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Gesundheitsreform passiert den Bundestag

12. November 2010

Die Gesundheitsreform ist beschlossene Sache: Auf die Krankenversicherten in Deutschland kommen 2011 höhere Beiträge und weitere finanzielle Belastungen zu. So sollen die Milliardenlöcher der Kassen gestopft werden.

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Gegenlichtaufnahme einer Ärztin, die bei einem Patienten das Herz abhört (Foto: dpa)
Gesundheit bleibt ein teures GutBild: picture alliance/dpa

Für rund 50 Millionen Bundesbürger wird die Krankenkasse teurer. Vom kommenden Jahr an steigt der Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von 14,9 auf 15,5 Prozent. Das verschafft den Kassen Mehreinnahmen von rund sechs Milliarden Euro.

Der Arbeitgeberanteil wird von 7 Prozent auf 7,3 Prozent erhöht und auf diesem Niveau eingefroren. Alle künftigen Kostensteigerungen tragen die Versicherten durch einkommensunabhängige Zusatzbeiträge. Für Bedürftige ist ein steuerfinanzierter Sozialausgleich vorgesehen. Das mit den Stimmen von Union und FDP am Freitag (12.11.2010) im Bundestag verabschiedete Gesetz bedarf nicht mehr der Zustimmung des Bundesrates.

Die Reform sieht auch Ausgabenbegrenzungen bei Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen sowie eine Ausweitung der Vorkasse beim Arzt vor. Das Arzneimittel-Spargesetz, das weitere Milliardeneinsparungen erbringen soll, war bereits am Donnerstag vom Bundestag verabschiedet worden.

"Nicht weniger, sondern mehr Solidarität"

Gesundheitsminister Philipp Rösler zeigte sich überzeugt, mit der Reform die Finanzierung des Gesundheitssystems auf Jahre hinaus stabilisiert zu haben. Damit werde der "Einstieg in ein faires und besseres System" gelingen, sagte der FDP-Politiker im Parlament.

Außer den Patienten würden auch alle anderen Betroffenen in die Verantwortung für eine nachhaltige und sozial ausgeglichene Finanzierung des Gesundheitssystems genommen. Der Arbeitgeberbeitrag werde festgeschrieben, um die Lohnzusatzkosten zu stabilisieren, und der Sozialausgleich für Geringverdiener werde aus Steuermitteln beglichen. "Das ist nicht weniger, sondern mehr Solidarität", sagte der Minister.

Verschiedene Tabletten liegen um eine Euro-Münze herum (Foto: dpa)
Die steigenden Kosten im Gesundheitswesen müssen die Versicherten tragenBild: picture alliance / dpa

Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn sagte, die Koalition stelle sich der Verantwortung, auch wenn es "unschöne Botschaften" seien. Mit Blick auf das für 2011 erwartete Defizit von neun Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung habe jedoch gehandelt werden müssen, damit nicht "viele Krankenkassen in die Insolvenz gehen." Der CSU-Abgeordnete Stephan Stracke nannte die Reform unumgänglich: "Die Alternative wären Abstriche am Leistungskatalog." Röslers Reformpläne waren auch innerhalb der Koalition lange Zeit umstritten.

Kritik von Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbänden

Bundesgesundheitsminister Philipp Roesler lachend im Bundestag (Foto: dpa)
Hat seine Ziele erreicht: Gesundheitsminister RöslerBild: dapd

Die Oppositionsparteien lehnen die Reform einhellig ab und wollen das Gesetz nach einem Regierungswechsel vollständig zurücknehmen. Die SPD sieht einen "Systemwechsel" und den Einstieg in eine Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bezeichnete den geplanten Sozialausgleich als "Almosen". Je weniger jemand verdiene, umso höher sei die Belastung.

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi warf dem Gesundheitsminister vor, eine Drei-Klassen-Medizin in Deutschland einzuführen und Klientelpolitik zugunsten der Pharmaindustrie und der Privatkassen zu betreiben. Die Grünen-Gesundheitsexpertin Birgitt Bender kritisierte die Finanzierung des Sozialausgleichs aus Steuermitteln. Dieses Konzept stehe auf wackligen Füßen und gehe überhaupt nicht auf.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund warf der Bundesregierung vor, sie mache mit den einseitigen Belastungen der Versicherten "Politik gegen die Bevölkerung". Die IG Metall sprach von einem "schwarzen Tag für die Arbeitnehmer". Der Sozialverband VdK mahnte, die Kluft zwischen Arm und Reich werde sich weiter vergrößern. Der Sozialverband Deutschland kündigte an, den Widerstand gegen die schwarz-gelbe Gesundheitspolitik fortzusetzen.

AOK: Probleme nicht gelöst

Nach Einschätzung der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) verfehlt die Gesundheitsreform die selbst gesteckten Ziele. Auf Dauer seien damit die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Krankenversicherungen nicht zu lösen, sagte der baden-württembergische Vorstandschef Rolf Hoberg. Neben der einseitigen Belastung der Versicherten steige zudem der bürokratische Aufwand für die Krankenkassen. Die Chance auf mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen sei wieder verpasst worden.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt kritisierte in Berlin, durch den Anstieg des Arbeitgeberanteils auf 7,3 Prozent würden die Arbeitskosten erhöht. Der Sozialausgleich führe zudem zu mehr Bürokratie bei den Arbeitgebern.

Autor: Rolf Breuch (afp, dapd, dpa, epd)
Redaktion: Thomas Grimmer