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Gewalt gegen einen Rabbiner

Christoph Strack31. August 2012

Ein antisemitischer Überfall in Berlin sorgt für Aufsehen. Politiker mahnen Zivilcourage an, Juden in Berlin zeigen sich verunsichert, jüdische Organisationen weltweit fordern Sicherheit für jüdische Bürger.

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Ein Mann trägt in der Synagoge eine Kippa mit einem aufgenähtem Stern (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Angriff kam für den Rabbiner Daniel Alter, der mit seiner sechs Jahre alten Tochter unterwegs war, völlig unerwartet. Vier Jugendliche fielen über den 53-jährigen her und schlugen ihn krankenhausreif - das Kind bedrohten sie mit dem Tode. Bevor sie zuschlugen, hatten sie den Geistlichen, der die "Kippa", die Kopfbedeckung des jüdischen Mannes trug, gefragt, ob er Jude sei.

Nach der Beschreibung des Opfers, das wegen eines Jochbeinbruchs unter Vollnarkose operiert wurde, handelte es sich vermutlich um arabischstämmige Täter. Das ganze passierte nicht in einem sozialen Brennpunkt der Stadt, nicht in einem der Viertel mit hohem Migrantenanteil wie Wedding oder Neukölln, sondern in Friedenau im Südwesten Berlins, einem gemeinhin als gutbürgerlich beschriebenen Viertel.

Negative Erfahrungen

Seit der Tat am Dienstag (28.08.2012) schildern zahlreiche Vertreter der jüdischen Gemeinden in Berlin ihre negativen Erfahrungen, im Alltagsleben erkennbar als Jude aufzutreten - egal in welchem Viertel. Da gibt es den - seit langem kursierenden - Rat, im Straßenbild die Kippa unter einer Basecap zu verstecken. Wer Freitagabends an einer der jüdischen Gotteshäuser der Stadt vorbeikommt, erkennt, dass nicht wenige Männer diesem Rat folgen. Der Rabbiner Andreas Nachama, einer der im öffentlichen Leben hochgeschätzten Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Berlin, berichtet, er meide generell Busse und Bahnen. Vor zehn Jahren sei er selbst in einer S-Bahn als jüdischer Geistlicher erkannt und angegriffen worden.

Und vielleicht fließt längst nicht jede Szene in die offiziellen Statistiken ein. Im vorigen Jahr registrierte die Polizei einen leichten Rückgang antisemitischer Straftaten, von 148 auf 126. In den meisten Fällen sind die Vorfälle rechtsextremistisch motiviert. Doch Berichte über eine aggressive Stimmung gegen Juden oder Israelis in bestimmten Schulen oder unter arabischen Jugendlichen gibt es des öfteren. Politisch ist dies ein hoch aufgeladenes Thema.

Probleme im Kontext

Auf der anderen Seite hält sich die Politik mit Angaben zurück, wie viele Polizisten für den Schutz jüdischer Einrichtungen abgestellt sind. Das sind Sicherheitskräfte vor Synagogen, Thoraschulen, jüdischen Kindergärten oder Einrichtungen - rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Wie viele Beamte ausschließlich dafür im Einsatz sind, wollte ein Polizeisprecher am Freitag nicht sagen. Doch der Objektschutz ist das eine. Das andere ist das Gefühl von Sicherheit oder aber die empfundene Gefährdung im Alltagsleben. Da kann kein Personalaufwand helfen.

Die Empörung über den Übergriff auf den Rabbiner ist aber auch einem größeren Zusammenhang geschuldet. Zum einen ist Berlin nach wie vor ein Ort, der für viele Menschen weltweit - längst nicht nur für Juden in Israel - für die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten steht. Zum anderen sind viele jüdische Repräsentanten seit der juristischen Auseinandersetzung um die Beschneidung tief verunsichert.

"Am Scheideweg"

Der Vorsitzende der Europäischen Rabbinerkonferenz, der aus der Schweiz stammende russische Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, sprach am Freitag davon, die jüdische Gemeinschaft in Deutschland stehe "an einem Scheideweg". Es werde immer deutlicher, "dass in Deutschland ein Kampf ausgefochten wird zwischen denen, die Freiheit und Toleranz wirklich achten, und denen, die gerne ein Ende der deutschen jüdischen Gemeinschaft sehen wollen". Juden seien konfrontiert "mit engstirnigen humanistischen Aktivisten und gewalttätigen Schlägern". Es sei, so wirken Stimmen wie die Goldschmidts, mittlerweile mehr gefährdet als die Sicherheit von Juden im Straßenbild von Berlin. Der ein oder andere sieht die erfolgreiche Belebung des jüdischen Lebens nach der Shoah gefährdet.

Die Politik reagiert mit den üblichen Appellen. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sprach von einer "Attacke auf das friedliche Zusammenleben aller Menschen in der Hauptstadt". Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), rief zu mehr Zivilcourage auf. Jeder Einzelne müsse aufstehen, "wenn Menschen aus welchen Gründen auch immer bedroht oder ausgegrenzt werden".

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt (Foto: dapd)
Oberrabbiner Pinchas GoldschmidtBild: dapd

"Tiefste Abscheu"

Ungewöhnlich deutlich waren indes die vielfältigen Stimmen aus dem muslimischen Lager, die den Überfall auf den Geistlichen verurteilten. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sagte, solche Taten erzeugten bei Muslimen "tiefste Abscheu". Er bekunde allen Juden in Deutschland Solidarität und Mitgefühl. Weitere Verbandsvertreter stimmten in die Absage an religiösen Hass und religiöse Gewalt ein.

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime (Foto: dpa)
Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der MuslimeBild: picture-alliance/dpa

In der kommenden Woche kommen in Paris 80 jüdische und muslimische Führungspersönlichkeiten aus 18 Ländern Europas zusammen. Das Treffen, lange anberaumt, bekommt durch die Berliner Gewalttat neue Aktualität. Der Europäische Jüdische Kongress will die Gewalttat aus Berlin bei dem Treffen in der französischen Hauptstadt zum Thema machen.