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Gespräch mit Prof. Heuer, CERN-Generaldirektor

21. September 2009

Der Chef des CERN würde sich freuen, wenn mit dem LHC Schwarze Löcher produziert werden: "Es wäre etwas völlig Neues. Es wären aber Schwarze Mikrolöcher. Die haben überhaupt nichts mit denen im Weltall zu tun."

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DW-TV: Der 19. September vergangenen Jahres war ein schwarzer Tag des CERN, denn da ist der LHC leider mit seinem Ring zusammengebrochen. Welche Auswirkungen hatte das Ganze? Wie dramatisch ist das für die Mitarbeiter?

Rolf-Dieter Heuer: Es ist insofern für die Mitarbeiter dramatisch, dass sie noch mehr arbeiten müssen. Und das tun sie auch schon seit einem Jahr. Wir stehen fast vor der Vollendung, nicht nur der Reparaturarbeiten, das wäre schneller gegangen, aber wir wollen ja vermeiden, dass so etwas wieder passiert. Das heisst, wir mussten neue Elektronik einbauen, die uns genau sagt, wann so ein Ereignis eventuell wieder passieren könnte. Das müssen wir vermeiden, und dafür tut jeder alles.

DW-TV: Sie müssen enorm frustriert gewesen sein. Alle warten auf das große Ereignis, und dann bricht alles zusammen. Viele Forscher möchten ja schließlich auch ihre Doktor- oder Diplomarbeit beenden.

Rolf-Dieter Heuer: Das ist richtig. Für manche Leute bedeutet es natürlich eine leichte Verzögerung. Aber Teilchenphysiker sind an lange Zeitskalen gewöhnt. Und zusätzlich hat es den Effekt gebracht, dass die Leute, die jetzt auf Daten warten, auch mithelfen, die Maschine wieder auf Vordermann zu bringen. Insofern hat sich die Zusammenarbeit noch verstärkt, und das ist für mich ein positiver Effekt dieses Unfalls.

In einem Jahr werden wir die Konkurrenz überholt haben

DW-TV: An anderer Stelle wird ebenfalls geforscht, beispielsweise in Chicago, mit dem Teilchenbeschleuniger Tevatron. Dort sucht man auch nach dem Higgs-Teilchen. Könnten die Ihnen zuvorkommen?

Rolf-Dieter Heuer: Die könnten uns rein theoretisch zuvorkommen. Aber wenn ich als reiner Wissenschaftler spreche und nicht als Chef des CERN, dann ist es eigentlich egal, wo etwas gefunden wird, Hauptsache, man macht einen Fortschritt in der Wissenschaft. Als Chef des CERN muss ich natürlich sagen, lieber bei uns als woanders. Und die Chancen stehen sehr gut. Etwa in einem Jahr werden wir das Tevatron ein- oder überholt haben.

Wir brauchen das Higgs-Teilchen

DW-TV: Was passiert eigentlich, wenn Sie das Higgs nicht finden? Heißt es dann, dass die Physik, so wie wir sie bisher kennen, falsch ist?

Rolf-Dieter Heuer: Sie ist nicht falsch. Das meiste davon stimmt ja. Unser Standardmodell ist sehr gut überprüft. Wir brauchen nur noch einen Mechanismus, der uns erklärt, wie die Elementarteilchen zu ihrer Masse kommen. Und da hat eben Higgs zusammen mit den belgischen Physikern Brout und Englert einen sehr schönen Mechanismus, einen Formalismus eingeführt, der sehr schlüssig ist. Als Folge dessen brauchen wir dieses Higgs-Teilchen. Und das liegt voll im Bereich des LHC. Wenn wir das Higgs-Teilchen nicht finden, müssen wir etwas anderes finden, was denselben Effekt hat – genau im gleichen Energiebereich. Das heißt, wir definieren dann nicht um, sondern wir finden einfach einen anderen Formalismus.

DW-TV: Würden Sie darauf wetten, dass man es hier im LHC finden kann?

Rolf-Dieter Heuer: Darauf würde ich wetten, aber was es ist, darauf würde ich nicht wetten. Ich bin Schwabe, und ich wette nur, wenn ich weiß, dass ich gewinne.

Schwarze Mikro-Löcher sind keine Gefahr

DW-TV: Es gibt Forscher, die behaupten, der LHC könnte Schwarze Löcher produzieren, so wie sie im Weltraum existieren. Uns gruselt es ja ein bisschen bei der Vorstellung. Wie ist das für einen Physiker? Würde es Sie freuen, wenn am LHC auch Schwarze Löcher entstehen?

Rolf-Dieter Heuer: Ja, denn es wäre etwas völlig Neues. Es wären aber keine Schwarzen Löcher, es wären Schwarze Mikro-Löcher. Die haben überhaupt nichts mit den Schwarzen Löchern im Weltall zu tun. Es sind quasi anders geartete Elementarteilchen, die wir erzeugen und die sofort wieder zerfallen. Jetzt fragen Sie mich sicherlich nach der Gefahr dieser Schwarzen Löcher. Das Universum existiert seit knapp 14 Milliarden Jahren. In diesen 14 Milliarden Jahren werden sämtliche Sterne, die Erde, der Mond, alles wird bombadiert mit hochenergetischer, sogenannter kosmischer Höhenstrahlung, zum Teil mit Energien weit höher, als wir sie beim LHC jemals erreichen können. Und diese millionen-, milliardenfachen Beschüsse pro Sekunde haben noch kein solches gefährliches Schwarzes Mikro-Loch erzeugt.

Ich bin sicher, dass wir etwas Neues finden

DW-TV: Mal angenommen, man findet hier keine Schwarzen Löcher, man findet auch kein Higgs-Teilchen, man findet vielleicht nicht einmal geheimnisvolle Susy-Teilchen: Was würde das bedeuten für die Entwicklung von weiteren Beschleunigern? Wäre das das Ende dieser Art von Physik?

Rolf-Dieter Heuer: Wenn wir gar nichts Neues finden würden, dann wäre es sehr schwer zu begründen, warum man noch neue Beschleuniger bräuchte. Ich bin aber absolut sicher, und darauf würde ich wetten, dass wir etwas Neues am LHC finden. Und dann wissen wir auch, welchen nächsten Schritt wir gehen müssen.

DW-TV: Herr Heuer, ich wünsche Ihnen viel Erfolg, dass die Maschine diesmal absolut rund läuft.

Rolf-Dieter Heuer: Ich halte nur noch die Daumen. Ich mache nichts anderes mehr.

(Interview: Ingolf Bauer)