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Gesundheitsreform auf dem Weg

22. September 2010

Sieben Gesundheitsreformen haben in den letzten 20 Jahren versucht, das deutsche Gesundheitssystem solide zu finanzieren. Jetzt wurde die achte Reform vorgestellt - die will Gesundheit ein Stück privatisieren.

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Gesundheitsminister Philipp Rösler (Foto: dapd)
Gesundheitsminister Philipp RöslerBild: dapd

Das deutsche Gesundheitssystem heute - das sind 70 Millionen gesetzlich Versicherte und 170 Milliarden Euro Kosten pro Jahr. Dazu gehört aber auch ein erwartetes Defizit von elf Milliarden Euro, die das System 2011 mehr kosten soll, als es Einnahmen generiert.

Die jetzt von der Bundesregierung beschlossene Reform soll dieses elf Milliarden Euro große Haushaltsloch kurzfristig stopfen - langfristig aber die Finanzierung des Systems umstellen. Bislang teilen sich in Deutschland Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Gesundheitskosten des Angestellten paritätisch. Steigen die Kosten - zum Beispiel bedingt durch längere Lebenszeiten und den medizinischen Fortschritt - müssen bislang beide tiefer in die Tasche greifen. Das soll sich jetzt ändern.

Gesundheitskosten von den Lohnkosten entkoppeln

Frau mit Bohrer im Mund beim Zahnarzt (Foto: dapd)
Der medizinische Fortschritt wird immer teurer: Kann die Finanzierung Schritt halten?Bild: picture alliance/dpa

Die neue Reform will die Gesundheits- und Arbeitskosten stärker voneinander entkoppeln. Über lange Jahre hatten vor allem Arbeitgeberverbände kritisiert, dass in Deutschland die Löhne zu hoch seien, weil die Gesundheitskosten vom Arbeitgeber mitgetragen würden. "Das was früher immer galt, dass mehr Gesundheit weniger Beschäftigung bedeuten kann, das haben wir damit ausgeschaltet", kommentierte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler von der FDP das Reformziel.

Der gesetzliche Beitragssatz soll zunächst noch einmal steigen - genauer gesagt von 14,9 Prozent des Monatseinkommens eines Angestellten auf 15,5 Prozent. Der Arbeitgeberbeitrag steigt somit auf 7,3 Prozent, der Arbeitnehmerbeitrag auf 8,2 Prozent. Das stopft einen Teil des erwarteten Defizits.

Rund 3,5 Milliarden Euro soll bei Ärzten, Pharmaindustrie und Kliniken eingespart werden. Allein bei Arzneimitteln erwartet der Bundesgesundheitsminister Einsparungen von mehr als zwei Milliarden Euro.

Rosa Pillen (Foto: Bilderbox)
Bei der Pharmaindustrie will die Reform zwei Milliarden Euro einsparenBild: Bilderbox

Danach soll die an den Lohn gekoppelte Gesundheitsfinanzierung nicht mehr erhöht werden. Zukünftige medizinische Mehrkosten sollen allein vom Arbeitnehmer - also ohne Beteiligung des Arbeitgebers - getragen werden.

Das bislang sehr beschränkt eingeführte System der Zusatzbeiträge soll ausgebaut werden. Schon jetzt können die verschiedenen Krankenkassen neben den einheitlichen Beitragssätzen einzelne Zusatzbeiträge verlangen. Bislang ist deren Höhe aber bei einem geringen Prozentsatz des Einkommens begrenzt. Diese Einschränkung fällt mit der jüngsten Reform. "Es gibt künftig immer mehr einkommensunabhängige Beiträge und gleichzeitig gibt es für diejenigen, die überfordert sind, einen echten Sozialausgleich, der sich aus Steuermitteln speist", erwiderte der Minister Kritikern.

Sozialausgleich über Steuern finanziert

Der Sozialausgleich soll ab einer gewissen finanziellen Mehrbelastung bei ärmeren Bürgern automatisch erfolgen - finanziert durch Zuschüsse der Steuerzahler. Das preist der Gesundheitsminister als Systemwechsel, das Gesundheitssystem werde dadurch auf seine Kernaufgabe zurückgeführt: Der Ausgleich zwischen Arm und Reich erfolge über das Steuersystem, das die Lasten auf mehr Schultern verteile - auch auf jene, die nicht gesetzlich versichert seien.

Auch in der eigenen konservativ-liberalen Regierungskoalition ist das umstritten. "Wenn die Schere zu groß ist zwischen dem, was die Arbeitgeber zahlen, und dem, was der Versicherte zu leisten hat, dann ist der Grundgedanke der Solidarität gefährdet", warnte Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder von der CSU.

Wenig überraschend, dass auch von Seiten der Gewerkschaften und von der sozialdemokratischen Opposition bezweifelt wird, dass der Sozialausgleich funktioniert - und dass er gerecht sein kann. "Der Sozialausgleich ist im Prinzip gar nichts wert. Es wird, wenn überhaupt einen sehr geringen Sozialausgleich geben. Ein paar Euro für einen 1000-Euro-Rentner, mehr nicht", ist sich SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sicher.

Zwar hat das Bundeskabinett den von Gesundheitsminister Rösler präsentierten Entwurf nun abgesegnet - Gesetz ist er aber noch nicht. Der Deutsche Bundestag soll im Herbst endgültig über die Pläne abstimmen.

Autor: Richard A. Fuchs

Redaktion: Kay-Alexander Scholz