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Gemeinsam gegen Bin Laden und die Taliban

Kommentar von Ingo Mannteufel11. November 2001

Beginnt eine neue Ära in den russisch-amerikanischen Beziehungen?

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Die Reaktionen der europäischen Verbündeten der USA nach den barbarischen Terroranschlägen in New York und Washington D.C. waren zu erwarten: Sie bekunden Verbundenheit mit dem schwer getroffenen Partner und versprechen Unterstützung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

Im Unterschied zu den vergangenen Zeiten des Ost-West-Konflikts äußert auch die russische Führung um Präsident Putin Solidarität mit dem amerikanischen Volk: Russland hat den USA und der NATO Unterstützung zugesagt. Putin schlug die Einberufung eines Sondergipfels der G8 zur Terrorbekämpfung vor. US-Präsident Bush betont bei seinem Versuch, eine internationale Koalition gegen den Terrorismus aufzubauen, dass er in engem Kontakt mit dem russischen Präsident Putin stehe.

Radikal-islamistische Bedrohung

Wie die USA sieht sich auch Russland seit einigen Jahren einer radikal-islamistischen Bedrohung innerhalb Russlands und an den Grenzen seiner traditionellen Einflusszonen ausgesetzt. In der abtrünnigen Republik Tschetschenien agieren auch internationale Mudschahedin-Verbände, die Russland den Heiligen Krieg erklärt haben. Auch sie werden nach Einschätzung russischer Geheimdienstquellen vom saudischen Terroristenführer Bin Laden unterstützt und finanziert. Ähnlich wie die USA sieht Russland eine Gefahr im afghanischen Taliban-Regime. Der Kreml und vor allem die mit Moskau verbündeten zentralasiatischen Staaten fühlen sich von der paschtunischen Gotteskrieger-Miliz bedroht. Russland hat im letzten Jahr mögliche Angriffe gegen Terroristenlager in Afghanistan angedeutet. Präventivschläge gegen Standorte internationaler Terroristen in Afghanistan seien nicht auszuschließen, hieß es damals.

Eine historische Chance?

Bieten die heimtückischen Terroranschläge die Chance für eine russisch-amerikanische Annäherung? Verdrängen der gemeinsame Kampf gegen Bin Laden und die Taliban die zahlreichen politischen Differenzen zwischen den USA und Russland? Könnte der Kampf gegen den radikal-islamistischen Terrorismus zur einigenden Klammer zwischen den USA und Russland werden, so wie die sowjetisch-kommunistische Bedrohung nach dem Zweiten Weltkrieg zur Westintegration der Bundesrepublik Deutschland geführt hat?

Damit ist nicht zu rechnen - zumindest nicht so schnell. Zwar dürften die USA nun mehr Verständnis für die harte Tschetschenien-Politik Putins aufbringen, doch schon in der Frage, wer den internationalen Terror außer Bin Laden und den Taliban unterstützt, gehen die Meinungen auseinander: Während die USA auch den Iran, Syrien, den Irak und Libyen der Hilfe des Terrorismus bezichtigen, hat Russland unter Putin die langjährigen freundschaftlichen und kooperativen Beziehungen mit diesen Ländern intensiviert. So wird mit russischer Unterstützung im iranischen Buschehr ein Atomkraftwerk gebaut. Ein zweites ist in Planung. Gleichzeitig werden aus dem iranischen Staatshaushalt fundamentalistische Terrororganisationen finanziert. Im Falle Iraks fordern russische Politiker seit langem eine Lockerung oder gar die Abschaffung der internationalen Sanktionen. Die USA wollen dagegen deren Wirksamkeit verstärken und setzen weiterhin mit militärischen Mitteln die Flugverbotszone im Irak durch.

Eine gemeinsame Linie im Kampf gegen den Terrorismus, die über eine Feindseligkeit gegenüber den Taliban und Bin Laden hinausgeht, ist daher wenig wahrscheinlich - sollten die Ereignisse vom 11. September 2001 nicht eine der beiden Seiten zum vollständigen Umdenken bewogen haben.

Terroranschläge und Raketenabwehr

Die wichtigste politische Frage zwischen den USA und Russland wird nach den Terroranschlägen sogar noch an Schärfe gewinnen: der Streit um eine Änderung des ABM-Vertrages und den Bau einer US-amerikanischen Raketenabwehr. Russische Politiker betonen nicht ganz ohne Schadenfreude, dass die geplante Raketenabwehr wirkungslos gegen solche Terroranschläge ist, die die USA jüngst erschüttert haben. Die amerikanische Bevölkerung fühlt sich dagegen nach dem "Angriff auf Amerika" in einer noch nie da gewesenen Weise bedroht. Sie wird von ihrer Regierung eine umfassendde Verbesserung ihrer Sicherheit fordern. Die finanzkräftigen USA werden nicht nur, aber auch gerade das Projekt einer aus ihrer Sicht defensiv verstandenen Raketenabwehr mit noch größerer Intensität vorantreiben. Eine Westintegration Russlands wird der fürchterliche Terrorangriff vom Dienstag also nicht unbedingt beschleunigen.