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Fotopionierin Gerda Taro

Die Fragen stellte Klaudia Prevezanos24. Juli 2012

Durch ihre Arbeit im Spanischen Bürgerkrieg schuf Gerda Taro zusammen mit Robert Capa die moderne Kriegsfotografie. Vor 75 Jahren starb die Stuttgarterin im Gefecht. Biografin Irme Schaber über eine ungewöhnliche Frau.

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Porträt Gerda Taro (ca. 1927/28)
Gerda Taro Fotografin Krieg Collection Irme SchaberBild: Collection Irme Schaber

Deutsche Welle: Gerda Taro starb vor 75 Jahren, am 26. Juli 1937. In Deutschland ist die in Stuttgart geborene Fotografin noch immer wenig bekannt. Was war das Besondere an ihr?

Irme Schaber: Als Bildberichterstatterin im Spanischen Bürgerkrieg gelangen ihr einige der dramatischsten und am häufigsten veröffentlichten Bilder dieses Krieges. Gerda Taro war die erste Fotografin, die inmitten der Kampfhandlungen Bilder machte. Diese Nähe zum Geschehen setzte Maßstäbe für die fotografische Kriegsberichterstattung und kostete sie das Leben. Der erste Todesfall während einer Kriegsreportage erregte weltweit Aufmerksamkeit. Sie hatte als Frau und Fotografin Neuland beschritten.

Biografin Irme Schaber mit Katalog der Taro-Ausstellung des International Center of Photography in New York
Biografin Irme Schaber mit Katalog der Taro-Ausstellung des International Center of Photography in New YorkBild: Collection Irme Schaber

Gerda Taro hat nur ein Jahr lang als Fotoreporterin aus dem Spanischen Bürgerkrieg berichtet: Welchen Einfluss hatte ihre Arbeit trotzdem auf die Fotografiegeschichte?

Sie hat in dieser kurzen Zeitspanne zusammen mit ihrem Partner Robert Capa und mit David Seymour die moderne Kriegsfotografie, wie wir sie heute kennen, entwickelt. Alle drei haben versucht, mit den neuen, leicht transportablen Kleinbildkameras nah dran zu sein. Und sie haben Partei ergriffen. Als jüdische Emigranten haben sie gegen den spanischen Diktator Francisco Franco und seinen Verbündeten Hitler Stellung bezogen. Diese Nähe, das Risiko und Engagement ließen das Millionenpublikum der Illustriertenpresse an Krieg und Revolution teilhaben. Der Spanische Bürgerkrieg war medien- und waffentechnisch ein Testlauf vor dem Zweiten Weltkrieg.

Lange nach ihrem Tod galt Taro nur als Capas Liebesbeziehung, nicht als Arbeitspartnerin. Wann änderte sich das?

Das änderte sich erst 1994 durch meine Forschungsarbeit und die Berichte, die ich von Zeitzeugen weitergeben konnte. Als meine Biografie über Taro erschien, reagierte die internationale Fotofachwelt recht schnell und platzierte sie neben Capa. Schließlich waren ihre Fotos damals prominent veröffentlicht worden: im amerikanischen "Life"-Magazin, in englischen und französischen Zeitungen, in holländischen und Schweizer Illustrierten und so weiter. Seit 2007 in Mexiko City der so genannte Mexikanische Koffer gefunden wurde, ein Koffer mit Tausenden verloren geglaubter Negative von Capa, Taro und Seymour, weiß man von vielen Aufnahmen, die ursprünglich Capa zugeordnet wurden, dass sie die gemacht hatte. In der kurzen Zeit an der spanischen Front war Taro absolut erfolgreich. Heute würde man sie als Shooting Star bezeichnen.

