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Gericht stoppt Abschiebung

Rayna Breuer13. Juli 2012

Eine aus Italien nach Deutschland gekommene Asylbewerberfamilie darf nicht zurückgeschickt werden: Das entschied ein Stuttgarter Gericht. Begründung: die "unmenschliche und erniedrigende Behandlung" in Italien.

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Asylbewerber vor einem Wohnheim der Zentralen Ausländerbehörde des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree) (Foto: Patrick Pleul)
Bild: picture alliance/ZB

"Die große Mehrheit der Asylsuchenden“, so das Gericht, "muss ohne Obdach und ohne gesicherten Zugang zu Nahrung, Wasser und Elektrizität leben". Es bestünden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Italien seine Verpflichtungen nach europäischem und geltendem Völkerrecht nicht erfülle.

Die Betroffenen müssten in Parks oder in leerstehenden Häusern übernachten. Sie würden nur Dank der Hilfe karitativer Organisationen überleben. Im Winter sei die Lage der Flüchtlinge besonders schwierig.

In seinem jetzt veröffentlichten Beschluss vom 02.07.2012 stoppt das Gericht die geplante Abschiebung der aus Syrien stammenden palästinensischen Familie mit drei Kindern. Schon mehrfach haben deutsche Richter ähnliche Urteile verhängt.

Die Dublin-Ausrede

Nach deutschem Asylverfahrensgesetz gelten alle EU-Mitgliedstaaten als sogenannte sichere Drittstaaten. Die Abschiebung von Asylsuchenden in diese Länder ist erlaubt. Wenn ein Asylbewerber also vor seiner Ankunft in Deutschland einen anderen EU-Staat durchquert hat, dann kann er in der Regel ohne weitere Prüfung seines Asylantrags in dieses Land abgeschoben werden. Flüchtlinge müssen also ihre Reiseroute verschleiern oder auf dem Luftweg nach Deutschland kommen.

Asylbewerber im Wohnheim der Zentralen Ausländerbehörde des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree) (Foto: Patrick Pleul)
Asylbewerber in BrandenburgBild: picture-alliance/dpa

Auf dem neuesten Stand ist das Gesetz jedoch nicht. Die deutschen Behörden haben zum Beispiel die extrem schwierige Lage der Flüchtlinge in Griechenland erkannt. Deswegen stoppten sie für ein Jahr die Ausweisung von Asylbewerbern nach Griechenland. Zuvor hatten deutsche Gerichte mehrmals geplante Abschiebungen nach Griechenland untersagt.

Im Fall Italien gibt es noch keine solche grundsätzliche Regelung: "Zwar gibt es Hinweise auf vereinzelte Probleme im Asylsystem, beispielweise in einigen Regionen zu wenig Unterbringungsplätze oder zu kurze Unterbringung. Allerdings gibt es keine Erkenntnisse, dass auf ganz Italien bezogen nicht ausreichende Unterbringungsplätze für Asylbewerber zur Verfügung stehen", sagt Robert Drews vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Deswegen würden für das Bundesamt keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, Änderungen an der aktuellen Praxis vorzunehmen.

Die ist in der sogenannten Dublin-II-Verordnung geregelt. Danach soll ein Asylbewerber nur in einem EU-Land einen Antrag stellen dürfen. Das Land, über das der Asylsuchende einreist, ist für das Verfahren zuständig. Die meisten Flüchtlinge kommen auf Booten über das Mittelmeer und landen an den Küsten Griechenlands, Italiens oder Maltas. "Selbst wenn Griechenland alles richtig machen würde, dann wäre es nach der Dublin-Regelung für die meisten Schutzgesuche aus dem Irak, Iran, Afghanistan und Somalia zuständig ", sagt Karl Kopp von der Flüchtlingshilfsorganisation PRO ASYL. Die Dublin-Regelung schiebe die Verantwortung für die Flüchtlinge aus dem Zentrum an die EU-Staaten an der Außengrenze. Diese seien zum Teil überfordert, zum Teil nicht willens, ein ordentliches Asylsystem aufzubauen, sagt Kopp.

Portätbild von Karl Kopp von PRO ASYL
Karl Kopp: "Wir brauchen eine grundlegende Reform"Bild: PRO ASYL

An einer Änderung des aktuellen Regelwerks sind einige EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, nicht interessiert: "Die Politik will auf Biegen und Brechen an diesem Dublin-System festhalten. Zwar wird derzeit über eine Reform verhandelt, doch im Kern wird alles so bleiben, wie es ist", sagt Kopp. Das werde die Probleme verschärfen. Es dürfe nicht der geografische Zufall der Einreise darüber bestimmen, wo Asyl beantragt werden darf.

Die Gerichte sollen es richten

Allein im vergangenen Jahr wurden 3000 Menschen aus Deutschland in andere EU-Länder abgeschoben. "Wenn Politik so borniert und so engherzig ist, werden es die Gerichte korrigieren müssen. Es darf mit diesem Verschiebebahnhof nicht so weiter gehen", sagt Kopp.

Ein Raum mit Matratzen - Asylunterkunft in Italien (Foto:dpa)
Flüchtlinge in ItalienBild: picture-alliance/dpa

Auf eine klare Linie im Fall Italien konnten sich die deutschen Gerichte jedoch bislang nicht einigen: Zwar haben Gerichte darunter in Karlsruhe, Gelsenkirchen und Magdeburg ähnliche Entscheidungen wie das in Stuttgart getroffen, doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stützt sich lieber auf die Beschlüsse anderer Stellen:

"Tatsache ist, dass sich mehrere Gerichte sehr intensiv mit der aktuellen Situation in Italien auseinandergesetzt haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass eine Überstellung nach Italien rechtmäßig und zumutbar ist", sagt Drews. Aber auch bei Griechenland sei es so gewesen, dass einige Gerichte die Rückführungen gestoppt hätten, und andere nicht, sagt der Menschenrechtler Kopp. "Das sind im Moment alles noch Einzelfallsentscheidungen. Wenn viele Entscheidungen folgen, dann wird sich ein Trend durchsetzen."

Menschen behandelt wie Ping-Pong-Bälle

Etwa 50 Prozent aller Menschen, die in Abschiebeanstalten in Deutschland untergebracht sind, sind sogenannte Dubliner. "Ich habe auf Malta aus Deutschland abgeschobene junge Männer gesehen, die unter wirklich elenden Bedingungen lebten. Damals wohnten sie in aufgeschlitzten Zelten auf der Insel", erzählt Kopp. Der Stuttgarter Gerichtsbeschluss sei ein Ausdruck dafür, dass dieses Dublin System so nicht haltbar sei. Ein System, so Kopp, das die Menschen wie Ping-Pong-Bälle hin und her werfe.

Ein Boot mit vielen Flüchtlingen (Foto: dpa)
Europa - für viele Flüchtlinge ein (Alb)traumBild: picture-alliance/dpa

Im Fall der palästinensischen Familie hat das Gericht Deutschland verpflichtet, die Abschiebung zu stoppen und das Asylverfahren hier fortzusetzen. Der Beschluss ist unanfechtbar.