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Gereizte Debatte um Vertriebenen-Charta

5. August 2010

Die Feier zum Gedenken an die vor 60 Jahren verkündete Charta der deutschen Heimatvertriebenen löst neuen Streit über die Ziele der Vertriebenen in der Nachkriegsära aus. Deren Präsidentin beteuert Willen zur Versöhnung.

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Steinbach (M.) im Kreise Heimatvertriebener in Egerländer Trachten (Foto:dpa)
Steinbach (M.) im Kreise Heimatvertriebener in Egerländer TrachtenBild: picture alliance/dpa

Die Feierstunde des deutschen "Bundes der Vertriebenen" (BdV) in Stuttgart hatte noch nicht begonnen, da hagelte es bereits bittere Kritik aus Berlin. Vor allem Politiker von Grünen und Linken deklamierten anlässlich des Gedenkens an die Charta der Heimatvertriebenen, diese Erklärung vom August 1950 sei Ausdruck von "Revanchismus" und von "Verdrängung der NS-Diktatur". Dies wies die BdV-Präsidentin Erika Steinbach vehement zurück.

Die Charta sei im Gegenteil eine "eindeutige Absage an Revanche und Gewalt", so Steinbach bei dem Festakt im Neuen Schloss in Stuttgart-Cannstatt. Aus keinem einzigen Satz der Deklaration habe "Hass gegenüber den Nachbarvölkern" gesprochen. Sinn und Aufgabe habe es sein sollen, gegen das Unrecht der Vertreibung zu protestieren, "aber auch den Willen zur Versöhnung und zum Wiederaufbau Deutschlands zu bekunden". Der Wert der Charta lasse sich "nur ermessen, wenn man sich in ihre Zeit hineinbegibt", hielt Steinbach ihren Kritikern entgegen.

Einhellige Absage an neuen Gedenktag

Portait Lammert (Foto:ap)
Bundestagspräsident Lammert von der CDU gegen "routinemäßige" GedenktageBild: AP

Sie bekräftigte die Forderung des Vertriebenenbundes, den 5. August zu einem "Nationalen Gedenktag für die Opfer der Vertreibung" zu machen, was aber parteiübergreifend auf Ablehnung stößt. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte, es gebe inzwischen so viele routinemäßige Jahrestage, dass der "eigentliche Zweck" solcher Gedenktage damit "eher versperrt als wirklich akzentuiert" werde. Der Bundesrat hatte sich der Forderung Steinbachs 2003 angeschlossen, war bei der damaligen rot-grünen Bundesregierung jedoch auf Ablehnung gestoßen.

Auch der Abgeordnete Volker Beck von den Grünen stellte sich gegen einen weiteren Gedenktag. In der Charta werde die Vorgeschichte des Nationalsozialismus "mit keinem Wort erwähnt", rügte der parlamentarische Geschäftsführer in Berlin. Sie suggeriere, dass die "Vertreibung der Deutschen im historisch luftleeren Raum stattgefunden" habe. Fehl am Platz sei auch der in der Charta ausgesprochene Verzicht auf Rache und Vergeltung. Auf beides habe es schließlich nie zuvor einen Anspruch gegeben.

Vorwurf: Deutsche NS-Verbrechen verschwiegen

Portrait Beck (Foto:ap)
Beck von den Grünen: Charta ist historisch einseitigBild: AP

Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke kritisierte die Charta als "Dokument des Revanchismus". In dem Text würden die Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg "verschwiegen und verharmlost", nämlich der "Rassevernichtungskrieg der Wehrmacht" in Osteuropa und "schließlich der Holocaust". Das angebliche Bekenntnis zu Versöhnung und Frieden sei nur schwer herauszulesen.

Dagegen würdigte der CSU-Vertriebenenexperte Stephan Mayer die Charta sogar als "einmaliges Dokument der Versöhnung". Deshalb seien Vorwürfe des Revanchismus deplaziert und schadeten dem gesamten Bild Deutschlands im Ausland. Auch der Historiker Hans-Ulrich Wehler verteidigte die Charta. Sie habe eine Brücke gebaut, "auf der sich auch die Vertriebenen in dem neuen Staat Bundesrepublik bewegen konnten".

Buh-Rufe für Westerwelle

Steinbach auf Westerwelle einredend (Foto:dpa)
Steinbach (l.) gab sich gegenüber Westerwelle diesmal versöhnlichBild: picture alliance/dpa

Gleich der Beginn des Charta-Festaktes war durch ein heikles Szenario geprägt: Der Steinbach-Kritiker Außenminister Guido Westerwelle wurde mit etlichen Buh-Rufen empfangen. Grund dürfte der lange politische Streit um die Besetzung des Stiftungsrats der geplanten Vertriebenen-Gedenkstätte in Berlin gewesen sein. Der FDP-Chef hatte nach Protesten aus Polen sein Veto gegen die Berufung Steinbachs eingelegt. Steinbach hatte letztendlich verzichtet. In Stuttgart gab sie sich souverän und begrüßte Westerwelle: "Es ist ein gutes Signal der Verbundenheit und der Wertschätzung, dass Sie da sind."

Die Charta war am 5. August 1950 in Stuttgart von 30 Vertretern der deutschen Heimatvertriebenen unterzeichnet und am folgenden Tag auf einer Massenkundgebung vor dem Stuttgarter Schloss mit mehr als 150.000 Teilnehmern verkündet worden. Das sogenannte Grundgesetz der Vertriebenen fordert unter anderem, "dass das Recht auf die Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit anerkannt und verwirklicht wird".

Autor: Siegfried Scheithauer (afp,ap,epd) / Redaktion: Sabine Faber