1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Geld oder Leben - Schutzgelderpressung

Wolfgang Dick17. Mai 2016

In Hamburg läuft zurzeit der Prozess gegen einen Koch und Restaurantbetreiber, der seinen Erpresser getötet haben soll. Mit immer neuen Methoden fordern Kriminelle in Deutschland Schutzgelder.

https://p.dw.com/p/1IllK
Pistole auf Geldscheinen (Foto: Fotolia/Daniel Loretto)
Bild: Fotolia/Daniel Loretto

Der Fall aus Hamburg löste sich wie in einem Mafia-Film. Der polizeibekannte Erpresser, ein als vermisst gemeldeter Mann, wurde durch Spürhunde im frisch renovierten Eingangsbereich eines Restaurants gefunden. 30 Zentimeter unter der Erde. Einbetoniert. Der 52-jährige Gastwirt soll ihn erschossen haben, nachdem die Geldforderungen des Erpressers immer dreister geworden waren.

Der Fall aus Hamburg bestätigt, was auch in Deutschland gilt: Schutzgelderpressungen sind immer noch Teil der organisierten Kriminalität, gegen die Spezialabteilungen der Polizei ermitteln. Die Taten erfolgen meist innerhalb geschlossener Bevölkerungskreise. Besonders betroffen sind nach Angaben der Polizei vor allem russische, türkische und italienische Bürger mit Werkstätten, Läden, Restaurants und Kneipen.

"Die werden häufig von ihren eigenen Leuten unter Druck gesetzt", erzählt Jürgen Roth nach seinen Recherchen für Sachbücher zum Thema. Er sieht sich durch die Erkenntnisse der Polizeibehörden bestätigt: "Die Täter sprechen dieselbe Sprache, haben beste Kenntnisse in den Heimatländern und wissen um die Mentalität ihrer Opfer."

Die klassische Form der Erpressung, bei der plötzlich muskulöse Schläger vor der Tür stehen und das Leben bedrohen, ist offenbar ein Auslaufmodell. Ein spektakuläres Blutbad wie im August 2007 in Duisburg, bei dem sechs Angehörige der Mafia erschossen wurden, ist in den vergangenen Jahren ausgeblieben. Längst geht es in einigen Fällen um Geldbeträge - so berichten Ermittler des Bundeskriminalamtes -, die die durchschnittlich erpressten Summen von 50.000 Euro weit übersteigen.

Schutzgelderpressung 2016: voll digital

Christian Pfeiffer, Kriminologe und langjähriger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, nennt Beispiele dafür, wie Schutzgelderpressung heute abläuft. "Erpressung ist heute vorwiegend anonymer Cybercrime, weil die Polizei hier viel weniger Ermittlungsmöglichkeiten hat."

Variante 1: Da kommt zunächst eine Mail ohne verdächtige Anhänge. Darin heißt es dann, ein Konkurrent plane angeblich, das Geschäft des Erpressungsopfers zu vernichten. In der Mail wird angeboten, diesen Konkurrenten auszuschalten. Dass man die Macht dazu hat, wird konkret demonstriert: Plötzlich verschwinden Daten vom Computer des Erpressungsopfers. Sie werden später kostenfrei wieder zur Verfügung gestellt. Zahlen soll das Opfer aber für die Abwehr des Konkurrenten, der sonst ähnlich effektiv zuschlagen würde.

Variante 2 - bei Restaurantbetreibern angewendet: Die Sitzplatzreservierungen im Netz werden mehrfach sabotiert, Kunden nachhaltig vergrault. Um das zu stoppen, muss gezahlt werden.

In einer Studie, der europaweit größten Cybercrime-Untersuchung, sollen solche Fälle demnächst aufgezeigt und analysiert werden, kündigt Pfeiffer an.

Maskierter Mann vor Laptop (Foto: Imago/Schöning)
Angriffe aus dem Netz statt Muskelmänner vor der TürBild: Imago/Schöning

Kriminalität im Schattenbereich

Erpressungen werden selten angezeigt. Daher liegt das sogenannte Dunkelfeld der Taten sehr hoch. Hinzu kommt, dass es einen eigenen Straftatbestand "Schutzgelderpressung" im deutschen Strafgesetzbuch gar nicht gibt.

In den polizeilichen Kriminalstatistiken verbirgt sich eine Schutzgelderpressung daher meist hinter Straftaten wie räuberischer Erpressung, Sachbeschädigung, Nötigung oder Körperverletzung. Die neuesten Zahlen stammen aus dem Jahr 2014. Danach wurden den deutschen Behörden 94 Fälle von Schutzgelderpressungen bekannt. In den fünf Jahren zuvor waren es um die 140.

Die Zahlen schwanken offenbar stark. Eine Sprecherin des Landeskriminalamts Berlin zum Beispiel gibt für angezeigte Schutzgelderpressungen an: 2011 - 23 Fälle, 2012 - 13, 2013- 17, 2014 - sieben Fälle. Im Bundesland Niedersachsen schwanken die angezeigten Taten zwischen 20 und 30 Fällen.

Wie wehrt man sich gegen Schutzgelderpresser?

Die für die Ermittlungen zuständigen Bundesländer sind im Kampf gegen Schutzgelderpressung unterschiedlich gerüstet. In Bayern gibt es nach Aussagen der Polizeigewerkschaft kaum finanzielle und personelle Probleme. Ganz anders sehe es in Teilen von Nordrhein-Westfalen und in Ostdeutschland aus.

Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, beklagt Einsparungen bei technischer Ausstattung und beim Personal. Ermittlungen zu komplexen Sachverhalten der organisierten Kriminalität gestalteten sich immer schwieriger.

Etliche Initiativen zwischen Polizei und anderen Organisationen aber können auf Erfolge hinweisen. So bietet die Industrie- und Handelskammer in Kiel Hilfe an, wie man Schutzgelderpresser wieder los wird. Rechtsreferentin Tina Möller bringt das Rezept auf den Punkt: "Wehret den Anfängen! Auf keinen Fall auf Erpresser eingehen". Wer einmal zahle, zahle immer.

Tatsächlich habe man mit der sofortigen Abwehr die besten Erfahrungen gemacht. "Erpresser rechnen einfach nicht mit so viel Mut!" Dieselben Erfahrungen machte der Verein "Mafia - Nein, Danke", der sich in Berlin gegründet hat und inzwischen von der EU gefördert wird. Geschäftsführer Luigino Giustozzi im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Selbst in Palermo hatten Restaurantbesitzer mit der Initiative "Adio Pizzo" ("Tschüss Schutzgeld!") mit ihrem entschlossenen Nein und der direkten Abwehr Erfolg."

Geholfen habe, dass die Öffentlichkeit eingeschaltet wurde. "Aufmerksamkeit verschreckt Erpresser", sagt Giustozzi. Staatsanwaltschaften bestätigten, das gelte auch in Deutschland. Die Polizei in Niedersachsen verweist auf relativ hohe Aufklärungsquoten bei angezeigten Erpressungen. Von 20 Fällen hätten 13 aufgeklärt werden können.