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Generalabrechnung im Bundestag

24. November 2010

Wenn es im Bundestag um den Etat des Kanzleramtes geht, schlägt keineswegs die Stunde der Buchhalter: Der Schlagabtausch zwischen den Oppositionsführern und der Regierungschefin ist der Höhepunkt der Haushaltswoche.

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Haushaltsdebatte im Berliner Reichstagsgebäude. Blick von oben auf das Plenum (Foto: dapa)
Schauplatz des Wortgefechts: Der Bundestag in BerlinBild: AP

"Restlos verschleudert" habe die schwarz-gelbe Koalition das Vertrauen der Wähler, seit ihrem Amtsantritt vor einem Jahr herrsche ein "Regierungschaos ohne Ende" und aus dem angekündigten Herbst der Entscheidungen sei "wieder einmal eine Woche der Vertagungen" geworden - SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeierder ging mit der Bundesregierung hart ins Gericht. Der ehemalige Außenminister der großen Koalition warf der weiterhin amtierenden Kanzlerin zum Auftakt der Generaldebatte im Bundestag am Mittwoch (24.11.2010) anhaltende Untätigkeit vor.

"2,8-Millionen-Euro-Briefmarke"

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier (Foto: AP)
Oppositionschef Steinmeier übte harte Kritik am Kurs der RegierungBild: AP

Die Regierung handle ohne jede eigene Idee von der Zukunft, sagte Steinmeier. Deshalb werde dieses Land "weit unter seinen Möglichkeiten regiert". Der Oppositionsführer wiederholte den Vorwurf der Klientelpolitik an Schwarz-Gelb: Ihre Gesundheits- und Energiepolitik habe die Gesellschaft tief gespalten. Zudem kritisierte Steinmeier, die Regierung spare nicht genug. Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs weise der Haushalt die zweithöchste Nettoneuverschuldung in der Geschichte der Republik auf: "Die Menschen fragen sich, wann kommt der Aufschwung bei mir an?" Die Bürger wüssten, dass alles eine "grandiose Täuschung" gewesen sei, sagte Steinmeier und verwies unter anderem auf die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge zum 1. Januar 2011.

Linksparteichefin Gesine Lötzsch schlug in dieselbe Kerbe und rügte zudem die Anzeigenkampagne der Bundesregierung, in der sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem offenen Brief an die Bürger gewandt hatte. "Dies war der teuerste Brief, der jemals verschickt wurde. Wer eine 2,8-Millionen-Euro-Briefmarke aufklebt, der muss ja wohl panisch sein vor Angst", stichelte Lötzsch. Sie warf der Bundesregierung vor, die in der Anzeige abgegebenen Versprechen jetzt schon gebrochen zu haben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Generaldebatte am Rednerpult des Bundestages (Foto: AP)
Musste viel Kritik einstecken: Kanzlerin Merkel während der GeneraldebatteBild: AP

Mit Blick auf die Finanzprobleme Irlands regte Steinmeier eine europäische Debatte an, um die Steuersätze in der EU einander anzunähern. Dabei müsse es um die Art und Höhe der Besteuerung in den EU-Staaten gehen: "Ich bin sicher, dass auch Partner wie die Iren dies anders sehen als vor zwei Jahren", sagte der SPD-Politiker in Anspielung auf die umstrittene niedrige irische Körperschaftssteuer. Zugleich warf Steinmeier der FDP vor, Irland noch vor wenigen Jahren als Modell gepriesen zu haben. Steinmeier kritisierte zudem, dass die Kanzlerin in der Debatte um den Euro-Rettungsschirm mit einer zu engen deutsch-französischen Abstimmung die kleineren EU-Staaten vor den Kopf gestoßen habe.

"Investoren sollen sich an der Euro-Rettung beteiligen"

Merkel zeigte sich in ihrer Erwiderung kämpferisch und nahm sich vor allem Sozialdemokraten und Grüne vor. Die SPD verabschiede sich "in einem affenartigen Tempo" von ihren früheren Entscheidungen zu Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 und zur Rente mit 67. Den Grünen warf sie mit Blick auf die Proteste gegen Stuttgart 21 und die Atompolitik vor, bei großen Projekten grundsätzlich eine "Dagegen-Haltung" zu vertreten.

