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Geteilte IG Metall

Karl Zawadzky8. September 2003

Ein Name, zwei Gewerkschaften - Die IG Metall muss unter ihrem neuen Führungsduo um verloren gegangenen Einfluss kämpfen. Ein Kommentar von Karl Zawadzky.

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Nach wochenlangem Führungsstreit hat die IG Metall auf ihrem Gewerkschaftstag in Frankfurt am Main am 31.8.2003 Jürgen Peters mit dem schlechtesten Ergebnis seit 40 Jahren zum neuen Vorsitzenden der größten Industriegewerkschaft gewählt. Peters erhielt nur zwei Drittel der abgegebenen Stimmen, sein Stellvertreter Berthold Huber erhielt nur einen Prozentpunkt mehr. In diesen Wahlergebnissen wirkte der Streit über den gescheiterten Streik in Ostdeutschland nach, der die IG Metall in ihre bislang tiefste Krise gestürzt hatte.

Ein tiefer Riss

Das Wahlergebnis spiegelt den Riss, der nach dem Streik-Desaster vom Frühsommer 2003 durch die einst mächtige Gewerkschaft geht. Traditionalisten auf der einen und Modernisierer auf der anderen Seite trauen sich gegenseitig nicht über den Weg. Der Kampf innerhalb der Gewerkschaft ist schärfer als der mit dem "natürlichen" Gegner im Arbeitgeberlager.

Früher war es üblich, wegen der Außenwirkung die Reihen zu schließen und Solidarität zu üben. Heute stehen sich die beiden Flügel in offener Feindschaft gegenüber. Nur wenig überspitzt läßt sich sagen: IG Metall - ein Name, zwei Gewerkschaften.

Buhmann der Nation

Jürgen Peters war für einige Wochen der Buhmann der Nation. Doch die Person entspricht nicht dem Bild, das von seinen innergewerkschaftlichen Feinden gezeichnet wurde, als es um die Abrechnung der bitteren Niederlage im Streik um die Arbeitszeitverkürzung in Ostdeutschland ging. Peters wirkt zwar bei seinen öffentlichen Auftritten, vor allem bei seinen Reden, wie ein Arbeiterführer vergangener Zeiten; dabei ist er in der Sache für moderne Lösungen offen. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Beispielen, etwa das überaus flexible Arbeitszeit- und Entlohnungsmodell beim Volkswagenkonzern. Als damaliger IG-Metall-Bezirksleiter von Niedersachsen hat Peters daran maßgeblich mitgewirkt.

Tiefe Abneigung

Auf der anderen Seite ist der vermeintliche Modernisierer Bertholt Huber zwar ein Mann der leisen Töne, aber beinhart, wenn es um die Durchsetzung oder Verteidigung von Arbeitnehmerinteressen geht. Beide haben sich bei der Verfolgung persönlicher Ambitionen der widerstreitenden Flügel der Gewerkschaft bedient. Das kann sich in der nun unumgänglichen Zusammenarbeit als ebenso hinderlich erweisen wie die tiefe persönliche Abneigung für einander.

Damit nicht genug, hat der Vize Huber im geschäftsführenden Gewerkschaftsvorstand mehr Vertraute als der Vorsitzende Peters. Im engeren Vorstand ist der erste Vorsitzende der IG Metall isoliert. Erschwerend kommt hinzu, dass er aus Altersgründen nur vier Jahre an der Spitze stehen kann und Huber bereits als Nachfolger designiert ist.

Blockiert vom Scherbenhaufen

Schließlich ist zu befürchten, dass die IG Metall über Jahre hinweg damit beschäftigt sein wird, den Scherbenhaufen abzutragen, der vom Spitzenpersonal auf leichtfertige Art und Weise angerichtet worden ist. Die Gewerkschaft ist durch den verlorenen Arbeitskampf in Ostdeutschland und durch die tiefen Wunden, die der Machtkampf um die Führungspositionen hinterlassen hat, in ihrer Durchsetzungsfähigkeit geschwächt. Darüber mögen sich die Scharfmacher auf der Arbeitgeberseite freuen, doch klugen Arbeitgebern bereitet die Entwicklung bei der IG Metall Sorge. Denn eine geschwächte und irritierte Gewerkschaft ist kein berechenbarer und verlässlicher Partner im Tarifgeschäft. Dabei ist genau dies nötiger denn je.

Auflösung der Flächentarife

Ob nämlich die IG Metall will oder nicht: Immer stärker wird es künftig ein Nebeneinander von Flächentarifen, Haustarifen, einzelvertraglichen Lösungen und betrieblichen Bündnissen für Arbeit geben. Die Flächentarife werden Korridore und Optionen für betriebliche Lösungen anbieten. Ebenso, wie die deutsche Wirtschaft sich der Globalisierung nicht entziehen kann, sondern sie im Gegenteil offensiv nutzen muss, so können sich die Gewerkschaften vom Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft nicht abkoppeln. Sie haben das versucht und dabei Mitglieder und Einfluss verloren.

In den sechziger und siebziger Jahren waren die deutschen Gewerkschaften Speerspitzen des Fortschritts, heute laufen sie der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung nach. Das Tandem Peters/Huber wird sich gewaltig und vor allem in eine Richtung abstrampeln müssen, um der weltweit größten Industriegewerkschaft wieder den Einfluss zu verschaffen, den sie durch eigenes Verschulden verloren hat.