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Gemeinsam einsam

Caroline Michel 1. Mai 2003

In der "schönen neuen Welt" von Internet und E-Mail können Menschen zusammenarbeiten, ohne sich jemals zu Gesicht zu bekommen. Die Gründe sind vielfältig. Und nicht immer funktioniert alles reibungslos.

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"Hallo Chef!"Bild: AP

Beispiel Nr. 1: "Was arbeiten Sie denn eigentlich?"

Nach einer Betriebszusammenlegung sitzt der Vorgesetzte plötzlich in einer ganz anderen Stadt. Verbunden mit seinen Mitarbeitern ist er über E-Mail, Fax, Telefon und Mobiltelefon. Kein Blickkontakt, kein gemeinsames Mittagessen in der Kantine, kein Kaffee, kein informeller Plausch auf dem Flur. Unternehmensberaterin Nicole Schenk sieht ihren Chef so gut wie nie. Einmal umfassend geschult, eingehend instruiert, einen Stapel Vereinbarungen unterschrieben, wurde sie auf Kunden losgelassen: Firmen, in denen sie beratend tätig ist, mit Sitz irgendwo in Deutschland. Mit ihrem Vorgesetzten und einigen wenigen Kollegen kommuniziert sie über E-Mail, Fax, Telefon. Wenn überhaupt.

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Keine Kollegen weit und breit

Und ihr Chef? Der hat offenbar jeglichen Kontakt verloren. "Wenn man sich ein ganzes Jahr lang bemüht hat, eigenverantwortlich viel zu regeln und dann gesagt kriegt 'Ich hab keinen Überblick, was Du überhaupt so tust', dann tut das weh", erzählt sie von ihrem Mitarbeitergespräch. "Das habe ich als sehr nachlässig empfunden." Das, was Schenk praktiziert - ein Gespräch im Jahr, ansonsten E-Mails - ist virtuelle Kommunikation für Fortgeschrittene. So etwas kann nur bei Mitarbeitern funktionieren, die hart im Nehmen sind, bereit sind, ein hohes Maß an Eigenverantwortung aufzubringen, die wenig Führung brauchen - mit allen Bauchlandungen, die sie dabei erleiden können.

Beispiel Nr. 2: "Wir tanken Energie und Legenden!"

In Deutschland arbeiten immer mehr Angestellte in so genannten Virtuellen Teams: Sie sitzen zu Hause am Computerbildschirm, Telearbeitsplatz genannt, und am anderen Ende der Welt sitzen die Kollegen. Gemeinsam tüfteln sie an einem Projekt. Malcolm Schauf ist Personal- und Unternehmensberater und hat über das Thema "Virtuelle Teams" promoviert. Er ist davon überzeugt, dass sich bald viele Arbeitnehmer an neue Arbeitsformen ohne Blickkontakt gewöhnen müssen. "Es wird in Zukunft diese klassischen, traditionellen Formen der Arbeit, wie wir sie heute kennen, wie unsere Eltern und Großeltern sie kennen, nicht mehr geben", meint er. Mobiltelefon, Laptop, Internetanschluss würden genügen. "Moderne Nomaden" werden Menschen auch genannt, die so arbeiten. Hört sich exotisch an, abenteuerlich, flexibel und spannend. Zumindest in der Theorie. In der Praxis klagen viele über mangelndes Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen.

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Plausch muss seinBild: DW

Frank Blase ist Geschäftsführer der Firma Igus, einem mittelständischen Kölner Unternehmen. Obwohl er sich nie theoretisches Rüstzeug über virtuelles Führen zurecht gelegt hat, weiß er, dass er investieren muss, um seine 950 Mitarbeiter in aller Welt bei Laune zu halten. "Wir machen gerne Sport zusammen, wenn wir uns international treffen. Oder einen Kneipenbummel. Das sind so Geschichten, damit tanken wir Energie und Legenden. Das hilft dann, brenzlige Situationen, die sich ja in der Entfernung mehr ergeben, als im ständigen Bürozusammensein, zu meistern." Wie wichtig es ist, Kontakte zu halten und das sprichwörtliche "Zwischenmenschliche" zu pflegen, wird häufig unterschätzt. Die Gefahr, dass Missverständnisse und daraus "dicke Luft" entstehen, ist bei Minimalkontakten ungleich höher.

Was tun, wenn's brenzlig wird?

Frau auf dem Flur von Arbeitsamt
Mehr miteinander reden!Bild: AP

Die Management-Trainerin Ursula Oppermann-Weber wird meist erst in Firmen geholt, wenn es bereits im Team gekracht hat. Dann sucht sie gemeinsam mit den betroffenen Mitarbeitern die Schwachstellen im sozialen Gefüge und hilft, Lösungswege für Kommunikationsprobleme zu erarbeiten. Wichtig: Die fehlende Kommunikation von Angesicht zu Angesicht muss irgendwie ausgeglichen werden. Wie kann das klappen mit Hilfe der Computer-Tastatur? "Wenn eine E-Mail beginnt mit 'Sie haben', dann sieht das im ersten Moment nach Angriff aus, auch, wenn das gar nicht so gemeint ist", erklärt Oppermann-Weber. "Zeitversetzte Kommunikation braucht einfach einen sensibleren Umgang mit Worten und Inhalten." Man müsse sich schon genau überlegen, was man schreibe. Es ist halt nicht wie auf dem Flur, wo man spontan sagt: "Nu machense doch mal."