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Landbesetzung in Buenos Aires

13. Dezember 2010

Seit einer Woche kommt es dort zu schweren Krawallen zwischen landlosen Einwanderern, Anwohnern eines Elendsviertels und der Polizei. Die Besetzer fordern ein Wohnungsbauprogramm.

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Landbesetzer in Villa Soldati, Buenos Aires mit Sarg eines bolivianischen Einwanderers (Foto: AP)
Es gab mindestens drei Tote und fünf SchwerverletzteBild: AP

Sie kamen mit Plastikplanen und Gummireifen, bauten Zelte und Zäune und gingen nicht mehr weg. Rund tausend landlose Einwandererfamilien aus den nördlichen Nachbarstaaten Paraguay, Bolivien und Peru halten seit einer Woche das Naherholungsgebiet "Parque Indoamericano" in Villa Soldati, einem Armenviertel im Süden von Buenos Aires, besetzt.

Mehrfach war es in der vergangenen Woche zu Auseinandersetzungen zwischen den Besetzern, Anwohnern von Villa Soldati und der Polizei gekommen. Nun hat die Bundesregierung starke Einsatzkräfte der Gendarmerie entsandt, die das Areal umstellten. Sie sollen weitere Gewaltausbrüche verhindern, jedoch nicht das Gelände räumen.

Träumten von einem neuen Leben in Argentinien - Einwanderer aus Paraguay, Bolivien, Peru (Foto: AP)
Träumten von einem neuen Leben in Argentinien - Einwanderer aus Paraguay, Bolivien, PeruBild: AP

Dies versuchte die Polizei zunächst, als die Landbesetzer vor einer Woche auf das hundert Hektar große Gelände kamen. Der Versuch, die Einwanderer nach einem richterlichen Räumungsbefehl zu vertreiben, misslang. Als die Landbesetzer zurückkehrten, wurden sie von mit Stöcken und Steinen bewaffneten Anwohnern angegriffen. Zwei Bolivianer und eine Frau aus Paraguay sind bei den Übergriffen getötet worden, fünf Menschen wurden schwer verletzt. Am Freitag (10.12.2010) soll zudem ein 19-Jähriger von der Polizei erschossen worden sein. Eine Bestätigung der Rettungskräfte steht bisher noch aus.

Wer ist verantwortlich?

Von einer Richterin wurde nun angeordnet, provisorische sanitäre Anlagen, Trinkwasser und Verpflegung zu den Landbesetzern zu bringen. Daraufhin kam es zu neuen Krawallen von Seiten der Anwohner. Die über tausend Einsatzkräfte reagierten darauf mit Gummigeschossen und Tränengas. "Wir haben Schreie gehört und Rauch gesehen. Wir haben Angst", sagte eine Vertreterin einer sozialen Organisation, die die Landbesetzer unterstützt, gegenüber der argentinischen Tageszeitung La Nación. Gleichzeitig forderte sie die Anwohner des Armenviertels zu Solidarität mit den Landbesetzern auf.

"Wir haben nichts gegen die Einwanderer, aber unser Stadtteil ist mit der Aufnahme so vieler Menschen völlig überfordert", sagte eine Anwohnerin von Villa Soldati gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Man fürchte aber durch sie ein weiteres Ansteigen der Kriminalität, die im Armenviertel Villa Soldati ohnehin sehr hoch sei, hieß es.

Landbesetzung im "Parque Indoamericano" in Buenos Aires (Foto: AP)
Wohnraum ist knapp bemessen und teuer - der "Parque Indoamericano" ist nicht die erste Landbesetzung in Buenos AiresBild: AP

"Unkontrollierte Einwanderung"?

Angesichts der Geschehnisse in Villa Soldati warnte der konservative Regierungschef von Buenos Aires, Mauricio Macri, vor "unkontrollierter Einwanderung", durch die "Drogenhandel und Kriminalität" vorangetrieben würden. Er forderte die Nationalregierung auf, das Problem gemeinsam anzugehen. Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner reagierte mit scharfer Kritik an Macri: "Ich bin nicht bereit, dass Argentinien dem Klub der fremdenfeindlichen Länder dieser Welt beitritt." Allerdings kündigte die Bundesregierung an, ein neues Bundesministerium für Sicherheit schaffen zu wollen, dem die ehemalige Verteidigungsministerin Nilda Garre vorstehen soll.

Medien kritisierten sowohl die Stadt- als auch Bundesregierung, die Landbesetzung für politische Zwecke zu missbraucht hätten. So sei die wesentlich schlagkräftigere Bundespolizei vorzeitig abgezogen, "um die Überforderung von Macris Polizei (die Polizei der Stadtregierung) bloß zu stellen", vermutet die Tageszeitung Clarín. Außerdem wurde darüber spekuliert, ob sich Anhänger von politischen Grupperungen unter die Landbesetzer und Anwohner gemischt hätten und den Konflikt weiter anheizen würden.

Mauricio Macri, konservativer Regierungschef von Buenos Aires (Foto: AP)
Mauricio Macri, konservativer Regierungschef von Buenos AiresBild: AP

Bundes- und Stadtregierung stehen zueinander in Opposition. Es wird vermutet, dass sowohl der Regierungschef von Buenos Aires, Mauricio Macri, als auch die amtierenden Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner als Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen 2011 antreten werden.

Wohnraum - dringend gesucht

"Mich hat niemand geschickt, ich bin aus Solidarität hier, denn wir leben alle in derselben Misere", sagte Alejandro Salvatierra, ein Bewohner des Elendsviertels Villa Oscura, der sich in den letzten Tagen zu einer Art Sprecher der Landbesetzer entwickelt hat. "Wir haben keine Wohnungen, deswegen sind wir im Park." Laut der Volkszählung von Ende Oktober wohnen heute ein Viertel mehr Menschen in den Elendsvierteln im Großraum Buenos Aires als noch vor zwei Jahren, darunter viele illegale Einwanderer aus Bolivien, Paraguay und Peru, die auf der Suche nach Arbeit ins Nachbarland Argentinien kommen und dort als Billiglohnkräfte eingesetzt werden. "Wir werden nicht aus dem Park abziehen, solange sich niemand der Zwickmühle annimmt, in der wir stecken und die Regierung keinen konkreten Plan für ein Wohnungsbauprogramm vorlegt", erklärte Salvatierra weiter in der von der Regierung einberufenen Pressekonferenz am Wochenende.

Rund 150 Sozialarbeiter haben nun im Auftrag des Ministeriums für soziale Entwicklung damit begonnen, die Landbesetzer zu zählen und nach ihrer konkreten Situation zu befragen. In dieser Woche noch wollen sich Vertreter der Nachbarn, der Landbesetzer und beider Regierungen zu einem Runden Tisch zusammensetzen. "Wir finden eine Lösung", sagte die städtische Sozialministerin María Eugenia Vidal gegenüber der Tageszeitung La Nación, "doch bestimmt keine kurzfristige."

Autorin: Anne Herrberg (dpa, Página12, Clarín, La Nación)

Redaktion: Mirjam Gehrke