Capas wohl berühmtestes Bild ist "Tod eines spanischen Milizionärs" vom 5. September 1936: Taro war dabei, zeitweise dachte man sogar, das Foto stamme von ihr
Capas wohl berühmtestes Bild ist "Tod eines spanischen Milizionärs" vom 5. September 1936: Taro war dabei, zeitweise dachte man sogar, das Foto stamme von ihrBild: dpa

Hat sich der Blick auf Robert Capa durch die Forschung über Gerda Taro verändert?

Ich würde sagen, der Blick auf Robert Capa ist differenzierter geworden. Er war der Kriegsfotograf des 20. Jahrhunderts. Aber er war nicht alleine. Die drei Fotografen Taro, Capa und "Chim" Seymour standen gemeinsam am Anfang der modernen Kriegsfotografie. Alle drei sind bei ihrer Arbeit getötet worden: Taro war 1937 in Spanien die erste, Capa starb 1954 im Indochina-Krieg und  Chim 1956 im Suez-Krieg. Die Team-Erfahrung führte dazu, dass Capa und Chim nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ein Fotografen-Kollektiv gründeten: die bis heute weltweit profilierte Fotoagentur Magnum. Das weit verbreitete Bild von Capa als einsamem Helden hatte mit der Wirklichkeit nicht viel zutun. Doch die Geschichte ist nun fast noch spannender als zuvor.

Gerda Taro wurde 1910 geboren und starb mit 26 Jahren jung: Was waren Besonderheiten in ihrem Lebenslauf?

Sie ist 1910 in Stuttgart als Gerta Pohorylle zur Welt gekommen, als Tochter jüdischer Kaufleute aus Galizien. Darum hatte sie einen polnischen Pass. Ihre Kindheit war vom Krieg geprägt, an ihrem vierten Geburtstag begann der Erste Weltkrieg, als sie acht war, gab es Luftangriffe auf Stuttgart. Sie hatte eine gediegene Schulausbildung, inklusive Pensionat für höhere Tochter in der Schweiz. 1929 zog die Familie nach Leipzig. Dort führte das Erstarken der Nationalsozialisten zu einer rasanten Politisierung. Taros Leipziger Freundeskreis war, anders als in Stuttgart, durchweg politisiert und stammte aus dem assimilierten jüdischen Bürgertum. Gleich im Frühjahr 1933 - kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten - wurde sie wegen Flugblattaktionen verhaftet. Sie hat mit ihrem Widerstand auf die Polarisierung im Land reagiert und darauf, dass sie als Jüdin stigmatisiert wurde. Das Spannende an ihrer Biografie ist die enge Verzahnung von Zeitgeschichte und Lebensgeschichte, der Wechselprozess von politischem Geschehen und der privaten Existenz.

Bei einem Unfall mit einem Panzer der republikanischen Truppen in Spanien wurde Taro am 25. Juli 1937 tödlich verletzt: Darstellung auf US-Kaugummisammelkarte (1938)
Beim Unfall mit einem Panzer der republikanischen Truppen wurde Taro tödlich verletzt: Darstellung auf US-Kaugummisammelkarte (1938)Bild: Unbekannt

Wann hat Taro Deutschland verlassen?

Im Herbst 1933 ging sie nach Paris. Dort im Exil lernte sie den ungarischen Fotografen Endré Ernö Friedmann kennen, beide verliebten sich. Taro begann zu fotografieren, bald lebten und arbeiteten sie zusammen. Gerta Pohorylle bekam einen Job als Bildagentin. Denn im Gegensatz zu Friedmann sprach sie fließend Englisch und Französisch. Sie hatte die Idee mit den Hollywood-tauglichen Künstlernamen, um das Flüchtlingsimage loszuwerden. Das war die Geburt von Gerda Taro und Robert Capa. Etwa um dieselbe Zeit, im Februar 1936, bekam sie ihren ersten Presseausweis. Wenige Monate später berichtete das junge Fotografenpaar bereits aus dem Spanischen Bürgerkrieg, in dem republikanische Truppen gegen die Soldaten des faschistischen Franco kämpften.

