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Globalen Führungsanspruch erneuert

Daniel Scheschkewitz30. Januar 2002

In seiner Rede zur Lage der Nation hat sich Bush als selbstbewusster Präsident präsentiert - und als Chef einer Nation, die ihr kollektives Selbstvertrauen zurück gewonnen hat. Ein Kommentar von Daniel Scheschkewitz.

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George W. Bush wird seit dem 11. September von einer Welle der Zustimmung getragen. Über 80 Prozent der Amerikaner sind mit der Politik ihres Präsidenten einverstanden. Diese Zahl symbolisiert wie keine andere das patriotische Zusammenrücken der Amerikaner nach dem 11. September. Der erfolgreiche Einsatz in Afghanistan, die Befreiung eines unterdrückten Volkes, die erlebte Solidarität der freien Welt: Das alles sind Erfahrungen der letzten vier Monate, die Amerika und seinem Präsidenten ganz offenbar gut getan haben. Aber sie haben ihn nicht selbstzufrieden gemacht.

Bush hat die internationale Koalition gegen den Terror erfolgreich geschmiedet. Jetzt muß er darauf achten, dass sie nicht wieder auseinander bricht. Seine deutliche Parteinahme für Israel und seine Abkehr von Palästinenserchef Yassir Arafat stellen in diesem Zusammenhang ein Problem dar. In der arabischen Welt werden die USA nicht einmal mal mehr von Wohlgesonnenen als ehrlicher Makler in diesem historischen Konflikt wahrgenommen.

In Westeuropa hat vor allem die Behandlung der US-Gefangenen auf Kuba Vorbehalte ausgelöst. Auch hier muss Bush aufpassen, dass er nicht die moralische Autorität verliert.

Wohin die USA in ihrem Kampf gegen den Terror steuern, ließ der Präsident weitgehend im Dunkeln. Irak und Iran wurden ein weiteres mal genannt - letzterer vor allem wegen der Unterstützung von Hamas und Islamischem Dschihad, zwei radikalen Palästinenser-Organisationen, die beinahe täglich Terror auf die Straßen von Israels Metropolen tragen. Nordkorea bleibt auf der Liste der sogenannten "Schurkenstaaten" - vor allem um die umstrittene amerikanische Raketenabwehr zu rechtfertigen.

Die angekündigte militärische Aufrüstung und die zusätzlichen Mittel für die innere Sicherheit sind vor dem Hintergrund der Ereignisse des 11. September nachvollziehbar und schwer zu kritisieren. Hier vollzieht sich ebenso wie so automatisch entstehenden Staatsverschuldung ein Paradigmenwechsel, dem sich auf Dauer zum Beispiel auch die Politik in Deutschland nicht wird entziehen können. Die Haushaltspolitik ausgeglichener Budgets - nach dem Ende des Kalten Krieges erstmals seit langem wieder eine realistische Option - dürfte wohl nicht nur in den USA auf absehbare Zeit der Vergangenheit angehören.

Überparteilichkeit ist zum zentralen Motiv der Bush-Rhetorik geworden. Doch der Präsident ist sich sehr wohl bewusst, dass in diesem Jahr in den USA ein neues Parlament gewählt wird. Bush weiß - und seine Rede hat es unter Beweis gestellt -, dass außenpolitischer Erfolg keinesfalls zur Vernachlässigung wichtiger innenpolitischer Probleme führen darf.

Nur etwa die Hälfte aller US-Bürger findet, dass die Bush-Regierung sich auch im Skandal um den Pleite gegangenen Energiekonzern Enron richtig verhalten hat. Zweidrittel sind gar der Meinung, dass Weiße Haus solle seine vertraulichen Gespräche mit Enron-Managern veröffentlichen. Doch zu einem der größten Finanzskandale in der US-Nachkriegsgeschichte gab es von Bush kein Wort - außer der Bemerkung, dass Aktienbesitzer und Ruhestandsgelder von Beschäftigten besser geschützt werden müssten. Bloß wie? Bush bleibt hier bei seinem ökonomischen Patentrezept: den Steuernachlässen, von denen doch nicht zuletzt wieder der Big Business profitiert. Es ist fraglich, ob ihm dass die einfachen Bürger auf Dauer durchgehen lassen werden - vor allem wenn die Rezession nicht bald überwunden wird.

Trotz der Bedrohung durch globale Terrornetzwerke ist die Neigung der US-Amerikaner zum Selbstverzicht eher gering ausgeprägt, da kann Bush noch solange zum freiwilligen sozialen Engagement aufrufen. Erfolge im Kampf gegen den Terror und bei der Verbesserung der inneren Sicherheit sind auf Dauer keine Erfolgsgarantie. Auch für einen Präsidenten Bush nicht.

Amerika, so der Eindruck nach Bushs Rede, steht nach den Terroranschlägen von New York und Washington trotz wieder gewonnenem Selbstvertrauen noch nicht auf tönernen Füßen. Dennoch haben die USA im weltweiten Einsatz für Freiheit und Menschenrechte mit dem Feldzug in Afghanistan ihren globalen Führungsanspruch erneuert und tatkräftig unter Beweis gestellt. Ob ihr die Welt auch bei den nächsten Etappen folgen wird, hängt nicht zuletzt von den Zielvorgaben ab.