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Generalprobe für russische Parlamentswahlen?

25. August 2011

Was hat das Wahlergebnis von zwei kleinen St. Petersburger Wahlbezirken mit der großen Politik zu tun? Es zeigt, welcher Politikstil in Russland herrscht und welcher Instrumentarien sich die Staatsführung bedient.

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Proteste gegen die Lokalwahlen in St. Petersburg (Foto: DW)
Proteste gegen die Lokalwahlen in St. PetersburgBild: DW

Die Sowjetunion lässt grüßen: Die Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin nahestehende Gouverneurin von St. Petersburg, Walentina Matwijenko, hat bei vorgezogenen Wahlen in zwei von 111 Petersburger Bezirken weit über 90 Prozent der Stimmen erhalten. Solche Zeiten schienen überwunden, mag man denken. Umso erstaunlicher, da Matwijenko als äußerst unbeliebt gilt, zumal ihr Vetternwirtschaft und Korruption nachgesagt werden.

Die Gouverneurin von St. Petersburg, Walentina Matwijenko (Foto: dpa)
Die Gouverneurin von St. Petersburg, Walentina MatwijenkoBild: picture-alliance/ dpa

Kritiker nehmen schon am Zeitpunkt der Wahlen in den Petersburger Bezirken Krasenkaja Petschka und Petrowskij Anstoß. Beobachter glauben, der eigentliche Anlass für die außerplanmäßigen Wahlen sei der Wunsch des Kreml, Matwijenko wegzuloben. Die Theorie dahinter: Die Politikerin der Kreml-Partei Einiges Russland hätte mit ihren schlechten Umfragewerten für Anti-Stimmung im Vorfeld der Parlamentswahlen im Dezember gesorgt. Daher habe sich das Tandem Präsident Dmitri Medwedjew-Putin entschlossen, sie nach Moskau auf den Posten der Präsidentin des russischen Oberhauses, dem Föderationsrat, zu hieven. Formal ist dieses Amt das dritthöchste des Staates; der politische Einfluss ist zwar eher gering, der Posten aber durchaus prestigeträchtig.

Wie man das Wahlvolk an die Urne bringt

An die Spitze des Föderationsrates kann aber nur kommen, wer zuvor Abgeordneter desselben ist. Dazu benötigt man das Mandat einer Region oder einer Kommune. Kritiker folgern daher, die Wahlen seien eigens inszeniert worden, um Matwijenko in Amt und Würden zu bringen. Hinter den Kulissen leistete man offenbar ganze Arbeit, um das Traumergebnis für Matwijenko zu ermöglichen.

Die Herausforderung bestand darin, die Petersburger Bevölkerung mitten in der Ferienzeit davon abzuhalten, am sonntäglichen Wahltag 'raus aufs Land’ zu fahren. So ließ man sich Einiges einfallen: Es lockten Leckereien zum Beinahe-Nulltarif und Gratis-Karten für Konzerte, sogar Warenhäuser sollten die Kunden mit Rabatten ködern, damit das Wahlvolk ja nicht die Stadt verließe. Die Freude war groß, dass diese Rechnung aufging: "Ich bin überwältigt. Selbst, wenn wir es uns sehr gewünscht haben, ein solches Ergebnis hätten wir uns nicht träumen lassen", sagt der Petersburger Parteichef von Einiges Russland, Vadim Tjulpanow.

Die Opposition sieht sich ausgebootet

Der Oppositionspolitiker Boris Nemzow (Foto: DW)
Der Oppositionspolitiker Boris NemzowBild: DW/V.Izotov

Die Opposition hingegen spricht von illegitimen Wahlen. Bereits im Vorfeld sah sie sich benachteiligt. Nicht nur, dass die Behörden gegen die Opposition vorgingen, indem sie kritische Zeitungen beschlagnahmten. Viel schwerer wog, dass die Wahlen so kurzfristig anberaumt wurden, dass sich ernstzunehmende Gegenkandidaten nicht fristgerecht aufstellen lassen konnten. Als daraufhin der prominente Oppositionspolitiker Boris Nemzow eigens nach St. Petersburg gereist war, um von Tür zu Tür zu gehen und möglichst viele potentielle Wähler gegen Matwijenjko zu mobilisieren, wurde er kurzerhand von der Polizei aus einem Hausflur abgeführt.

Auch Boris Wischnewskij von der Partei Jabloko ist empört. Die Petersburger hätten erst von den Wahlen erfahren, als die Registrierung der Kandidaten schon abgeschlossen war. "Matwijenko hat erklärt, dass sie nicht möchte, dass ihr die – wie sie wörtlich sagte – Politclowns der Opposition in die Quere kommen. Tatsächlich aber haben sich diejenigen zum Clown gemacht, deren Namen neben dem ihren auf dem Wahlzettel stehen."

In der Tat findet sich darauf kein einziger Kandidat der Oppositionsparteien. Vertreter der Partei Gerechtes Russland und der Bewegung Solidarität wollen zudem gesehen haben, wie Offiziersschüler der Militärakademie Moschajsk Stimmzettel in den Bezirk Petrowskij gebracht hätten.

Vorgeschmack auf die Dezember-Wahlen?

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Protest gegen Kremlpartei. Die Unterschrift besagt: "Einiges Russland - Partei der Gauner und Diebe"Bild: DW

Beobachter fragen sich, inwiefern die Petersburger Wahlposse einen Vorgeschmack auf die Parlamentswahlen im Dezember und die Präsidentschaftswahlen im kommenden März gibt. Die Politologin Olga Popowa von der Universität St. Petersburg ist überzeugt, dass ähnliche Maßnahmen auch während des Wahlkampfes zu den Duma-Wahlen Anwendung finden würden. "Tatsache ist, dass alle Ergebnisse von Meinungsumfragen, die in St. Petersburg und Umgebung erhoben wurden, belegen, dass die Beliebtheit von Einiges Russland stark gesunken ist. Die Partei kommt auf Zustimmungswerte von maximal 48 Prozent. Doch die Staatsführung braucht eine absolute Mehrheit ihrer Leute im Parlament", erläutert Popowa im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Die Mechanismen auf regionaler und föderaler Ebene seien die gleichen: "Alles wird unternommen, damit die Partei der Macht auf mehr als zwei Drittel der Sitze im künftigen Parlament kommt." Daher werde man sicher wieder Offiziersschüler an den Urnen sehen, ebenso freie alkoholische Getränke an den Wahllokalen. Mit einer Zweidrittel-Mehrheit könne Einiges Russland jede Initiative anderer parlamentarischer Fraktionen blockieren.

Die umstrittene Walentina Matwijenko ist unterdessen wie erwartet von ihrem Amt als St. Petersburger Gouverneurin zurückgetreten. Der Weg nach Moskau und an die Spitze des Föderationsrates scheint vorgezeichnet.

Autor: Birgit Görtz/Wladimir Isotov

Redaktion: Bernd Johann