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Gewalt in Paris

26. Oktober 2006

Neue Krawalle in Pariser Vororten beunruhigen Frankreich. Viele Franzosen fürchten eine Wiederholung der Vorstadtunruhen des Vorjahres. Ein Soziologe macht einen "Willen zum Töten" bei einigen Jugendlichen aus.

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ausgebrannter Bus
Wie im Vorjahr wurde ein Bus in Brand gestecktBild: AP

In mindestens drei Vororten der französischen Hauptstadt Paris haben sich in der Nacht zum Donnerstag neue Krawalle ereignet. In zwei Fällen wurden dabei nach Mitteilung der Pariser Verkehrsbetriebe von maskierten Männern Linienbusse angegriffen und in Brand gesetzt. Zuvor hätten die mit Schlagringen bewaffneten Täter Passagiere und Busfahrer aussteigen lassen. Die Vorfälle ereigneten sich in Bagnolet und in Nanterre westlich der Hauptstadt.

Auch in Grigny im Departement Essonne südwestlich von Paris registrierte die Polizei Zwischenfälle. Etwa 50 Personen hätten vorbeifahrende Autos mit Steinen beworfen. Mehrere Jugendliche hätten versucht, einen Autobus zu attackieren, der aber von Sicherheitskräften geschützt werden konnte. Im Departement Essonne werden nach Angaben der Verkehrsgesellschaft aus Sicherheitsgründen gefährdete Gebiet nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr von Linienbussen angefahren. Die Bereiche würden umfahren.

Historische Unruhen

Feuerwehrmann löscht lichterloh brennendes Auto
Bilder von brennenden Autos in Paris gingen im Herbst 2005 um die WeltBild: ap

An diesem Freitag jährt sich der Beginn schwerer wochenlanger Krawalle in Pariser Vorstädten. Damals waren in 300 Städten mehr als 10.000 Fahrzeuge sowie 300 Schulen, Bibliotheken und andere öffentliche Gebäude in Flammen aufgegangen. Die Nächte vom 27. Oktober bis zum 17. November vergangenen Jahres sind als "Vorstadtunruhen" in die französische Geschichte eingegangen. Anlass der Krawalle war der Tod zweier Jugendlicher aus der nordwestlich von Paris gelegenen Banlieu Clichy-sous-Bois, die auf der Flucht vor der Polizei in einer Trafo-Station ums Leben kamen.

Der Schaden der Gewalttaten belief sich auf 150 Millionen Euro. 10.000 Sicherheitskräfte waren im Einsatz, rund 150 wurden verletzt. Die Regierung rief schließlich den Ausnahmezustand aus. Knapp 5500 Personen wurden festgenommen, darunter 550 Minderjährige.

Als Reaktion auf die Unruhen startete die Regierung zahlreiche Programme zur Jobvermittlung, zur Verbesserung der Wohnsituation und gegen die Diskriminierung. Dennoch hat die Gewalt gegen die Sicherheitskräfte in den vergangenen Wochen wieder zugenommen.

"Es gibt einen Willen zum Töten"

Seit den Vorstadtunruhen vor einem Jahr habe die Gewaltbereitschaft einiger Jugendlicher gegen die Polizei sogar noch zugenommen, warnt der französische Soziologe und Sicherheitsexperte Sebastian Roche. Es gebe bei manchen Schlägern einen Willen zum Töten. Ein Grund für die Zuspitzung sei, dass Innenminister Nicolas Sarkozy aus einer menschlichen Polizei eine "Polizei der Verhaftungen" gemacht habe, sagte Roche der Nachrichtenagentur AP.

Nichts hat sich geändert

"Die Wut kommt von der schulischen und wirtschaftlichen Frustration, der Gewissheit, einer Minderheit anzugehören", sagte Roche. Die Frage sei, warum die Wut an der Polizei ausgelassen werde, die ja für die Probleme nicht verantwortlich sei. "Erster Grund: Die Beamten stellen eine Form der Autorität dar, über die man 'stolpert', wenn man randaliert. Zweiter Grund: Die Polizei hat vergessen, sich für die Vororte und ihre Bewohner zu interessieren." Es habe eine "Polizei der Nähe" gegeben, die 2002 von Innenminister Nicolas Sarkozy abgeschafft wurde. Er habe damit die Chance aufgeben, eine Beziehung zwischen den Beamten und der benachteiligten Bevölkerung herzustellen.

In Frankreich herrschen nun vor dem Jahrestag des Beginns der Vorstadt-Krawalle Sorge und Unbehagen. Sorge, weil ein Flächenbrand wie die dreiwöchigen Unruhen im vergangenen Jahr jederzeit wieder möglich ist; und Unbehagen, weil sich alle Experten einig sind, dass sich an der Lage in den vorwiegend von Einwanderern bewohnten Vorstädten seit den Ausschreitungen im Herbst 2005 im Grunde nichts geändert hat. Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und Gewalt beherrschen das Leben in diesen Ghettos - und die Regierung reagiert mit verschärfter Repression. (mas)