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Genie und Gemüse

Rick Fulker6. September 2012

"Eigensinn" lautet das Motto des diesjährigen Beethovenfests in Bonn, der Geburtsstadt des Komponisten. Im Mittelpunkt stehen zeitgenössische Ausnahmekünstler, die mit Erfolg eigene Wege gehen.

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Die Musiker Stefan Kühn am Wasser-Meerrettich, Nikolaus Gansterer an der Mohrrüben-Flöte und Ernst Reitermaier am Gurkophon (v.l.) vom "ersten Wiener Gemüseorchester" Foto: dpa/lnw
Bild: picture-alliance/dpa

Warum geht man - in einer Zeit maximaler medialer Verbreitung von Musik - noch in einen Konzertsaal, um Künstler zu hören, die live Repertoirewerke vergangener Jahrhunderte spielen? Eine Antwort gibt das Beethovenfest 2012, wo Einmaliges, Unerwartetes und Unerhörtes geboten wird. Das diesjährige Motto "Eigensinn" spielt auf die Auswahl der Künstler an, stammt jedoch ursprünglich aus einem Satz, den Ludwig van Beethoven 1820 notierte: "Wahre Kunst ist eigensinnig, lässt sich nicht in schmeichelnde Formen zwängen."

Wenig schmeichelnd mutet das Motto auf den ersten Blick an: nicht leicht übersetzbar und fast mit negativen Assoziationen behaftet. Festivalintendantin Ilona Schmiel spielte im Interview mit der DW bewusst auf die Widerborstigkeit des Mottos an: "Eine Demokratie lebt von Kompromissen. Sie begann zu Beethovens Zeit eine bürgerliche Gesellschaft zu installieren, ist aber auf der anderen Seite sehr kunstfeindlich. Gerade die Künstler, die ihr Leben lang versucht haben, sich selber zu steigern und ihre eigenen Aussagen zu schärfen und zu vertiefen, sind am Schluss die Erfolgreichsten. Das zeigt die Geschichte."

Große Namen, individuelle Ansätze

Bei den 66 Veranstaltungen vom 7. September bis zum 7. Oktober treten Künstler auf, die als durchaus "eigensinnig" beschrieben werden können: Da ist der lettische Dirigent Andris Nelsons, erst Mitte 30, der das Eröffnungskonzert leitet, oder der schwedisch-amerikanische Maestro Herbert Blomstedt, 85 Jahre alt, der mit Beethovens "Missa solemnis" auftritt.

Und besagten Eigensinn sagt man auch dem 54-jährigen finnischen Dirigenten und Komponisten Esa-Pekka Salonen nach, der den Zyklus aller neun Beethoven-Sinfonien zum Ende des Festivals dirigiert. Die drei Dirigenten-Generationen demonstrieren durchaus unterschiedliche Erfahrungsschätze und individuelle Interpretationen.

Esa-Pekka Salonen, finnischer Dirigent und, Komponist Foto: dpa-Fotoreport
Der Finne Esa-Pekka Salonen hat seinen eigenen KopfBild: picture-alliance/dpa

Cage, Schönberg, Beethoven

Die "Cage Nacht" beim Beethovenfest huldigt dem vielleicht eigensinnigsten aller modernen Komponisten, dem Amerikaner John Cage, der am 5. September 2012 100 Jahre alt geworden wäre. Zehn Tage nach dem Jubiläumstag finden acht Konzerte an drei Orten in der Bonner Museumsmeile statt. Dabei kann der Besucher teilweise von einem zum anderen wandern und ganz im Sinne des Komponisten sein eigenes "Happening" erleben.

Susanne Kessel wirkte am Konzept des Events mit, bei dem der Komponist nicht nur aufgeführt wird, sondern seine revolutionären Ideen sogar weiter entwickelt werden. "Ich glaube, Cage wird noch 1000 Jahre Potential haben, weil das Kreativvorlagen sind, die in jeder Zeit genutzt werden können", sagte die Bonner Pianistin. "Wenn man den Alltag mit einbezieht, wird Cage immer aktuell und immer anders klingen."

