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Schlafforschung an Giraffen

Brigitte Osterath28. März 2013

Ob sich eine Zoogiraffe wohlfühlt oder nicht, verrät ihr Schlafrhythmus. Hat sie gerade einen Transport hinter sich, lässt sie eine besonders wichtige Schlafphase einfach ausfallen.

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Giraffenbaby im Zoo in Chile. Foto: EFE/Felipe Trueba
Chile Giraffe im Zoo in SantiagoBild: picture-alliance/dpa

Acht Stunden schlafen jeden Tag? Nicht, wenn man in der Savanne lebt und stets damit rechnen muss, während des Schlummerns von einem Löwen überfallen zu werden. Eine Giraffe gönnt sich daher nur viereinhalb Stunden Schlaf pro Tag. Und das auch nie am Stück, denn das wäre viel zu gefährlich, sondern über den Tag verteilt. "Sie schläft quasi während ihrer Fresspausen", erklärt Biologe Florian Sicks, Kurator für Säugetiere im Tierpark Berlin.

Eine halbe Stunde davon verbringt die Giraffe im sogenannten REM-Schlaf. Das ist die Schlafphase, in der wir - und wahrscheinlich auch Tiere - lebhaft träumen: Das Gehirn ist absurderweise so aktiv wie im Wachzustand, die Augen bewegen sich rasch hin und her, daher kommt auch der Name für dieses Schlafstadium: REM, "Rapid Eye Movement", schnelle Augenbewegung. Die Muskulatur hingegen ist vollkommen entspannt - mit Ausnahme von gelegentlichen Zuckungen.

Schlaf als Spiegel des Wohlbefindens

Aber nur eine Giraffe, die sich wohlfühlt, schläft so lange, wie es sich für ihre Tierart "gehört", sagt Florian Sicks: "Wenn die Giraffe gestresst ist, dann reduziert sich der REM-Schlaf meist sehr stark, nahezu auf ein Minimum." Das hat Sicks während seiner Doktorarbeit herausgefunden.

Ein Transport von einem Zoo zum anderen beispielweise stresst eine Giraffe gewaltig: "Danach haben einige Giraffen den REM-Schlaf sechs Tage lang nahezu vollständig ausfallen lassen." Zwei bis drei Wochen brauchte es, bis sich ihr Schlafrhythmus wieder völlig normalisiert hatte.

Um etwas über die Stressbelastung eines Tieres zu erfahren, messen Forscher normalerweise, welche Menge des Stresshormons Cortison ein Tier im Blut hat. Aber Florian Sicks hat jetzt gezeigt, dass die Menge an Cortison im Blut kein geeignetes Zeichen für Stress ist: Bei einigen der Giraffen, die er untersucht hat, sank dessen Konzentration im Blut eher noch, obwohl das Tier ganz offensichtlich gestresst war und sich nicht wohlfühlte. "Die Dauer des REM-Schlafs ist ein viel zuverlässigerer Parameter für Stress", sagt Sicks.

Giraffe im REM-Schlaf Foto: Florian Sicks
Eine Giraffe klappt sich für den REM-Schlaf zusammen - für das Leben in der löwenbesiedelten Savanne ist diese Schlafposition eigentlich ungünstig: Bei Gefahr braucht die Giraffe einige Sekunden, um sich aufzurappelnBild: Florian Sicks

Zusammengeklappt schläft es sich besser

In seiner Doktorarbeit hat Sicks 17 Zoogiraffen deutschlandweit bei ihren Nickerchen beobachtet - mit Infrarotkameras, die er zuvor in den Gehegen der Tiere angebracht hat. Von Angesicht zu Angesicht beobachten konnte er sie nicht, denn Giraffen sind sehr scheu. "Die hätten sich vermutlich gar nicht zum Schlafen hingelegt, wenn ich im Stall gewesen wäre", erklärt er.

Dösen kann eine Giraffe auch im Stehen. Aber für die absolute Entspannung, sprich den REM-Schlaf, muss sie sich nicht nur hinlegen, sondern richtig zusammenfalten: Sie klappt ihre Beine ein, legt sich auf den Boden, biegt den langen Hals ganz nach hinten und legt ihren Kopf auf einem ihrer Hinterbeine ab. "So verhindert sie, dass während des REM-Schlafs, wenn ihre Muskulatur sich entspannt, der Kopf auf dem Boden aufschlägt."

Dass Giraffen diese auffällige Position einnehmen, hat sich für Florian Sicks Forschung als sehr praktisch erwiesen: Er wusste demnach immer, wann sich die Giraffe gerade im REM-Schlafstadium befand.

Besonders schlimm: Tod des Lebenspartners

Nicht nur der Transport von Zoo zu Zoo macht Giraffen kirre. Am meisten leiden sie, wenn sich ihre Herde verändert - vor allem, wenn der Lebenspartner stirbt. Unter den Giraffen, die Sicks untersuchte, waren auch zwei Giraffen im Opel-Zoo bei Frankfurt, George und Jaqueline. Sie hatten 15 Jahre lang dort gemeinsam gelebt.

"Eines Tages ist George dann altersbedingt im hohen Giraffenalter von über 20 Jahren gestorben", erzählt Sicks. "Danach hat Jaqueline drei Wochen lang keine einzige Sekunde im REM-Schlaf verbracht. Und das ist wirklich eine sehr lange Zeit: Ratten beispielsweise sind im Tierversuch nach drei bis sechs Wochen REM-Schlafentzug gestorben."

Giraffe Jaqueline im Opel-Zoo Foto: Archiv Opel-Zoo
Jaqueline, eine Giraffe im Opel-Zoo bei Frankfurt, litt sehr, als ihr Lebenspartner George verstarbBild: Archiv Opel-Zoo

Schlafforschung rettet Giraffenbaby

Bei neugeborenen Giraffen verlängern sich die REM-Schlafphasen enorm, wenn sie hungrig sind. Das hat der Zoo Frankfurt leidvoll erfahren müssen, als das sechs Tage alte Giraffenbaby Bahati verstarb, weil seine Mutter keine Milch gab. Das Neugeborene hatte die Tage vor seinem Tod auffällig lange in der typischen zusammengeklappten Schlafposition auf dem Boden gelegen.

Seitdem sind die Frankfurter Tierpfleger schlauer. Als diese Giraffenmutter wieder ein Baby bekam und das Neugeborene erneut unübersehbar viel schlief, trennten sie das Baby von der Mutter und zogen es mit der Flasche auf. Baby Chira überlebte - obwohl die Mutter auch diesmal keine Milch produzierte.

"Wenn eine neugeborene Giraffe sehr viel mehr Zeit im REM-Schlaf verbringt, als es für neugeborene Giraffen üblich ist, ist das für die Tierpfleger ein Frühwarnsystem", sagt Sicks. Denn sowohl Chira als auch Bahati hatten sich, von ihren vielen Nickerchen abgesehen, ansonsten völlig normal verhalten. "Nur anhand der REM-Schlafüberwachung konnte das Giraffenbaby Chira gerettet werden."