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Gigantische Klage

Christoph Wanner18. Januar 2003

Die Russen lassen sich nicht mehr alles vom Staat bieten. Verletzte und Opfer-Angehörige des Moskauer Geiseldramas verklagen die Stadt auf Schadenersatz. Ein möglicher Präzedenzfall, meint Christoph Wanner.

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In Moskau hat ein für Russland bisher beispielloser Prozess begonnen. Mehrere Dutzend Verletzte und Angehörige von Todesopfern des Moskauer Geiseldramas verklagen die Stadt auf Schadenersatz. Sie fordern insgesamt rund 60 Millionen Euro. Vergangenen Oktober hatten tschetschenische Rebellen in einem Moskauer-Musical-Theater mehr als 800 Geiseln genommen. Bei der Befreiung durch russische Spezialeinheiten starben 129 Nord-Ost-Besucher. Fast alle von ihnen an dem eingesetzten Gas.

Zeichen für Bewusstseinswandel

Der Nord-Ost Prozess soll eine finanzielle Wiedergutmachung erwirken. Er soll aber auch den Bewusstseinswandel in der Gesellschaft ausdrücken. Russinnen und Russen sind nämlich nicht mehr bereit, stumm zu leiden, sich vom Staat alles bieten zu lassen.

Die Kläger, Verletzte und Angehörige von Todesopfern der Moskauer Geiselnahme, werfen den Verantwortlichen Schlamperei und grobe Fahrlässigkeit vor. Die Befreiung, der Sturm sei schlecht geplant und durchgeführt worden. Die russischen Sondereinheiten hatten Gas eingesetzt um die tschetschenischen Terroristen zu lähmen. Darauf haben die Ärzte schlecht reagiert, nicht gleich ein Gegenmittel parat gehabt. Die Opfer der Geiselnahme wurden schließlich mit maximal 3000 Euro abgespeist. Das nennen die Kläger heute eine Schande. Ihnen geht es, wie Tausenden anderen Russen, die vom Staat nach Tragödien mit lächerlichen Summen sitzen gelassen wurden. Doch noch nie hat sich einer getraut, richtig zu protestieren. Jetzt ist das erstmals anders.

Schlechter Ruf der Justiz

Nord-Ost könnte also zu einem Präzedenzfall werden. Ein Sieg der Kläger hätte sicherlich eine Klage-Schwemme zur Folge. Alle, die zum Beispiel nach Bombenanschlägen, Umweltkatastrophen, oder Unfällen leer ausgegangen sind, würden wohl auf ihr Recht pochen. Dazu wird es aber wahrscheinlich nicht kommen. Denn die Stadt Moskau hat bereits signalisiert, im Falle Nord-Ost nichts mehr zahlen zu wollen. Und russische Gerichte stehen in dem Ruf, den Wünschen von oben zu entsprechen.