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"Geschacher" um Clotilde Reiss?

17. Mai 2010

Fast elf Monate stand Clotilde Reiss in der französischen Botschaft in Teheran unter Hausarrest. Jetzt ist sie zurück in Frankreich – doch in Paris ist ein heftiger Streit um die Hintergründe ihrer Freilassung entbrannt.

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Die Französin Clotilde Reiss nach ihrer Freilassung in Paris (Foto:ap)
Die Französin Clotilde Reiss nach ihrer Freilassung in ParisBild: AP

Am Sonntag (17.05.2010) war Clotilde Reiss nach monatelangen Verhandlungen zwischen Paris und Teheran nach Frankreich ausgereist. Reiss war zuvor fast elf Monate wegen Spionagevorwürfen im Iran festgehalten worden. Die 24-Jährige hatte als Französischdozentin an der Universität Isfahan gearbeitet. Sie hatte nach der umstrittenen Wiederwahl Mahmud Ahmadinedschads im Juni 2009 in E-Mails über die Proteste der Oppositionsbewegung berichtet und war auch selbst auf die Straße gegangen. Am Samstag hatte ein Gericht in Teheran Reiss zu einer Geldstrafe in Höhe von 230.000 Euro verurteilt, ihr aber gleichzeitig erlaubt, das Land zu verlassen.

Sechs Monate verloren?

Senegals Präsident Abdoulaye Wade (Foto:dw)
Auch Senegals Präsident Abdoulaye Wade gehörte zu den VermittlernBild: DW

Während die Französin sich erleichtert zeigte, tobt in Frankreich nun jedoch ein Streit über die Hintergründe der Freilassung. Der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade hatte lange zwischen Frankreich und dem Iran vermittelt. Am Montag (18.05.2010) warf er Paris jedoch vor, das Ende der Affäre um ein halbes Jahr hinausgezögert zu haben. Wade sagte der französischen Zeitung "Le Parisien", dass Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad schon im September 2009 einer Freilassung zugestimmt habe. Paris habe ihn jedoch darum gebeten, die Angelegenheit ruhen zu lassen, weil inzwischen "ein anderer Vermittler" eingeschaltet worden sei. Paris hat diese Anschuldigungen jedoch inzwischen zurückgewiesen.

Freilassung als Tauschgeschäft?

Unklar ist, ob die Ausreise der Französin Reiss aus Teheran mit dem Schicksal zweier iranischer Häftlinge in Frankreich zusammenhängt. Paris soll für ihre Freilassung eine Gegenleistung erbracht haben. Schon im September hatte Irans Präsident Ahmadinedschad gefordert, zwei in Frankreich inhaftierte Iraner freizulassen. Der von den USA der Militärspionage verdächtigte Iraner Majid Kakavand durfte vor kurzem in seine Heimat zurückkehren, nachdem Frankreich ein Auslieferungsgesuch der Vereinigten Staaten abgelehnt hatte. Außerdem überlegt Frankreich auch, den Iraner Ali Vakili Rad nach Teheran auszuweisen. Rad war 1994 in Frankreich für den Mord am ehemaligen iranischen Premierminister Schapur Bachtiar zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der Elysée-Palast bestritt jedoch einen Zusammenhang dieser Überlegungen mit der Freilassung von Clotilde Reiss.

Clotilde Reiss während ihrer Gerichtsverhandlung in Teheran (Foto:ap)
Clotilde Reiss während ihrer Gerichtsverhandlung in TeheranBild: AP

Beißende Kritik in Frankreichs Presse

In Frankreichs Medienlandschaft wird dieser Beteuerung aus Regierungskrisen kaum Glauben geschenkt. Von "Le Monde" bis zur "Liberation" spekulieren die französischen Zeitungen darüber, zu welchen Gegenleistungen Paris sich habe hinreißen lassen. "Es handelt sich nicht um eine 'Freilassung', sondern um ein Tauschgeschäft", kritisiert etwa die in Orléans erscheinende "La Republique du Centre", "um einen Kuhhandel mit einer Reihe von mehr oder weniger zweifelhaften Unterhändlern, die eine geostrategische Rolle spielen wollten." Neben Senegals Präsident Wade hatte auch Syriens Staatschef Bassar al-Assad vermittelt. Frankreich habe"einige große Prinzipien mit den Füßen getreten", so dass "die Freilassung einer Geisel wieder einmal Hintergründe hatte, die nichts mit Moral zu tun haben", kritisiert das Blatt weiter. Die in Montpellier erscheinende Zeitung "Midi Libre" meint sogar, dass Irans Präsident Ahmadinedschad Frankreich "meisterhaft manipuliert und herausgefordert" habe: "Er hat die Opposition niedergeschlagen und Clotilde Reiss in dem Moment freigelassen, als es ihm passte - und nur ihm." Umso bemerkenswerter finden die Zeitungen den Umstand, dass die Freilassung der 24-Jährigen kurz vor der Unterzeichnung eines iranischen Atom-Abkommens mit der Türkei und Brasilien am Montag stattgefunden hat. Auch Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte zuvor im Streit um Clotilde Reiss vermittelt.

Autor: Thomas Latschan (afp, ap, dpa)
Redaktion: Ina Rottscheidt