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Europa wählt den Protest

Sabrina Pabst26. Mai 2014

Der Erfolg des Front National hat sich laut Klaus Goetz angedeutet. Er sei aber nicht mit dem von Rechtspopulisten in anderen Ländern zu vergleichen, sagte der Politikwissenschaftler im DW-Interview.

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Während der Europawahlen geben in Belgien Frauen ihre Stimme ab. Sie werfen ihren Wahlzettel in die Urnen.
Bild: Reuters

Deutsche Welle: Herr Götz, Deutschland sendet ein politisch stabiles Signal nach Europa, doch bei manchen Nachbarn sind die Ergebnisse erschütternd: 25 Prozent für den Front National, der damit stärkste Kraft in Frankreich wird. Die Sozialisten liegen nach Schätzungen bei 14 bis 15 Prozent. Wie sehr schwächt dieser Sieg den französischen Präsidenten Hollande?

Frankreich ist eine gute Illustration des Phänomens, das wir in vielen der 28 Mitgliedsstaaten sehen: Wahlergebnisse geben die Dynamik in den jeweiligen Mitgliedsstaaten wieder. Frankreich zeigt, dass wir es nicht mit einer europaweiten Dynamik zu tun haben, sondern dass die Wahlergebnisse jeweils vor dem Hintergrund eines ganz bestimmten Landes gesehen werden müssen. Die Ergebnisse des Front National haben das bereits vor einigen Wochen in den Kommunalwahlen angedeutet. Wir haben es in Frankreich ja immer wieder mit einem Erstarken der Rechten zu tun. Natürlich ist dieses Ergebnis für den französischen Präsidenten schwierig. Er war aber auch vorher schon in einer sehr schwierigen Lage. Für ihn gibt es überhaupt nur noch eine Chance: Er muss versuchen in der verbleibenden Amtszeit mit Reformen soweit zu kommen, dass er noch mal eine Chance hat, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen antreten zu können.

Klaus H. Goetz Uni München
Bild: privat

Liegt es an der Person Hollande alleine?

Bei ihm ist das Problem, dass er die Reformen, die er bei seinen Präsidentschaftswahlen angemahnt hatte, nicht in Angriff genommen hat. Er hat gezögert und jetzt bleibt ihm nur noch wenig Zeit. Die versucht er durch die Ernennung des neuen Ministerpräsidenten zu nutzen, um sich für den nächsten Wahlkampf in eine gute Position zu bringen. Aber bisher sieht es so aus, als würde er nach einer Amtszeit abgewählt.

Was sind es denn Gründe für diesen Wahlsieg in Frankreich?

Es gibt ja verschiedene Konfliktlinien: Einerseits sind es die europäischen Integrationsprozesse, das ist ein ökonomischer Konflikt. Auf der anderen Seite gibt es kulturelle Gründe, die mit Fragen der nationalen Identität zu tun haben. In Frankreich kommt beides zusammen. Das ist nicht neu. Wir haben schon seit langer Zeit dort mit einer Euroskepsis zu tun. Die ökonomische Krise in Frankreich verstärkt das. Natürlich schafft dieses Ergebnis große Schwierigkeiten. Wie kann der französische Präsident mit seiner Regierung auf der einen Seite dafür sorgen, dass in Europa auch auf europäischer Ebene Reformen vorangetrieben werden, wenn er im nationalen Kontext von der Opposition hier jetzt von der Front National getrieben wird?

Welche Klientel wählt den Front National? Oder anders gefragt: Was müssen die Sozialisten tun, damit die bürgerlichen Parteien nicht weiter zersplittern und Wähler an den Front verlieren?

