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Geschichten unter dem Affenbrotbaum

Arend Wulff28. Juli 2004

Im Schatten des Baobab, des Affenbrotbaums, erzählt man sich in Afrika traditionell Geschichten. In der Schweiz existiert seit 20 Jahren ein Verein dieses Namens, der Kinderbücher auf Rassismus testet.

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Die meisten Kinderbücher stammen aus Europa oder NordamerikaBild: Bilderbox

Auch in Basel hat der Baobab einen kleinen Ableger. Gepflanzt wurde er von Helene Schär. Sie leitet den Kinderbuchfonds Baobab, der seit 1984 gegen Rassismus in der Kinder- und Jugendliteratur kämpft und gleichzeitig versucht, außereuropäische Erzählkultur in Europa zu etablieren.

Begonnen hat ihre Arbeit am Kinderbuch bei der Entwicklungshilfe-Organisation "Erklärung von Bern" - heute zusammen mit "Terre des Hommes" einer der Träger von Baobab. "Ich war dort Mitglied einer Lesegruppe, die Kinder- und Jugendliteratur zum Thema 'Dritte Welt' bearbeitet hat", erzählt Helene Schär. Diese Lesegruppe ging in Baobab auf. Der Verein gibt jetzt alle zwei Jahre den Kinderbuch-Katalog "Fremde Welten" heraus. Hier werden alle deutschsprachigen Kinderbücher aufgenommen, die einen klaren und differenzierten Blick auf fremde Kulturen werfen.

Kampf gegen Stereotypen

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Kinder sollen mehr lesen - aber das RichtigeBild: dpa

"Wir lesen alle auf Deutsch erschienenen Kinder- und Jugendbücher und fragen uns: Wer ist der Handelnde? Kommt der aus Europa oder aus der beschriebenen Kultur? Ist das Buch stark eurozentristisch?", beschreibt Helene Schär die Arbeit an dem Katalog. Grundlage dabei sind Kriterien, die Ende der 1970er-Jahre in den USA aufgestellt wurden. Viel wichtiger aber ist der gesunde Menschenverstand: "Man muss sich in die andere Kultur hinein versetzen und sich fragen: Will ich so beschrieben werden? Wenn man so rangeht, ist schon viel gewonnen."

Die Zeiten offenen Rassismus sind vorbei. "Vordergründig ist es oft gut gemeint. Im Grunde wird dann aber die andere Kultur nicht ernst genommen." Ein Beispiel, das Helene Schär sehr negativ besprochen hat, ist "Sag mir, wie ist Afrika?" - ein Bilderbuch aus Frankreich: "Das ist auf den ersten Blick wunderschön. Geht man aber rein und schaut genauer, sieht man, wie unglaublich viele Klischees sich darin verbergen und wie ungenau es ist. Da wird ganz Afrika wie ein kleines Land voller Stereotypen dargestellt. In Europa machen wir doch auch Unterschiede zwischen einem Iren und einem Italiener."

Kinderbücher von der Südhalbkugel

Noch besser können natürlich Schriftsteller aus der jeweiligen Region ihre eigene Kultur vermitteln. Aus diesem Gedanken entstand die Edition Baobab, ein Programm von afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Autoren. Diese Autoren sind gar nicht so leicht zu finden. "Wir in Europa haben eine Tradition von über 200 Jahren auch in der Jugendliteratur. Andere Kontinente haben das nicht erlebt. Viele Sprachen, gerade in Afrika, wurden erst im letzten Jahrhundert verschriftet."

So muss Helene Schär sehr aktiv werden, wenn sie gute Kinderbücher aus dem Süden sucht: Buchmessen in aller Welt, persönliche Kontakte zu Autoren und die wenigen Literaturagenten in den entsprechenden Ländern sind ihre Quellen. Was gut genug ist, schlägt sie schließlich ihrem Verlag vor.

Einheimische Augen und europäische Brillen

Trotz der geringen Verkaufszahlen läuft die Zusammenarbeit mit dem Verlag Nagel&Kimche gut. Man kennt sich. "Der Verlag vertraut mir. Ich überlege mir, welches Buch Chancen hätte, verkauft zu werden. Dabei muss ich natürlich aufpassen, mich nicht mitreißen zu lassen. Das schlage ich dann dem Verlag vor, mache das Lektorat, schreibe das Vorwort und stehe im Kontakt mit dem Autor."

Das Ergebnis sind Kinderbücher, die fremde Kulturen nicht durch europäische, sondern durch einheimische Augen sehen. Bilderbücher, Abenteuer, Jugendliteratur - das Ergebnis kann sich sehen lassen. Helene Schär gefällt es so gut, dass sie sich schwer tut, ein eigenes Lieblingsbuch zu benennen. "Ich liebe sie alle. Mein heißester Favorit jedoch ist 'Das Notizbuch des Zeichners', ein wunderschönes Bilderbuch aus Ägypten."