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"Goldene Worte" und falscher Zungenschlag

Konstantin Klein6. März 2003

In den USA erwacht ein TV-Dinosaurier zu neuem Leben: die Talkshow "60 Minutes". Talkmaster sollen zwei Polit-Dinosaurier werden: der Ex-Präsident Bill Clinton und der Ex-Präsidentschaftskandidat Bob Dole.

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Reality ist Trumpf! Und was könnte in diesen Tagen realer sein als ein Interview mit Saddam Hussein? Weshalb am Montag vergangener Woche CBS-Starmoderator Rather zusammen mit drei Übersetzern dem Herrscher vom Tigris gegenüber saß und seine Fragen stellte. Zum ersten Mal wurde das Gespräch in dem CBS-Magazin "60 Minutes II" ausgestrahlt und seitdem in Ausschnitten in jeder CBS-Sendung wiederholt, deren Redaktionsleiter die Tür nicht schnell genug verrammelt hatte.

Inzwischen nimmt die Geschichte des Interviews jedoch surreale Züge an. Zunächst waren alle, die das Gespräch von Bagdad gesehen hatten, beeindruckt, wie gut Saddam Hussein auf Rathers Fragen vorbereitet war - bis Rather stolz erzählte, wie er seine Fragen vor dem Spiegel geübt hatte, und zwar in der allerhöchstens relativen Abgeschlossenheit seines Bagdader Hotelzimmers.

Falscher Zungenschlag

Seitdem konzentriert sich die Neugier der Neider (also derer, die das Interview nicht bekommen hatten) auf einen anderen Umstand: auf die Stimme des Übersetzers, der in der gesendeten Version Saddams Worte auf English mit dezentem arabischen Akzent vortrug. Recherchen der Washington Post haben ergeben, dass die wohltönende Synchronstimme des Diktators einem gewissen Steve Winfield gehört, der neben einem makellos nordamerikanischen Namen eine ebensolche Aussprache sein eigen nennt. Winfield ist Übersetzer, aber auch Mitglied der Schauspielergewerkschaft Screen Actors Guild - was den gelungenen arabischen Akzent erklären würde. Auf Anfrage ließ CBS wissen, die Produktion des Interviews entspreche in jeder Hinsicht den Standards der CBS News - kein sehr beruhigender Gedanke.

Im Kampf um die realste aller Reality Shows hat inzwischen die Vorlage von "60 Minutes II", ein ehrwürdiges und leicht angestaubtes Magazin mit dem wenig überraschenden Titel "60 Minutes", einen eigenen Coup gelandet. Dem Diktator mit dem falschen Akzent setzt man hier zwei Hausmänner entgegen, die zuletzt ein wenig im Schatten ihrer prominenten Gattinnen standen. Die Frauen sitzen für die Staaten New York, bzw. North Carolina im US-Senat und heißen Hillary Clinton respektive Elizabeth Dole; die Männer waren mal Präsident der USA, bzw. Präsidentschaftskandidat.

Goldene Worte

Insgesamt zehn Mal sollen sich Bill Clinton und Bob Dole in den nächsten Wochen jeweils anderthalb Minuten lang zu einem politischen Thema äußern - das ergibt eine Netto-Sendezeit von 45 Sekunden pro Thema und Nase. Beide sind für ihre enorme Geschäftstüchtigkeit bekannt; bei einem angenommenen, aber durchaus realistischen Gesamthonorar von einer Million Dollar für Clinton macht das 100.000 Dollar pro Auftritt – oder einen Sekundenpreis von 2222 Dollar. Wer Clintons bedächtige Sprechweise kennt, weiß, dass das ein mehr als anständiger Preis für jedes der offensichtlich goldenen Worte aus dem Munde des Ex-Präsidenten ist.

Realer geht’s eigentlich nicht mehr.