Die Konservativen in Frankreich haben sich nach der verlorenen Präsidentschaftswahl erst einmal selbst zerlegt. Das ist noch nicht überwunden. Das heißt, die konservative Opposition ist seit der Präsidentschaftswahl in einer tiefen Krise. Dort ist also Potenzial. Wir haben bis in die 1980er-Jahre in Frankreich eine starke kommunistische Linke gehabt. Das darf man nicht vergessen. Es gibt in Frankreich also auch ein radikales Potenzial. Im Moment haben wir auf der einen Seite eine sehr geschwächte bürgerliche Opposition und auf der anderen Seite eine Linke, die innerlich auch sehr geschwächt ist. Das sind die Sozialisten. Aber aus diesem Ergebnis kann man nicht auf die Dynamik der kommenden Präsidentschaftswahl schließen.

Europa wählt den Protest - können Wähler überhaupt zwischen nationaler Politik und EU-Politik unterscheiden?

Sehr gut sogar. Die Wahlergebnisse bei Europawahlen sind regelmäßig andere als dann die Ergebnisse später in den nationalen Wahlen. In der Politikwissenschaft gelten Europawahlen als Wahlen zweiter Ordnung. Das heißt, die Wähler sind sich durchaus bewusst, dass das, was zur Entscheidung steht, nicht die gleiche Qualität hat, wie das, was bei nationalen Wahlen entschieden wird. Daraus erklärt sich auch, die deutlich niedrigere Wahlbeteiligung bei Europawahlen im Vergleich zu nationalen Wahlen.

Dass der rechte Flügel an Zuwachs gewinnt, wurde schon im Vorfeld der Wahlen prognostiziert. In Dänemark wird die rechtspopulistische Dänische Volkspartei stärkste Kraft. Was haben die Dänen und Franzosen gemeinsam?

Wenig. Wir müssen diese Wahlen in ihrem nationalen Kontext sehen. Wie ist die Wettbewerbssituation der verschiedenen nationalen Parteien untereinander. Natürlich gibt es in Dänemark auch schon seit langer Zeit eine große Europaskepsis. Dänemark muss neben Großbritannien, anders als die anderen Mitgliedsstaaten, im Prinzip auch nicht dem Euro beitreten.

Warum lag unser Hauptaugenmerk immer auf Ländern wie Frankreich oder den Niederlanden, nie auf Dänemark?

Weil unser Verständnis in der Bundesrepublik Deutschland euroskeptische Parteien vor allem vor dem Hintergrund ökonomischer Probleme sieht. Das ist sicherlich auch in Südeuropa der Fall. Aber wenn wir uns Euroskepsis in Dänemark oder auch in Großbritannien anschauen, dann geht es hier nicht um ökonomische Problemlagen. Denn beide Länder haben von der europäischen Integration profitiert. Sondern es geht um Fragen der inneren Sicherheit, der Migration und auch der kulturellen Identität.

Wenn wir nach Griechenland blicken- dort wird die linksradikale Partei Syriza stärkste Partei. Und die rechtsextreme Goldene Morgenröte hat 9,3 Prozent erlangt und ist drittstärkste Kraft geworden. Kommt die Regierung nun ins Wanken und die Eurokrise dort zurück?

Natürlich wird die Opposition versuchen vor diesem Hintergrund für Neuwahlen zu werben. Die Regierung wird alles versuchen, solche Neuwahlen zu vermeiden. Sie wird darauf hoffen, dass die ersten positiven Anzeichen einer wirtschaftlichen Wende sie in den nächsten regulären Wahlen stärken. Europawahlen sind nicht das gleiche wie nationale Wahlen. Die Wähler neigen eher zu Protestwahlen. Die Griechen haben wahrscheinlich mehr Anlass zu solchen Protesten als die meisten Europäer. Sie haben sich den Parteien der extremen Linken, aber auch im geringeren Umfang der extremen Rechten zugewandt. Aber wir sollten gleichzeitig noch mal daran erinnern, dass es auf dem Höhepunkt der Krise in Griechenland trotzdem gelungen ist, eine Regierung der demokratischen Parteien der Mitte zu bilden.

Professor Klaus Götz ist Politikwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dort forscht er zur europäischen Integration. Seit dem Jahr 2000 ist er Mitherausgeber der Fachzeitschrift "West European Politics".