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Generation Casting

22. Oktober 2009

Keine Generation kennt es so gut, getestet und bewertet zu werden wie die heutigen Studenten. Egal, ob es dabei um die Uni, die Wohnung, das Praktikum oder ums Internet geht: Casting ist angesagt.

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Bewerbungsschreiben(Foto: Bilder Box)
Bild: Bilderbox

Mit dieser Thematik befasst sich das jetzt erschienene Buch "Das Leben ist kein Ponyhof: Die unbekannte Welt der Abiturienten" von Lara Fritzsche:

Aufstehen, Computer hochfahren, die neuen Inserate checken – jeden Tag das Gleiche. Klingt die angebotene Wohnung vielversprechend, wird umgehend angerufen. Tims Technik ist bestechend einfach: "Kann ich sofort vorbeikommen?" fragt er. Es klappt. Er hat drei Besichtigungen noch am selben Tag. Dass die Suche nach dem Wohngemeinschafts-Zimmer in etwa so langwierig und fordernd sein kann wie das Bewerbungsverfahren einer Elite-Uni, davon hat Tim schon gehört.

Doch der angehende Student nimmt es gelassen. Genau wie Alexa und Sophia, seine beiden Freundinnen aus der Schulzeit. Sich bewerben, bewerten und getestet zu werden, das kennen sie schon, seit sie auf einem Kölner Gymnasium angenommen wurden. Gemeinsam mit der Abschlussklasse ihres Abiturjahrgangs haben sie der Bonner Journalistin Lara Fritzsche ein Jahr lang Einblick in ihr Leben gegeben. Dabei herausgekommen ist das erste Buch über die "unbekannte Welt der Abiturienten".

Bloß keine Fehler machen

Die Bonner Journalistin Lara Fritzsche, Autorin des 2009 erschienenen Buches 'Das Leben ist kein Ponyhof. Die unbekannte Welt der Abiturienten'. (Foto: privat)
Lara FritzscheBild: privat

"Aufgewachsen in den neunziger Jahren, empfindet diese Generation Wettbewerb als einzig denkbare gestaltende Kraft", sagt Lara Fritzsche. Kein Wunder, macht heutzutage doch knapp die Hälfte eines Geburtenjahrgangs in Deutschland Abitur. Vor 15 Jahren waren es nur 33 Prozent. "Worüber sich Bildungspolitiker freuen, bedeutet für die jungen Leute nur eines: mehr Konkurrenz", erklärt Fritzsche.

Dennoch wird der Bewerbungsmarathon um ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft am Studienort mit Humor genommen. So führten die Abiturienten in ihren Internetblogs die abstrusesten Fragen und Psychotests auf, um sich darüber zu amüsieren. Dass Studenten potenzielle Mitbewohner nicht nur mündlich auf Herz und Nieren prüfen, sondern sie auch Fragebögen ausfüllen und Fotos von sich präsentieren lassen, stellen sie laut Fritzsche aber nicht in Frage.

Das Leben ist kein Ponyhof

Studieninteressentinnen informieren sich auf der bundesweiten Abi-Messe 'Einstieg' in Köln (Foto: Einstieg GmbH)
Auf WohnungssucheBild: Einstieg GmbH

Schließlich sollen die WG-Bewohner perfekt harmonieren, wie überhaupt alles möglichst reibungslos und ohne großen Zeitverlust vonstatten gehen soll. "Zeit verlieren, Fehler machen – dieser Gefahr wollen sich die meisten Abiturienten nicht aussetzen", sagt die 25-jährige Journalistin. "Dann lieber vorsortieren und sich auf Wagnisse gar nicht einlassen." Getreu dem Motto ihres Buches "Das Leben ist kein Ponyhof". Realistisch und abgeklärt sähen die Abiturienten die Welt. Nicht wie kleine Mädchen, die von Pferden schwärmen.

Ob es sich um das Studium, den künftigen Beruf, ein Stipendium oder auch nur um den Studienort handelt – die "Generation Casting" ist folglich bestens informiert und tauscht sich ausgiebig in sozialen Online-Netzwerken wie "Facebook" oder "Studi-VZ" darüber aus. Effizienz und Kontrolle sei das Zauberwort dieser Generation, meint Fritzsche. So gebe es junge Studenten, die sich bereits vor einer Party online über die Gäste informierten und überlegten, mit wem sie sich dann unterhalten wollten."Der Zufall wird abgeschafft", sagt Fritzsche.

Hoffnungslos romantisch in Sachen Liebe

Ein junges Paar schmust zusammen verliebt im Bett (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ ZB

Nur in einer Hinsicht sind die Abiturienten von heute hoffnungslos romantisch. "Sie alle glauben an die große und einzigartige Liebe", erzählt die Journalistin und schreibt in ihrem Buch:

Eine enge Liebe leben, aber flexibel bleiben. Für immer. "Weniger will ich nicht akzeptieren. Dann würde ich es eher sein lassen", sagt Jan. Es sein lassen? Was denn? "Ja, das mit der Liebe", antwortet er prompt. Um die idealen Bedingungen zu schaffen, wollen die beiden zusammenziehen. Denn mit der gemeinsamen Wohnung soll es leichter werden: das Sichverwirklichen und Beisammensein. Und wenn es funktioniert, dann kommt der nächste Schritt: Kinder.

Doch vorher muss noch das Casting bestanden werden: für die gemeinsame Wohnung, den Studienplatz, den zukunftsträchtigen Job. Schließlich ist das Leben kein Ponyhof.

Buchhinweis: Lara Fritzsche: Das Leben ist kein Ponyhof, Die unbekannte Welt der Abiturienten, Kiepenheuer & Witsch, 17,95 Euro.

Autorin: Sabine Damaschke

Redaktion: Conny Paul