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Gipfel gegen Atomterrorismus

12. April 2010

48 Staats- und Regierungschefs finden sich derzeit in Washington zusammen, um über Atomwaffen zu debattieren. Gastgeber Barack Obama versucht im Vorfeld, die Welt auf den Kampf gegen Nuklearterrorismus einzuschwören.

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Zeichen für Radioaktivität (Foto: ap)
Kann radioaktives Material in die Hände von Terroristen gelangen?

Dieser Mann hat einen Traum: US-Präsident Barack Obama will eine Welt ohne Atomwaffen, das hat er bereits vor einem Jahr bei seiner Grundsatzrede in Prag angekündigt. "Ich bin nicht naiv. Dieses Ziel zu erreichen, wird sehr lange dauern. Vielleicht werde ich es nicht mehr erleben", sagte er. Denn Obamas Vision hat Feinde - Menschen, deren Ziel es ist, möglichst viele Menschen zu töten: Terroristen, Kriegstreiber, Machtversessene. Gegen die versucht der US-Präsident anzugehen.

Obama, Medwedew (Foto: ap)
Einigte sich bereits mit Russland auf atomare Abrüstung: Barack ObamaBild: AP

Wie dringend er dafür die Hilfe der internationalen Gemeinschaft braucht, zeigt der Atom-Gipfel, der am Montag und Dienstag (12.-13.04.2010) in Washington stattfindet. Es werde "eines der prestigeträchtigsten Treffen, das jemals stattgefunden hat", sagte der Bürgermeister der amerikanischen Hauptstadt, Adrian Fenty.

Die Stadt ist im Ausnahmezustand, die Sicherheitsvorkehrungen enorm. 48 Staats- und Regierungschefs sind dem Ruf von Obama gefolgt. Sie alle werden sich für zwei Tage in Washington zusammensetzen und debattieren, wie verhindert werden kann, dass nukleares Material in die Hände von Terroristen gelangt.

Szenario wie aus einem Horrorfilm

Hiroshima (Foto: ap)
Hiroshima 1945 nach Abwurf der Atombombe: Wären Terroristen zu so etwas fähig?Bild: AP

Schätzungsweise 1600 Tonnen hoch angereichertes Material gibt es weltweit, dazu noch etwa 500 Tonnen Plutonium. Wenige Gramm reichen für einen Terroranschlag aus, wie er grauenvoller kaum sein könnte: Vergleichbar mit den U-Bahn-Anschlägen in London oder dem 11.September - nur eben mit "schmutzigen Bomben", also Sprengsätzen, denen radioaktives Material beigefügt wurde. Tausende Menschen tot oder verstrahlt, das Gebiet auf Jahrzehnte radioaktiv verseucht - Szenarien, die lange Zeit bestenfalls Platz in Horrorfilmen fanden, werden jetzt real politisch diskutiert. Und das von den mächtigsten Frauen und Männern der Welt.

Mit eindringlichen Worten hat Obama am Vorabend des Gipfeltreffens vor den Gefahren gewarnt, dass Atomwaffen in die Hände von Terroristen fallen. Falls die El-Kaida-Terroristen in deren Besitz kämen, würden sie "keine Hemmungen haben, sie auch zu benutzen", sagte Obama am Sonntag in Washington.


Die größte Einzelbedrohung für die Sicherheit der USA, sowohl kurzfristig als auch mittel- und langfristig, gehe von der Möglichkeit aus, dass Terrororganisationen Atomwaffen erlangen, sagte er. "Wenn es jemals eine Detonation in New York, London oder Johannesburg geben sollte, wären die Konsequenzen für Wirtschaft, Politik und Sicherheit verheerend."

"Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand die Konsequenzen tatsächlich vorstellen kann", sagte Anita Nilsson, Direktorin bei der UN-Atomenergiebehörde IAEA. "Die Risiken sind derart beängstigend, dass wirklich alles getan werden muss, um so etwas zu verhindern."

Sowjetische Atomwaffen auf dem Schwarzmarkt

Russischer Bunker für Atomwaffen (Foto: ap)
Sind russische Atomwaffen gut genug gesichert?Bild: AP

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre werden immer wieder Fälle von Atomschmuggel bekannt. Russland hat die meisten atomaren Sprengköpfe weltweit. Als nach Ende des Wettrüstens Tausende sowjetische Atomwaffen abmontiert wurden, verschwanden einige auf Nimmerwiedersehen. Ein ehemaliger russischer Sicherheitsberater räumte ein: Bis zu 250 Waffen seien nicht mehr unter Kontrolle. Auch einige "Koffer-Atombomben" verschwanden damals.

Seitdem ist deutlich mehr strahlendes Material weltweit im Umlauf. Die IAEA-Datenbank listet zwischen 1993 und 2008 weltweit 1562 Fälle auf, bei denen radioaktives Material gestohlen wurde oder "verloren" ging. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen.

Ungesicherte Atomkraftwerke

Außerdem sind die Kernkraftanlagen und Lagerungsstätten für nukleares Material in vielen Ländern, vor allem aber in der ehemaligen Sowjetunion, schlecht geschützt. So kommen Interessierte auf dem weltweit aktiven Schwarzmarkt leicht an radioaktive Substanzen. Experten schätzen, dass sich weltweit rund 2000 Kubikmeter waffenfähiges Nuklearmaterial an wenig gesicherten Orten befindet. Es lagert in Kellern, Bunkern und Kraftwerken.