Auch in der Europapolitik legte die Regierungschefin den Oppositionsparteien falsche Entscheidungen zur Last. So hätten SPD, Grüne und Linke in der Euro-Krise den Rettungsschirm nicht mitbeschließen wollen: Darüber werde "die Geschichte richten", sagte die CDU-Chefin im Bundestag. Sie bekräftigte ihre Forderung, private Gläubiger an der Sanierung finanziell angeschlagener Euro-Staaten zu beteiligen. "Hier geht es um die Frage des Primats der Politik", sagte Merkel. Es gehe um die Grenzen der Märkte und darum, diejenigen in die Verantwortung zu nehmen, die Geld verdienten.

Die deutsche Wirtschaft sieht die Kanzlerin auch mittelfristig auf Wachstumskurs. In den nächsten Jahren seien - wenn alles richtig gemacht werde – "vernünftige Wachstumsraten" möglich. Geschickt verzichtete Merkel darauf, den Anteil der Regierungspolitik – und damit auch der großen Koalition - an diesem Trend hervorzuheben. Der Aufschwung sei einer innovativen Wirtschaft, einem dynamischen Mittelstand und leistungsstarken Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verdanken, sagte die CDU-Politikerin. "Wir haben mehr Menschen in Arbeit, als wir vor der Krise hatten."

"Neue Anstrengungen zum Schuldenabbau"

Den Haushalt 2011 kennzeichne, "dass wir für die Zukunft sparen", sagte Merkel mit Blick auf Maßnahmen unter anderem zum Ausbau der Kinderbetreuung und zur Erhöhung der Investitionsquote. Sie rief die oppositionsgeführten Bundesländer auf, sich an der Konsolidierung der Gemeindefinanzen zu beteiligen. "Unser Spielraum könnte viel größer sein, wenn sich auch alle Länder beteiligen würden". Die Spuren der größten internationalen Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten zeigten sich natürlich auch im Bundeshaushalt. Merkel verwies auf die Schuldenquote von mehr als 75 Prozent, das Defizit von vier Prozent in diesem Jahr und die im kommenden Jahr zu erwartende Neuverschuldung von etwa 50 Milliarden Euro - "eine unglaubliche Summe". "Deshalb heißt die Aufgabe natürlich, dass wir da besser werden müssen", sagte die Kanzlerin.

Atomkraftwerk Biblis unter dunklen Wolken (dpa)
Einer der zentralen Streitpunkte in der Debatte: Die AtompolitikBild: picture-alliance/dpa

FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger richtete ihre Attacken vornehmlich gegen die Grünen. Ihnen gehe es nicht um die Sache, sondern um den Protest. Die Partei spiele sich zur "Moralinstanz" auf, werde jedoch nicht halten können, was sie verspreche. Homburger kritisierte, die Grünen seien gegen Kern- und Kohlekraftwerke, gegen Wasserkraftwerke ebenso wie gegen Hochspannungsleitungen. "Wenn man immer nur dagegen ist, kann man die Zukunft nicht gestalten", mahnte sie und forderte die Grünen auf, aus ihrer "Kuschelecke" herauszukommen: "Sie schlagen sich in die Büsche, wir haben die Verantwortung übernommen", sagte die FDP-Politikerin.

"Regierung hat keine Zukunftskonzepte"

Die Grünen bezeichneten den schwarz-gelben Haushaltsentwurf als "sozialen und ökologischen Offenbarungseid". Darin zeige sich, dass die Koalition jedes "Gespür für Anstand" verloren habe, sagte Fraktionschefin Renate Künast. Die schwarz-gelbe Gesundheitspolitik sei von sozialer Kälte geprägt, während auf der anderen Seite eine "gnadenlose Politik" für die Pharma-Lobby und andere Klientelgruppen gemacht werde. Die Regierung habe keine Antworten auf die anstehenden Herausforderungen in der Bildungspolitik, beim Umbau der Wirtschaft, der Bekämpfung des Fachkräftemangels oder dem Ausbau der erneuerbaren Energien. "Sie setzen die Zukunft des Landes aufs Spiel", sagte Künast.

Autor: Rolf Breuch (afp, dapd, dpa, rtr)
Redaktion: Sabine Faber