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Glaube im Konflikt

Ulrike Mast-Kirschning20. Mai 2012

Im Norden Nigerias brennen die Kirchen und die Bahai im Iran dürfen ihre Religion nicht ausüben. Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit ist eine Herausforderung für den UN-Sonderberichterstatter.

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Eine schwarz verschleierte junge Frau im saudi-arabischen Riad (Foto: dpa)
Verschleierte Frau in Saudi-ArabienBild: picture-alliance/dpa

"Religionsfreiheit ist ein umkämpftes und vielfach missverstandenes Menschenrecht", betont der UN-Sonderberichterstatter Heiner Bielefeldt. Seit 2010 sammelt der Professor an der Universität Nürnberg-Erlangen, der nach eigenem Bekunden sein Leben lang vor allem aus Büchern gelernt hat, neue Erfahrungen auf seinen Inspektionsreisen. "Die direkte Konfrontation mit der Menschenrechtsituation in einem Land ist doch immer wieder anders als die Aktenlage."

Der Hass und die Diskriminierung, die religiöse Minderheiten weltweit erfahren, bedrücken ihn. In Moldawien etwa werden in ländlichen Regionen Beerdigungszüge von Baptisten, Methodisten oder Pfingstkirchlern gestört: "Man muss sich vorstellen, was es bedeutet, wenn Mutter oder Bruder gestorben sind und es kaum möglich ist, sie ungestört zu beerdigen."

Diskriminierungen weltweit

In Pakistan sind Angehörige einer religiösen Minderheit während der großen Flut ertrunken, weil ihnen der Zugang zu Schutzräumen versperrt worden ist. In manchen Regionen Paraguays diskriminieren Mennoniten, selbst eine religiöse Minderheit mit langer Verfolgungsgeschichte, als wirtschaftlich starke Gruppe indigene Bevölkerungsgruppen. In Usbekistan wandern die Anhänger von Said Nursi, einem türkischen Mystiker des 20. Jahrhunderts, für den Besitz seiner Schriften ins Gefängnis. Indien dagegen verhängt staatliche Schikanen gegenüber Konvertiten zum Christentum, aber auch zum Islam. Diese und zahlreiche weitere Berichte über Menschenrechtsverletzungen stapeln sich jeden Tag auf Bielfeldts Schreibtisch: Über die systematische Diskriminierung von christlichen Minderheiten in Ägypten, die Anschläge der Boko Haram auf Menschen und Kirchen in Nigeria, die Unterdrückung der postislamischen Religionsgemeinschaft der Bahai in Iran und über den Druck, den die Volksrepublik China auf Muslime und die Meditationsbewegung der Falun Gong ausübt.

Meinungsfreiheit ist zentral

Allein die Verbreitung religiöser Literatur werde oftmals hart bestraft, beklagt der UN-Sonderberichterstatter. In rund 30 Prozent der Staaten werde Missionstätigkeit restriktiv verfolgt. Aktuell sorgt er sich um 35 eritreische Christen, die verhaftet und möglicherweise gefoltert würden, weil man bei der Einreise christliche Schriften in ihren Koffern gefunden habe.

"Religionsfreiheit ist auch ein Kommunikationsrecht", sagt Bielefeldt. "Menschen sollen in der Lage sein, sich frei zu äußern." Dies gelte es vor allem gegenüber der Organisation islamischen Staaten zu betonen. Seit dem Streit um die sogenannten Mohammed-Karikaturen 2006 versucht die Organisation im Menschenrechtsrat in Genf Religionsdiffamierung völkerrechtlich unter Strafe stellen zu lassen. Solche Vorstellungen erinnern Sonderberichterstatter Bielefeldt an die menschenrechtswidrigen Blasphemie-Gesetze in Pakistan. Damit wurden für angebliche Beleidigungen des Propheten vor pakistanischen Gerichten bereits Todesstrafen verhängt. Durch Vermittlung der US- Außenministerin Hillary Clinton, sei man im Menschenrechtsrat inzwischen dazu übergegangen stattdessen über die Überwindung religiöser Hassreden zu debattieren. "Das ist produktiver" meint Bielefeldt.