Sie haben für Ihre Biografie über Gerda Taro auch mit Zeitzeugen gesprochen: Wie würden Sie sie auf dieser Basis als Mensch beschreiben?

Ich habe sehr viele Freunde, Freundinnen und Wegbegleiter befragt, das war entscheidend für die Biografie, weil sonst die Lebensgeschichte von Taro gar nicht hätte rekonstruiert werden können. Die Befragten beschrieben Gerda Taro als sehr lustig, lebensfroh, als offen und humorvoll. Sie hatte viele Freunde, man hat viel Spaß miteinander gehabt. Darüber hinaus wird sie als eine sehr schöne junge Frau, eine lässige Schönheit beschrieben, meistens eine elegante Erscheinung.

Robert Capa hatte später einige Beziehungen, aber kaum welche von Dauer: Kam er Ihrer Meinung nach über Taros frühen Tod nicht hinweg?

Das wurde von vielen seiner Bekannten so beschrieben. Gerda Taro war seine große Liebe, seine Frau. Robert Capa hat Gerda Taro nach ihrem Tod als Privatangelegenheit betrachtet und ihr kein öffentliches Andenken geschaffen. Er hat sehr gelitten und wollte wohl die private Beziehung nicht in den Medien sehen. Das war jedoch nicht die einzige Ursache dafür, dass Taros Bilder erst einmal in Vergessenheit geraten sind. Wichtiger erscheint mir, dass bald nach dem Spanischen Bürgerkrieg der Zweite Weltkrieg begann, den Capa fotografierte und der mediengeschichtlich alles überlagerte. Außerdem war Capa selbst nach dem Zweiten Weltkrieg in Schwierigkeiten, als in den USA die Kommunistenverfolgung unter Senator Joe McCarthy einsetzte. Alle Unterstützer des Spanischen Bürgerkrieges gehörten dazu, und Capa hatte zeitweise US-Einreiseverbot. Ich habe in meinem Buch aufgezeigt, dass Capa deshalb nachträglich eine Art Arbeitsteilung installiert hat: "Ich war der Fotograf und Gerda die Kommunistin". Über Taro hat die US-Ermittlungsbehörde FBI noch 1949, zwölf Jahre nach ihrem Tod, eine Akte angelegt. Zu der Zeit war Capa noch keineswegs der erfolgreiche Mythos. Es war eine Zeit der Bedrängnis. Dadurch ist Taro in der Versenkung verschwunden, bekanntlich jedoch auch, weil sich später die Bilder unter dem Namen Capa besser verkaufen ließen.

Er gilt als der Fotograf des 20. Jahrhundert: Robert Capa - Retrospektive in Berlin 2005
Er gilt als der Fotograf des 20. Jahrhundert: Robert Capa - Retrospektive in Berlin 2005Bild: AP

Irme Schaber ist Kulturwissenschaftlerin und lebt in der Nähe von Stuttgart. Ihr Themenschwerpunkt ist Exilforschung und Fotografie. Sie hat fünf Jahre lang über Gerda Taro geforscht und weltweit Zeitzeugen befragt. 1994 veröffentlichte sie ihre Arbeit. 2007 zeigte das International Center of Photography (ICP) in New York, das unter anderem den Nachlass von Robert Capa verwaltet, die erste Ausstellung über Taros Arbeit. Schaber hat die Retrospektive kuratiert, die unter anderem 2010 - zum 100. Geburtstag von Taro - in Stuttgart zu sehen war. Für das ICP hat Schaber zudem das Bildarchiv über Taro angelegt.

Literatur: "Gerda Taro. Fotoreporterin im Spanischen Bürgerkrieg" von Irme Schaber (Jonas Verlag 1994, derzeit nur antiquarisch)

Im März 2013 erscheint eine Neuauflage: "Gerda Taro, Fotoreporterin: Mit Robert Capa im Spanischen Bürgerkrieg. Die Biografie" von Irme Schaber (Jonas Verlag)