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Gewalt und Sex: ein Fall für die FSK

9. Dezember 2017

Bevor ein Film in die Kinos kommt, überprüft die FSK, für welche Altersgruppen er geeignet ist - denn der Nachwuchs soll vor schädlichen Einflüssen bewahrt werden. Ist die deutsche Filmwirtschaft besonders konservativ?

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Filmstill aus Jurassic Park
Bild: picture-alliance/United Archiv/IFTN

Fünf Männer und Frauen nehmen im Vorführsaal Platz, um einen Film von Anfang bis Ende akribisch genau unter die Lupe zu nehmen. Ihre Aufgabe ist es, die Altersfreigabe von Medien kritisch zu prüfen und zu untersuchen, ob das Material jugendgefährdende Elemente beinhaltet. Nach dem Abspann des Films besprechen sie sich und stimmen ab. Obwohl sie unsichtbar hinter den Kulissen wirken, erfüllen sie eine wichtige Aufgabe.

Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) ist eine von der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) getragene Einrichtung in Wiesbaden mit etwa 280 freiwilligen Mitarbeitern. Dennoch ist die FSK eine eigenständige Institution, deren freiwillige Prüfer keine Verbindung zur Filmindustrie haben. Sie gehen verschiedenen Berufen nach, müssen jedoch Erfahrung im Umgang mit Kindern und Jugendlichen haben, und deren Entwicklungsstufen kennen.

Deutsches Filmhaus in Wiesbaden  FSK Mitarbeiter
Mitarbeiter der FSK beraten in einem Vorführsaal des Deutschen Filmhauses

"Fünf Tage die Woche führen wir Untersuchungen in verschiedenen Komitees durch," erklärt FSK-Sprecher Stefan Linz der DW. Die schiere Masse des zu sichtenden Materials schindet Eindruck. Laut der Statistik der FSK wurden 2016 ganze 619.484 Minuten Filmmaterial gesichtet, wofür ein einzelner Mensch ganze 1,2 Jahre ohne Unterbrechung schauen müsste.

0, 6, 12, 16, oder 18 Jahre

Die Grundlage für die Arbeit der FSK ist das deutsche Jugendschutzgesetz, das für Medien verschieden geltende Alterseinstufungen vorsieht. Die Farbe weiß bedeutet, dass es für einen Film keinerlei Einschränkungen gibt. Für die Altersgruppe von sechs bis zwölf Jahren gilt gelb. Grün verlangt die Begleitung eines Elternteils für die Altersgruppen ab sechs oder zwölf Jahren. Ab 16 Jahren gilt die Kategorie blau, während rot signalisiert, dass ein Film für Jugendliche unter 18 Jahren als nicht geeignet angesehen wird.

Das Gesetz definiert auch die Regeln der Beurteilung von Medien. So darf beispielsweise ein Film nicht Kindern einer bestimmten Altersgruppe gezeigt werden, wenn die Prüfer der Meinung sind, dass er ihre Entwicklung zu selbstverantwortlichen und sozial kompetenten Menschen beeinträchtigen könnte.

"Das ist natürlich total abstrakt", bemerkt Linz zur Beurteilung von Inhalten, die potenziell problematisch sein könnten. "Aber gleichwohl kann man das nicht nur über uns behaupten, sondern über alle Formen von Jugendschutz weltweit. Besonders relevant sind immer die Darstellung von Gewalt, Sexualität, dem Konsum von Drogen, Alkohol und Nikotin, schlechte Vorbilder sowie asoziales Verhalten oder Bedrohung von anderen."

Stefan Linz FSK
Stefan Linz, Pressesprecher der FSKBild: FSK

Amerikanischer Einfluss während der Nachkriegszeit

Der Ursprung der FSK geht bis in die Nachkriegszeit zurück. Damals bemühten sich die Alliierten darum, alle sozialen und gesellschaftlichen Aspekte in Deutschland zu denazifizieren, und das damalige Westdeutschland als einen demokratischen Staat mit Meinungsfreiheit aufzubauen.

Vertreter der deutschen Filmwirtschaft, die aus dem Exil zurückgekommen waren, errichteten gemeinsam mit amerikanischen Besatzungsbehörden 1948 ein freiwilliges Selbstkontrollesystem für die Filmwirtschaft nach dem Model des amerikanischen Systems dieser Zeit. 

Aus diesen Initiativen entstand schließlich die FSK, die am 18. Juli 1949 ihre erste Filmbeurteilung abgab. Der Film "Intimitäten" von Paul Martin (1944) sei nicht geeignet für Jugendliche unter 16 Jahren - und dürfe an einigen religiösen Feiertagen nicht gezeigt werden. 

In der ehemaligen DDR wurden alle Filme durch sozialistische Behörden kontrolliert, bis sich nach der Wiedervereinigung die neuen Bundesländer der FSK anschlossen.

Unterschiedliche Kulturen, Systeme und Einstufungen

Obwohl das amerikanische Kontrollsystem die Ursprünge der FSK maßgeblich prägte, unterscheidet sich die FSK in einigen Punkten von CARA, dem heutigen Kontrollsystem der Motion Picture Association of America (MPAA).