Indonesische Muslime zerreißen dänische Flagge - Karikaturenstreit (Foto: dpa)
Indonesische Muslime zerreißen dänische FlaggeBild: picture-alliance/dpa

Missverständnisse gebe es auch in säkularen Gesellschaften, kritisiert Bielefeldt. So gebe es keinen Anspruch darauf, von religiösen Symbolen in der Öffentlichkeit "verschont" zu werden. "Das wäre das Ende der freiheitlichen Gesellschaft", so der UN-Sonderberichterstatter. "Menschen müssen damit leben, dass sie Kirchtürme sehen, dass sie ab und zu Kirchenglocken läuten hören, dass sie Kopftücher sehen und Minarette - wer das nicht will, der ruft im Grunde nach einem autoritären Staat."

Auch ein Genderthema

Entgegen häufig geäußerter Auffassung sei Religionsfreiheit Auch nicht nur das Recht der Frommen, stellt Bielefeldt klar: Genauso könne sich jemand auf die Religionsfreiheit berufen, die eine feministische Neuinterpretation religiöser Quellen vorantreiben will.

Ohnehin will der UN-Sonderberichterstatter die Gleichberechtigung der Frauen in der Religion zum Schwerpunkt für einen seiner nächsten Berichte im Menschenrechtsrat machen. In traditionellen religiösen Verhältnissen sind Frauen meist deutlich diskriminiert, so sein erstes Fazit: "Faktisch sieht das so aus, dass vor allem außerhalb der Familie den Frauen wenig Rechte gegeben werden. Das ist ein Problem in allen älteren religiösen Traditionen, in christlichen wie in islamischen, aber auch im Judentum."

Konflikte nehmen zu

Auseinandersetzungen um Veränderungen und Neuinterpretationen seien durchaus Bestandteil der Religionsfreiheit - es gehe nicht darum, Streit zu verhindern. Allerdings dafür zu sorgen, dass er fair und friedlich ausgetragen werde. Religionsfreiheit sei wie die Menschenrechte insgesamt, ein Friedensprojekt der Staatgemeinschaft, betont der UN Sonderberichterstatter.

Die Anzahl der Konflikte - vor allem solcher, die gewaltsam und eben nicht fair ausgetragen werden - nimmt aber offenbar insgesamt zu. Entsprechende Hinweise habe das PEW Institut (PEW Forum on Religion & Public life), eine amerikanische Sozialforschungsorganisation, nach der Auswertung eines breit angelegten Datensatzes gegeben.

Viele religiöse Konflikte sieht Sonderberichterstatter Bielefeldt allerdings auch vor dem Hintergrund sozialer Verwerfungen: "Unterschiedliche ethnische Gruppen, die fragile Identität eines Landes, Minderheiten mit historischen Traumatisierungen, manchmal auch Verschwörungsphantasien und oft auch soziale Konflikte" befeuerten religiöse Intoleranz.

Vielfältige Aufgaben, hehre Ziele

Die Handlungsmöglichkeiten des UN-Sonderberichterstatters seien begrenzt, er ist aber nicht einflusslos: Berichte und Klarstellungen vor Ort und im Menschenrechtrat sollen Einzelne unterstützen und Orientierung für Staaten und Gesellschaften geben. Im Diplomatischen Dialog kann die UN den Handlungsdruck auf die Staaten erhöhen.

Einer von über 100 Teilnehmern eines Sonderkongresses der Zeugen Jehovas läßt sich in der AOL Arena in Hamburg während einer Massentaufe taufen (Foto: dpa)
Taufe bei den Zeugen JehovasBild: picture alliance/dpa

Auch bei der Prävention sieht der Menschenrechtsexperte die Staaten in der Pflicht. "Investitionen in Bildung und angemessene Informationen über Religion und religiöse Traditionen" seien die beste Möglichkeit, Konflikte zu vermeiden. Hilfreich sei es auch, eine dauerhafte Kommunikation zwischen religiösen Gruppen herzustellen - das könne manches Missverständnis verhindern. Eine gute menschenrechtliche Infrastruktur und geeignete Beschwerdemöglichkeiten innerhalb eines Landes seien nötig, um Probleme im Frühstadium zu erkennen. Zentral bleibe letztlich die Rolle der Zivilgesellschaft, betont Bielefeldt: "Veränderungen im Umgang mit Konflikten bei der Religions- und Weltanschauungsfreiheit müssen letztlich von der Mitte der Gesellschaft ausgehen."