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Kirche gegen Blasphemie

28. Juli 2010

Die orthodoxe Kirche in Georgien verlangt ein neues Gesetz, um gegen Blasphemie und Satanismus vorzugehen. Der Streit zwischen religiösen Hardlinern und liberalen Aktivisten entzündete sich an einem satirischen Buch.

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Christen entzünden Kerzen beim Osterfest in einer orthodoxen Kirche in Tiblissi (Foto: AP)
Die Kirche ist tief in der Gesellschaft verankertBild: AP

Messen in den Kirchen der georgischen Hauptstadt Tiflis sind stets gut besucht. Die meisten Georgier pflegen ihre orthodoxe christliche Religion und die Kirche gilt mit weitem Abstand als die am meisten respektierte Institution in dieser sozialkonservativen Gesellschaft. Wenige wagen es, das religiöse Establishment zu kritisieren oder gar sein Oberhaupt, den beliebten Patriarchen Ilias II. anzugreifen.

Patriarch Ilia II, Oberhaupt der Orthodoxen Kirche Georgiens (Foto: dpa)
Patriarch Ilia fordert staatliches Eingreifen gegen GotteslästerungBild: picture-alliance / dpa

Aber jüngst sieht sich die Kirche mit Angriffen konfrontiert. Man wolle ihre Autorität untergraben und ihren Einfluß in Georgien zurückdrängen. Grund dafür ist ein satirisches Buch, das die orthodoxe Kirche verhöhnt. Im Fernsehen erklärte der Pressesprecher des Patriarchen, dass die Kirche zwar gegenseitiges Verständnis großschreibe, aber nicht gut heißen könne, wenn Morallosigkeit, Gemeinheit und Satanismus gefördert würden.

Homosexualität als Tabubruch

Er forderte die Behörden auf, "so schnell wie möglich ein Gesetz zu verabschieden, welches die Bevölkerung vor Obszönität schützt". Es gelte, "die Würde und religiösen Gefühle von Einzelnen und der ganzen Gesellschaft" zu schützen und damit den Frieden und das Wohl der Bürger.

Die Kontroverse um das Buch wurde bereits gewalttätig, als orthodoxe Hardliner eine Demonstration für Meinungsfreiheit tätlich angriffen. Sie bezeichneten das umstittene Buch als blasphemisch und waren erzürnt, weil es ihrer Meinung nach Homosexualität fördere.

Sofia Nizharadze wahrend des Eurovision Song-contest in Oslo 2010: Um den Hals ein Kreuz. Am Kragen des Musikers, die Flagge Georgiens (Foto: dpa)
Auch Georgiens Popkultur kommt ohne Bezug auf Kirche und Vaterland nicht ausBild: picture-alliance/dpa

Nana Devdariani eine der führenden Aktivistinnen der so genannten Orthodox-Christlichen Volksbewegung, beruft sich auf moralische Standards: "In diesem Land haben wir orthodoxe moralische Standards. Aber diese moralischen Werte werden hier jeden Tag gewaltsam untergraben." Für sie als religiösen Menschen gebe es feste Regeln. "Es ist aber ein Prozess im Gange, in dem die Grenzen zwischen dem, was verboten ist, und was nicht, aufgelöst werden. Für Kinder, die verletzlich sind, ist das eine starke Bedrohung," warnt Devdariani.

Drohungen zwingen Verfasser in den Untergrund

Nachdem die Kontroverse losbrach, versteckte sich der Autor des Buches, der 19-jährige Erekle Deisadze. Aber bevor er von der Bildfläche verschwand, verteidigte er sein Werk: Er habe versucht, Dinge anzusprechen, die in Georgien so nicht offen diskutiert werden. Dazu wählte er die Form der Videobotschaft - in schlechter Qualität im Internet.

Deisadze sagt, sein Buch widme sich aktuellen Fragen, wie "sexuellen und religiösen Minderheiten und patriotischen Trainingslagern der Regierung für die Jugendlichen." Die heftigen Reaktionen auf sein Buch erklärt er dadurch, dass es Themen aufgreife, die "die ganze Gesellschaft aber auch jeden einzelnen Georgier verunsichern und schmerzen."

Demonstranten mit georgischen, EU und NATO Flaggen, protestieren in Tiblissi gegen die Russische Besetzung Südossetiens (Foto: ap)
Wieviel Pluralismus ist in Zeiten nationaler Mobilisierung erlaubt?Bild: AP

Für viele Menschen in Georgien war das Christentum eine der wenigen Stützen - in Jahren des Chaos und der Kriege, die nach dem Zerfall der Sowjetunion folgten. Aber viele Liberale glauben, dass die Kirche seitdem zuviel Einfluss gewonnen hat.

Ist die Meinungsfreiheit in Gefahr?

Sandro Tarkhan-Mouravi hat die Proteste für Meinungsfreiheit mitorganisiert. Er befürchtet allerdings, dass die Mehrheit der einfachen Georgier, die Forderungen der Radikalen nach mehr Zensur teilen, denn die Kirche sei sehr mächtig: "Deshalb besteht ganz real die Gefahr, dass Zensur Wirklichkeit wird. Ich befürchte dass die öffentliche Meinung diesen Extremisten loyal gegenübersteht. Wenn sie sagen, dass man die Kirche nicht kritisieren darf, oder Religion nicht hinterfragen - dann unterstützen die meisten Menschen solche Ansichten."

Präsident Michail Saakashvili küßt die Hand des Partiarchen Ilia II anläßlich der Eröffnungszeremonie der heiligen Trinitatiskathedrale in Tibilissi 2004 (Foto: dpa)
Kann die Politik sich von der Macht des Klerus emanzipieren?Bild: picture-alliance/ dpa

Gerade deshalb müsse die liberale Minderheit in Georgien für die Meinungsfreiheit aufstehen, denn falls sich die Gesellschaft bereiterkläre nicht mehr über Religion zu sprechen, sei das "ein gefährlicher Präzendenzfall". Als nächstes könnten Journalisten genötigt werden, "nicht mehr kritisch über die Regierung zu berichten, oder die Kultur, oder andere Themen."

Die Jugend interessiert die Diskussion wenig: In der Hauptstadt Tiflis spielen DJs neueste Techno-Tracks in den angesagten Nachtclubs. Die jungen Leute tanzen enthusiastisch. Das ist die andere Seite des modernen Georgiens - Eine Gesellschaft die sich ändert, die sich modernen westlichen Einflüssen öffnet.

Autor: Matthew Collin/ Fabian Schmidt
Redaktion: Nicole Scherschun