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Keine Eskalation in der Syrien-Frage gewünscht

Diana Hodali26. Juni 2012

Nach dem Abschuss eines türkischen Kampfjets durch Syrien bringt Ankara den Fall vor die Nato. Sie soll entscheiden, wie die Mitglieder darauf reagieren. Ein militärisches Eingreifen kommt aber nicht in Frage.

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NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen mit Recep Tayyip Erdogan (Foto: dpa)
Bild: AP

Recep Tayyip Erdogan gilt eigentlich als Mann der deutlichen Worte. Das lässt sich zum Beispiel beobachten, wenn auf internationalem Parkett der Massenmord von 1915 am armenischen Volk diskutiert und kritisiert wird. Als Frankreich Anfang des Jahres beschloss, das Leugnen des Völkermords an den Armeniern unter Strafe zu stellen, wütete Erdogan lautstark gegen den damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy: Er setze aus wahltaktischen Gründen auf "Hass gegen Muslime und Türken". Ebenso temperamentvoll zeigte er sich 2009: Erdogan war beim Weltwirtschaftsforum in Davos vom Podium gestürmt. Der Grund: Er habe in der Debatte mit dem israelischen Präsidenten Schimon Peres über die Lage in Gaza zu wenig Redezeit bekommen.

Behutsame Vorgehensweise

Im Vergleich zu diesen Temperamentsausbrüchen scheint die Reaktion der Regierung in Ankara auf den Abschuss eines türkischen Kampfjets durch die syrische Armee fast schon gemäßigt. Die F4 Phantom war vergangenen Freitag (22.06.2012) von einem Luftwaffenstützpunkt in der Provinz Malatya gestartet und stürzte kurz vor der syrischen Küste ins Meer.

Der türkische Außenminister Ahmed Davutoglu warf Syrien zwar vor, das türkische Flugzeug in internationalem Luftraum abgeschossen zu haben, räumte aber ein, dass es den Luftraum Syriens aus Versehen für kurze Zeit verletzt haben könnte. Das Flugzeug habe sich aber unbewaffnet im Ausbildungsflug befunden und habe keinen Geheimauftrag im Zusammenhang mit den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Syrien gehabt. Der türkische Vizeregierungschef Bülen Arinc erklärte, es handele sich um einen "bedenklichen Zwischenfall", der aber zunächst aufgeklärt werden müsse. Und auch Präsident Abdullah Gül kündigte an, dass man erst die Ermittlungen abwarten wolle.

Phantom F4 der türkischen Luftwaffe (Foto: dpa)
Syrien hat den Abschuss eines solchen Kampfjets vom Typ Phantom F4 bestätigtBild: picture-alliance/dpa

Hand in Hand mit der Nato

Jetzt hat die Türkei den Nato-Rat angerufen. Die Türkei hat sich dabei allerdings auf Artikel 4 des Nato-Vertrags berufen, nach dem die Allianz berät, wenn eines ihrer Mitglieder seine politische Integrität oder seine Sicherheit bedroht sieht. Der Nato-Vertrag sieht aber nur in Artikel 5 eine Beistandsverpflichtung für den Fall eines bewaffneten Angriffs auf eines der Mitglieder vor. Auf diesen Artikel beruft sich die Türkei jedoch nicht. "Die Türkei rechnet sicher nicht damit, dass der Bündnisfall jetzt ausgerufen wird", sagt Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin gegenüber der DW.

Den hat die Nato erst einmal in ihrer Geschichte ausgerufen, nämlich nach den Terroranschlägen der Al-Kaida vom 11. September 2001 in den USA. Jetzt geht es um ein abgeschossenes Kampfflugzeug, das offensichtlich den Luftraum eines Landes verletzt hat, in dem seit Monaten ein blutiger Bürgerkrieg tobt. Nur wenn die syrische Armee die Türkei angreifen würde, wäre ein militärischer Gegenschlag legitim. "Ich denke, dass die Türkei das Zusammenrufen der Nato dazu nutzt, um auf eine gemeinsame Linie in der Syrien-Frage zu kommen." Die Nato könne eine Drohkulisse aufbauen. Aber auch Syrien scheint daran gelegen, die Situation nicht zu verschärfen. Man hat sich zwar offiziell nicht bei der Türkei entschuldigt, aber Syrien hege keine feindlichen Absichten gegenüber dem Nachbarn, erklärte der Sprecher des Außenministeriums, Dschihad Makdissi, auf der regierungsnahen Website "Syria Now". Außerdem ist auch auf syrischer Seite immer wieder die Rede von einem "Versehen".

Die schwierige geostrategische Lage

An einer militärischen Eskalation der Lage in Syrien ist keiner interessiert - denn das könnte sich destabilisierend auf die gesamte Nachbarregionen auswirken, sagt Martin Beck, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Amman. Besonders der Libanon und Jordanien wären dann betroffen. Aber auch die Kurdengebiete in der Türkei, der Irak und auch Israel.

"Syrien ist in vielfältiger Weise und auf verschiedenen Ebenen in sämtliche Konflikte im Nahen Osten einbezogen", erklärt Matthias Dembinski, Sicherheitsexperte von der Hessischen Stiftung für Friedens-und Konfliktforschung, im Interview mit der DW. Und es sei nicht auszuschließen, dass ein Eingreifen des Westens auch andere Akteure aktivieren könnte. Außerdem würden sich bei einem militärischen Eingriff auch die religiösen Fronten in Syrien verschärfen - Alawiten gegen Sunniten, Christen gegen Sunniten. "Wenn jemals ein militärisches Eingreifen in Betracht gezogen werde, dann haben schon eine Reihe von Bündnispartnern angekündigt, dass die Grundlage dafür ein Beschluss des UN-Sicherheitsrates sein müsse", so Dembinski weiter. Und das stehe momentan nicht zur Diskussion.

Laurent Fabius und Guido Westerwelle (Foto: dapd)
Bundesaußenminister Westerwelle mit seinem französischen Kollegen Fabius (l.)Bild: dapd

Derweil hat die EU bei einem Treffen in Luxemburg die Attacke der syrischen Luftabwehr scharf verurteilt und weitere Sanktionen gegen Syrien verhängt. Die Chefdiplomaten forderten von Damaskus eine sofortige und gründliche Aufklärung und eine vollständige Zusammenarbeit mit der Türkei. Geschlossen lobten sie allerdings die bisherige Zurückhaltung Ankaras. "Jetzt ist die Stunde der Deeskalation", sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle.

Die Beziehungen zwischen den einstigen Verbündeten Türkei und Syrien haben sich verschlechtert, seit Präsident Baschar al-Assad gewaltsam gegen die Opposition vorgeht und sich der Konflikt zum Bürgerkrieg ausdehnte. In der Folge habe die Türkei mittlerweile über 30.000 Flüchtlinge aufgenommen, gab unlängst das türkische Außenministerium bekannt. Die Errichtung von Flüchtlingslagern an der Grenze zur Türkei missfällt hingegen dem syrischen Regime. Außerdem soll nach Berichten der "New York Times" die CIA aus der Türkei heraus die Waffenlieferungen an die bewaffnete Opposition organisieren. Ankara bestreitet das allerdings. Es gehe nur um das Wohlergehen des syrischen Volkes.