Atomkraftwerk (Foto: ap)
Kommen Terroristen an das nukleare Material aus Atomkraftwerken?Bild: Energiewerke Nord

"Es gibt Hunderte Orte, aus denen spaltbares Material gestohlen werden könnte", sagt Harvard-Professor Matthew Bunn. "Das Material ist leicht zu schmuggeln und schwer zu entdecken." Auch die Internationale Atomenergiebehörde ist sich dieses Risikos bewusst: "Wir müssen alles tun, damit extremistische Gruppen nicht in den Besitz nuklearer Waffen gelangen", sagte Mohammed El Baradei, der ehemalige Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde. "Ich bin zutiefst überzeugt: Terroristen würden diese Waffen einsetzen. Wir wissen, es gibt ein großes Risiko. Wir haben viel zu tun."

Die Zeit drängt

Deswegen macht Obama jetzt Druck. Zusammen mit den 48 Staats- und Regierungschefs will er am Montag und Dienstag konkrete Pläne erarbeiten, wie nukleares Material so geschützt werden kann, dass es nicht in die Hände von Terroristen gelangt.

Innerhalb von vier Jahren - so Obamas Ziel - sollen nicht nur die Lagerungsstätten besser geschützt, sondern auch Atomschmuggel aktiver bekämpft werden. Bislang sind in 55 Staaten 3000 Geräte im Einsatz, um an Landesgrenzen und Flughäfen strahlendes Material aufzudecken. Die Wiener Atomenergiebehörde arbeitet mit 30 Ländern zusammen, um deren Atomkraftwerke besser zu schützen. Aber die Umsetzung dieser Ziele erfolgt bislang zu langsam. "Wir sind einfach nicht schnell genug", räumte El Baradei ein.

Feinde am Verhandlungstisch

Obama versucht jetzt, die Welt vom Ernst der Lage zu überzeugen. Neben den offiziellen Atomstaaten Großbritannien, Russland, China und Frankreich, die den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben haben, sind auch Nationen geladen, die in den vergangenen Jahren selbst durch Atom-Schmuggel in die Schlagzeilen gerieten - beispielsweise Nigeria, Saudi-Arabien, Brasilien oder die Philippinen. Ebenfalls am Verhandlungstisch sitzen die verfeindeten Nuklearmächte Indien und Pakistan, die beide den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet haben.

Sorgenkind Pakistan

Atomrakete in Pakistan (Foto: ap)
Pakistan hat die Bombe - ist sie sicher vor Terroristen?Bild: AP

Besonders Pakistan ist derzeit das Sorgenkind der Diplomaten: Islamistische Gruppierungen sind auf dem Vormarsch. Nicht nur die USA befürchten, dass sie sich spaltbares Material besorgen könnten. Der Vater des pakistanischen Atomprogramms, Abdul Qadeer Khan, soll unter anderem wichtige Informationen zum Bau einer Atombombe an den Iran, Libyen und Nordkorea verkauft haben. Er selbst bestreitet die Vorwürfe.

Fest steht aber: Baupläne für Atombomben werden gegen entsprechende Milliarden-Zahlungen von Land zu Land weitergereicht. So ist beispielsweise Saudi-Arabien kein Atomstaat, könnte sich aber wohl jederzeit auf Pakistan verlassen. Pakistan selbst hat seine Informationen aus den Niederlanden, wo Qadeer Khan als junger Mann in Reaktoranlagen arbeitete.

Konkrete Anschlagspläne?

Experten vermuten: Die Wahrscheinlichkeit, dass Terroristen derzeit schon an einer Atombombe bauen, sei zwar gering. Sie seien aber jederzeit in der Lage, Bomben nach Wunsch und Größe zu kaufen. Ob dem US-Geheimdienst konkrete Anschlagspläne vorliegen, ist unklar.

Netanjahu (Foto: dpa)
Fährt nicht nach Washington: Israels Ministerpräsident NetanjahuBild: picture alliance / dpa

Nicht nach Washington eingeladen wurden Nordkorea und der Iran. Beide Länder streben nach nuklearer Macht: Der Iran steht im Verdacht, heimlich an der Atombombe zu bauen, Nordkorea hat bereits Atomwaffen. Beide Staaten verweigern internationale Kontrolle und Kooperation.

Obamas Einladung verweigert hat nur einer: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Das Verhältnis zwischen Israel und den USA ist Moment angespannt. Außerdem befürchtet Netanjahu, dass islamische Staaten bei dem Gipfel Druck auf ihn ausüben könnten. Denn die faktische Atommacht Israel hat sich bis heute geweigert, seine Atomanlagen zur Inspektion freizugeben.

Für Deutschland sitzt Bundeskanzlerin Angela Merkel in Washington mit am Verhandlungstisch. Sie warnt davor, dass sich etwa Terroristen zivil zugängliches radioaktives Material beschaffen und es in konventionellen Waffen als "schmutzige Bomben" einsetzen könnten.

Autorin: Anna Kuhn-Osius (ap, dpa, rtr, afp)

Redaktion: Miriam Klaussner

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