1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Generalverdacht beabsichtigt?

Peter Philipp13. Juli 2005

Die Täter der Anschläge von London waren nach Polizei-Erkenntnissen britische Staatsbürger. Welche Folgen hat dies für die europäischen Gesellschaften? Peter Philipp kommentiert.

https://p.dw.com/p/6ufR

So manchem Briten wäre heute sicher wohler, wenn die Urheber der Anschläge von London sich durch die Kontrollen des Flughafens Heathrow gemogelt hätten, wenn sie aus dem Ausland auf die Insel gekommen wären. Stattdessen die schockierende Erkenntnis: Die Täter waren britische Staatsangehörige, sie waren Teil der muslimischen Minderheit im Land. Spekulationen, Mutmaßungen, aber auch Verdächtigungen jeder Art dürften dadurch Tür und Tor geöffnet werden. Vor allem in eine Richtung: Sind die Muslime im eigenen Land eine potentielle "fünfte Kolonne"?

Solche Überlegungen und die verhängnisvollen Schlüsse, die einer daraus ziehen könnte, werden sich nicht auf Großbritannien beschränken. In Frankreich lebt eine große muslimische Gemeinde von Nordafrikanern, in Deutschland von Türken, und selbst in kleineren Ländern ist die Lage kaum anders. So steht jetzt in den Niederlanden ein junger Mann marokkanischer Abstammung - aber mit niederländischem Pass - vor Gericht, weil er den Filmemacher Theo van Gogh ermordet hat. Und in München wird gegen einen Kurden verhandelt, der angeblich die islamistische Terrororganisation "Ansar al Islam" mit Freiwilligen versorgt hat.

Bedenkenlos auch Muslime in den Tod gerissen

Solche Beispiele erregen Aufsehen, aber sie sind nicht typisch und sie dürfen nicht das Bild bestimmen, das man sich hierzulande von der muslimischen Minderheit macht. So, wie die Täter von London mit ihren Bomben bedenkenlos auch Muslime in den Tod mitrissen, so steht aber doch auch fest, dass die Gewaltbereiten, die Terroristen, nur eine verschwindend kleine Minderheit unter den Muslimen sind. Dass es ihnen aber gleichgültig ist, wenn nun alle unter Generalverdacht geraten.

Dies ist vielleicht sogar Absicht: Denn im verqueren Denken dieser Wirrköpfe gibt es doch nur eines: "Wir hier" und "die dort". Wobei "denen dort" - der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft - allzu leicht jede im Alltag erlebte Diskriminierung als ideologisch oder religiös bedingte Unterdrückung des Islam durch das "christliche Abendland" angelastet wird. Wenn dieses Gefühl dann auch noch mit internationalen Krisen und Kriegen in Verbindung gebracht wird - von Palästina bis Afghanistan, von Bagdad bis Sebrenica - dann wird ein explosives Gemisch daraus.

Wo liegen die Fehler?

Wohlgemerkt: So kann man vielleicht einiges erklären, nicht aber entschuldigen. Die Mörder von London sind Verbrecher. Wie die Mörder von Madrid es waren oder auch der Killer von van Gogh. Statt nun aber in hysterische Reaktionen auf eine vermeintliche Bedrohung durch "den Islam"" zu verfallen, sollten die Europäer, auch die Deutschen, nun in sich gehen und sich fragen, wo man vielleicht Fehler gemacht hat.

Und man hat Fehler gemacht. Nicht durch zu schlaffe Einreisekontrollen, sondern durch einen zu nachlässigen Umgang mit der zunächst unbeachtet größer werdenden muslimischen Minderheit in unseren Ländern. Ein Beispiel ist dabei, dass man sich keine Gedanken darüber gemacht hat, welche Bedeutung Religion und religiöse Tradition auch für Muslime hat. "Sollen sie sich doch integrieren, wenn sie hier leben wollen" hieß die Devise. Wobei Religions-Unterricht und Religions-Ausübung in die Hinterhöfe verbannt wurden, wo ominöse Koranschulen öffneten und ihr Unwesen trieben.

Indoktrination und Isolation

Der van Gogh-Mörder ist das Produkt solch einer Schule. In anderen Teilen Europas können ebenso ähnliche Radikale erzogen werden, bei denen religiöse Indoktrination zusammen mit gesellschaftlicher Isolation und Benachteiligung zu Terrorismus führen können. Man wird dies nie ganz verhindern können, aber man sollte die Gefahr reduzieren, indem man jeder Minderheit - auch der muslimischen - das Gefühl gibt, "mit dazu" zu gehören. Damit hilft man diesen Minderheiten, aber ebenso auch der Allgemeinheit.