBild: AP

Die Commerzbank AG bietet einen ganz besonderen Kundenservice an: An dem "International Counter" der Berliner Geschäftsstelle in der Potsdamer Strasse arbeiten sieben multilinguale Angestellte. Sie sollen Ausländern, die gerade in Deutschland angekommen sind, bei der Suche nach einem Zahnarzt helfen oder auch einen Weg durch die Wirren des deutschen Bürokratie-Dschungels weisen.

Rat und Konto

Viele der Ratsuchenden arbeiten bei Sony oder bei Daimler Chrysler. Die meisten sind US-Bürger und Europäer. Sie verlassen die Bank meist auch als Kunde, denn nachdem sie hilfreiche Ratschläge erhalten haben, eröffnen sie oft auch gleich ein Bankkonto.

Der Service ist eine Strategie der Bank, im wachsenden Markt der ausländischen Mitbürger Fuß zu fassen. Nachdem "Ethno-Marketing" in anderen Ländern, vor allem in den USA lange etabliert ist, beginnt Deutschland jetzt erst das ökonomische Potential der kulturellen Minderheiten zu entdecken.

Islamisch investieren

Die Commerzbank bietet nicht nur hochqualifizierten Ausländern ihren Service an. Ein spezieller Investmentfonds, der "Al Sukoor European Equity Fund" ermöglicht den etwa 3,5 Millionen Muslimen in Deutschland, ihr Geld in Übereinstimmung mit dem Islamischen Gesetz anzulegen. Ein fünfköpfiger "Sharia Rat", der bei dem Kooperationspartner der Commerzbank in Saudi-Arabien ansässig ist, prüft die Aktienkäufe der Fondsverwalter auf ihre ethische Sauberkeit.

Der Rat stellt sicher, dass keine Beteiligungen an Nachtklubs, alkoholproduzierende Firmen, oder Fluganbietern, die Alkohol anbieten, erworben werden. Finanzielle Dienstleistungen sind ebenso Tabu, seitdem das islamische Gesetz verbietet, sich an Zinsen zu bereichern.

Zielgerichtete Werbung

Auch andere deutsche Firmen entdecken ethnische Gruppen als mögliche lukrative Kunden. Die 2,5 Millionen in Deutschland lebenden Türken verfügen über eine Kaufkraft von etwa 25 Milliarden Euro. Der Stromanbieter Yellow Strom, der im August 1999 auf dem deutschen Markt erschien, erkannte diese Bevölkerungsgruppe für sich und bezog diese Tatsache mit in seine Werbestrategie.

"Interkulturelles Marketing bedeutet aber nicht, einfach die Flyer (Werbezettel) zu übersetzen", so Andreas Müller, Pressesprecher von Yellow-Strom, zu DW-WORLD. Eine richtige Strategie für die Zielgruppe müsse entwickelt werden. Einfaches Beispiel: Den Deutschen wurde im Werbespot anhand eines Sparschweins gezeigt, wie viel Strom sie sparen könnten. Die Werbung für türkische Kunden zeigte dagegen eine Spardose, weil für Muslime Schweine unreine Tiere sind.

Teure Markenprodukte verschaffen Respekt

Ethno-Marketing-Experte Folker Kraus-Weysser ist überrascht, dass deutsche Firmen kaum die Zahlkraft ausländischer Mitbürger erkennen. Diese Firmen hätten nicht erkannt, dass die Zeiten längst vorbei seien, in denen türkische Gastarbeiter in Deutschland arbeiten und das meiste Geld zu ihren Familien in die Heimat schicken, so der Experte. Heute gäben sie 90 Prozent ihres Einkommen in Deutschland aus. Ausserdem hätten die türkischen Mitbürger zu lange die unterste Stufe der Einkommens-Leiter besetzt. Daher neigten sie dazu, wie Hispanics in den USA, teure Markenprodukte zu kaufen. Das verschaffe ihnen Respekt, erläutert Kraus-Weysser.

Minderheiten in Deutschland als Kunden ernst zu nehmen, fördert nicht nur deren soziale Integration, sondern es könnte auch für viele Firmen einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise bedeuten.