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Christa Wolf wird 80

18. März 2009

Christa Wolf ist 80. Eine Schriftstellerin, die ein Leben lang öffentlich Position bezieht und um Werte streitet. Persönliche Anmerkungen ihrer Biografin Sonja Hilzinger.

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Christa Wolf (Foto: AP)
Lesung mit Christa WolfBild: AP

Sie gilt als bedeutendste Prosa-Autorin Nachkriegsdeutschlands, ihre Bücher werden von Leserinnen und Leser aller Generationen und weltweit gelesen. Ihre Prosa ist in den sozialen Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte verankert, sie verleiht den Ängsten und den Hoffnungen vieler Menschen eine Stimme.

Eine Frau, die sich wie sie mit ihrer ganzen Person in das Zeitgeschehen einmischt, polarisiert auch. Für die einen verkörpert sie – auch nach Literaturstreit und Stasi-Debatte – Glaubwürdigkeit und moralische Integrität. Anderen ist die Zeitgenossin, die Intellektuelle, die Frau, die Moralistin, die Autorin, die sich öffentlich positioniert, streitet und Werte wie Aufklärung und Menschenwürde verteidigt, verdächtig. Sie ist unbequem. Sie übertritt Grenzen, im Leben wie im Schreiben. Auch ist sie keine traditionelle Erzählerin, sondern versteht sich als Prosa-Autorin, die wahrheitsgetreu erfindet aufgrund ihrer eigenen Erfahrung und uns teilhaben lässt am Entstehen dieses Gewebes aus erfahrener, erinnerter, erfundener Welt: ein offenes Modell, ein unverkennbar weibliches, und ein Identifikationsangebot, das immer wieder aufs Neue angenommen wird.

Ihre Art, realistisch zu erzählen

Buchmesse Leipzig Christa Wolf Leibhaftig
So wird eine Star-Autorin präsentiert: Buchmesse LeipzigBild: AP

Dem Alltag kommt in diesem Werk entscheidendes Gewicht zu. Er steht für die Kostbarkeit gelebten Lebens. Ihre Prosa der Erinnerung bezieht (Zeit-)Geschichte und Mythologie gleichermaßen ein. Das Schreiben begleitet das Leben, wird zur "Mit-Schrift", zur Chronik, ja zum Widerstand gegen das unaufhaltsame Verlorengehen von gelebter Zeit. Fast immer schreibt sie darüber, wie und unter welchen Umständen ein Individuum, ein weibliches, sich selbst finden und zugleich autonomes und tätiges Mitglied einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft sein kann.

Ihre Prosa entzieht der Hoffnung auf gelingende Selbstverwirklichung innerhalb eines Gemeinwesens nicht den Grund. Aber sie zeigt, oft indem sie den Körper zum Austragungsort von Konflikten werden lässt, auch die Verstrickungen und Schwierigkeiten auf diesem Weg auf. Das ist ihre Art, realistisch zu erzählen. Ihre Schreibweise folgt der Dynamik der eigenen Lebenserfahrung im Spannungsfeld zwischen Hoffnung und Ernüchterung, im Dialog, im Widerspruch, in der Selbstvergewisserung und nicht zuletzt in den Schnittpunkten von Biographie und Zeitgeschichte. Schreiben bedeutet für sie die Intensivierung von Leben, Denken und Handeln.

Ihre Schreibarbeit ist von Anfang an darauf aus, den einzelnen Menschen zu stärken und zugleich eine Gemeinschaft zum Wachsen zu bringen, "deren Gesetze Anteilnahme, Selbstachtung, Vertrauen und Freundlichkeit" sind. Ein Hauptwort in ihrem Leben und ihrem Schreiben ist: Ernüchterung. Ein anderes: Authentizität.

Autorin: Sonja Hilzinger

Redaktion: Conny Paul