Ein weiterer Komponist, der im 20. Jahrhundert den eigensinnigen künstlerischen Ansatz Beethovens weiter entwickelte, ist der Österreicher Arnold Schönberg, dessen "Gurrelieder" beim Fest aufgeführt werden und dem im umfangreichen Rahmenprogramm die Ausstellung "Beethoven und Schönberg" gewidmet ist. Christian Meyer, Direktor des Arnold Schönberg Centers in Wien, unterstrich die Parallele zwischen den beiden Tonschöpfern: "Eigensinn hat nur einen Sinn, wenn er für etwas steht", findet er. "Beethoven und Schönberg stehen für die Wahrhaftigkeit des Ausdrucks. Sie stehen für eine große Ehrlichkeit im künstlerischen Schaffen, für das es sich gelohnt hat, eigensinnig zu sein, auch wenn es anderes verlangt war."

Arnold Schönberg (Foto: Alban Berg society)
Arnold Schönberg komponierte die "Gurre-Lieder"Bild: Alban Berg Society

Unerhört, ungesehen, ungegessen

Eigensinnig kann auch eine Konzertformat sein. Ungewöhnliches in diesem Sinne bietet das Beethovenfest etwa mit einem choreographierten Konzert, in dem Solistin, Orchester und Tanztruppe Vivaldis "Vier Jahreszeiten" auch körperlich und räumlich darstellen. Geradezu skurril ist dagegen die Veranstaltung "Paprika, Zucchini & Co", in der ein Gemüseorchester aus Österreich auf Essbarem (mit Klangverstärkung) musiziert; das Ergebnis, von Klassik bis hin zu Techno, ist nach einhelliger Meinung durchaus genießbar.

Ungewöhnlich - zumindest für ein Fest mit Beethoven im Namen - ist ebenfalls der Auftritt des Rappers "Samy Deluxe & Tsunami Band". Im Rahmen eines preisgekrönten Schülermanagerprojekts organisieren zehn Bonner Jugendliche den Auftritt des bekannten HipHop-Stars und lernen so alle Facetten einer Konzertveranstaltung kennen. 

Samy Deluxe (Photo by Christian Jakubaszek/Getty Images for EMI)
Auch Rapper Samy tritt beim Beethovenfest aufBild: Getty Images

Festival (noch) ohne Festspielhaus

Fast eigensinnig mutet das jahrelange Streben nach einem neuen Konzertort in Bonn an, einer mittelgroßen Stadt, die mit den kulturellen Hochburgen Köln und Ruhrgebiet konkurrieren möchte. Das Thema schien ausgereizt, das Projekt fast aufgegeben. Nun hat der Bonner Bürgermeister Jürgen Nimptsch im Vorfeld des Festivals erneut konkrete Hoffnungen nach einem Bonner Festspielhaus wach werden lassen: "Ich bin absolut dafür, weil es sonst die Vernachlässigung einer Gelegenheit wäre, um die uns die ganze Welt beneidet", betonte er. "Deshalb muss es dazu kommen."

Allein von der Zustimmung des Bürgermeisters hängt es bei dieser Privatinitiative freilich nicht ab, doch Nimptsch verrät: "Es wird in den nächsten Wochen darum gehen, eine rechtssichere Basis für die Kreditsicherung herzustellen." In Bezug auf den 150. Geburtstag Ludwig van Beethovens im Jahr 2020 nennt der Politiker sogar einen konkreten Termin: "Wenn man zurück rechnet und wenn man ein Jahr vor dem Geburtsjahr das Opening durchführen will, um eine neue Halle auch zu testen, dann müsste eine Bauvoranfrage in der ersten Hälfte des Jahres 2013 gestartet werden. Und das wollen wir auch erreichen."

Bonner OB Jürgen Nimptsch vor dem Alten Rathaus in Bonn. Foto: Felix Heyder (c) dpa - Bildfunk
OB Jürgen Nimptsch kämpft für ein FestpielhausBild: picture-alliance/dpa