So wurde zum Beispiel der 2016 produzierte deutsche Film "Toni Erdmann", der zum weltweiten Hit wurde und eine Oscar-Nominierung erhielt, in den USA in der Kategorie "Restricted" eingestuft. Diese sieht vor, dass Jugendliche unter 17 Jahren nur in Begleitung eines Erwachsenen den Film sehen dürfen. Die Begründung lautete: "Der Film enthält stark sexualisierten Inhalt, graphische Nacktheit, gewalttätige Sprache und kurze Szenen mit Drogenmissbrauch." 

Altersfreigabenkennzeichnen der FSK
Die Alterseinstufungen der FSK und ihre FarbenBild: Gemeinfrei

In Deutschland wiederum beurteilte die FSK den gleichen Film als geeignet für Jugendliche ab 12 Jahren, wobei diese Einschränkung mit einer "etwas seltsamen, emotionslosen Sexszene ohne Geschlechtsverkehr" begründet wurde. Die von CARA zitierten Aspekte, also verrohte Sprache, Drogen und Nacktheit, spielten für die FSK keine Rolle - trotz einer recht ausgedehnten nackten Partyszene.

Laut Stefan Linz erklären sich die Unterschiede zwischen den Alterseinstufungen durch die FSK und CARA durch kulturelle Einstellungen. Insbesondere haben Deutsche und Amerikaner eine völlig andere Einstellung zur Nacktheit. Während es in Deutschland seit langem eine große FKK-Szene gibt, wird Nacktheit in der Öffentlichkeit in den USA noch immer als skandalös angesehen.

Die FSK stuft Nacktheit an sich nicht als problematisch ein, sagt Linz, und verweist dabei auf Dokumentationen über FKK-Gemeinden, die für alle Altersgruppen freigegeben wurden. Weniger freigiebig ist die FSK jedoch, wenn Nacktheit in einem Film eine sexuelle Bedeutung hat, oder in einem sexualisierten Kontext auftritt.

Die Amerikaner haben ein Problem mit nackter Haut

Ein Aspekt, der alle Entscheidungen der FSK maßgeblich beeinflusst, ist der jeweilige Entwicklungsstand von Kindern, insbesondere die ihnen zugestandene Fähigkeit, die Eindrücke auf der Leinwand oder dem heimischen Fernsehen zu verarbeiten. Linz führt aus, dass die Alterseinstufung umso höher ist, desto mehr gezeigt wird, und desto detaillierter die Darstellung ist. Dabei wird die Entwicklung der Sexualität von Minderjährigen in verschiedenen Altersgruppen berücksichtigt.

Hauptdarstellerin Sandra Hüller als nackte Frau in einer Szene von "Toni Erdmann" (Foto: Komplizen Film/NFP marketing & distribution)
Nackte Hauptdarstellerin Sandra Hüller in "Toni Erdmann" Bild: Komplizen Film/NFP marketing & distribution

Linz ist außerdem der Meinung, dass sich Einstellungen zum Sprachgebrauch in der deutsch- und englischsprachigen Welt ebenfalls unterscheiden. Dieser Aspekt weist allerdings auch auf Unterschiede in der Vorgehensweise von FSK und CARA hin. In den Augen der amerikanischen Institution rechtfertigt bereits der wiederholte Gebrauch von sexuellen Begriffen als Schimpfwort eine Altersbeschränkung, die allerdings wiederum durch eine Zweidrittelmehrheit überstimmt werden kann. 

Im Gegensatz dazu spielen bei der FSK zahlenmäßige Verhältnisse bei der Beurteilung von Sprache keine Rolle. Stattdessen legt man hier mehr Wert auf den spezifischen Kontext. Wer spricht wie das Schimpfwort aus? "Wenn zwischen Freunden, zum Beispiel in Hip-Hop-Kreisen, ein paar Schimpfwörter hin- und herfliegen, hat das eine ganz andere Bedeutung, als wenn dasselbe böse Wort auf eine diskriminierende oder gar direkt beleidigende Weise verwendet wird", sagt Linz.

Geht es um die Perspektive der Eltern, oder die der Minderjährigen?

Die Entscheidungen der FSK sind nicht immer unumstritten. "Wenn es um individuelle Entscheidungen geht, sind wir für die einen zu strikt, und für die anderen zu liberal" - so fasst Linz die Reaktionen zusammen. Ein besonderer Streitpunkt ist Filmmaterial, das für die Altersgruppe zwischen 6 und 12 Jahren geeignet sein soll. So verursachte der Film "Harry Potter und die Kammer des Schreckens" 2002 eine Änderung der Regeln. Von da an durften sechs- bis zwölfjährige Kinder Filme für Kinder ab 12 Jahren sehen, wenn sie von einem Elternteil begleitet werden.

Linz fügt hinzu: "Jugendschutz ist eng mit gesellschaftlichen Werten und Normvorstellungen verbunden". Diese entwickeln sich in einer Gesellschaft über einen langen Zeitraum. Die Beurteilungen der FSK spiegeln deshalb die Entwicklung der deutschen Gesellschaft wider. So werden Filme mit sexuellem Inhalt heutzutage entspannter beurteilt als etwa vor 15 Jahren. Filme mit Gewaltszenen werden jedoch immer noch genauso streng beurteilt wie damals.

Obwohl der Zugang zu Filmen durch die Digitalisierung allgemein leichter geworden ist, glaubt Linz, dass die FSK immer noch eine sinnvolle Einrichtung ist, indem sie Eltern, Jugendlichen und Kindern eine Beurteilung über die Eignung des Materials für verschiedene Altersgruppen zur Verfügung stellt.