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Goldener Herbst für die Wirtschaft

Rolf Wenkel
25. Oktober 2016

So optimistisch wie jetzt sind die Chefs deutscher Unternehmen seit zweieinhalb Jahren nicht mehr gewesen. Experten wittern einen goldenen Herbst. Und auch Europa zeigt Lebenszeichen.

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Deutschland Wolfsburg Neufahrzeuge auf Güterzügen
Bild: Reuters/F. Bimmer

Das Münchner Ifo-Institut teilte am Dienstag mit, dass das wichtigste deutsche Konjunkturbarometer, der Ifo-Index, überraschend kräftig nach oben auf den höchsten Stand seit April 2014 geklettert sei. Dabei war der Indikator schon im September ungewöhnlich deutlich gestiegen und hatte einen Dämpfer unmittelbar nach dem Votum der Briten für einen Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union mehr als ausgeglichen.

Jetzt hat sich gezeigt, dass der September-Wert kein vorübergehender Ausreißer war. Offenbar zuckt die deutsche Wirtschaft bislang über das Brexit-Votum nur mit den Schultern. Die Sorgen vor langwierigen und harten Verhandlungen um einen Brexit schienen die Stimmung in den Unternehmen nicht weiter zu belasten, sagt Experte Ralf Umlauf von der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba).

Entsprechend euphorisch sind die Ökonomen. "Der Aufschwung gewinnt an Fahrt», sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest  "Es läuft rund in der deutschen Wirtschaft", heißt es von Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank.

Der Brexit rückt näher, die US-Wahlen stehen vor der Tür, im Nahen Osten herrscht Krieg und Europa ist nicht in der Lage, Handelsabkommen zu schließen - doch die deutsche Wirtschaft scheint von alldem bislang völlig unbekümmert.

Auch die Eurozone erholt sich

Doch auch im Euroraum hellte sich die Unternehmensstimmung im Oktober deutlich stärker auf als erwartet. Die Daten zeigten, dass die Konjunktur nach einer kurzen Schwächephase wieder besser in Tritt gekommen sei, schrieb Analyst Stefan Kipar von der BayernLB in einem Kommentar. Die positive Entwicklung in Deutschland forcierte auch die Erholung der gesamten Eurozone. Der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft in den 19 Euro-Ländern kletterte stärker als erwartet auf 53,7 Punkte und erreichte damit den höchsten Stand seit Dezember.

Die Firmen profitierten von mehr Aufträgen und stellten per Saldo mehr Mitarbeiter ein als zuletzt. "Die Eurozone sendet zu Beginn des vierten Quartals 2016 ein neues Lebenszeichen", sagt Markit-Chefökonom Chris Williamson. Demnach dürften sich Wachstum und Beschäftigungsaufbau gegen Jahresende weiter beschleunigen.

Rückkehr auf die Überholspur

Insbesondere in Deutschland hätten sich die Vorzeichen für eine Fortsetzung des Aufschwungs im Herbst verbessert. Die Firmen profitierten im Oktober vom größten Auftragsplus seit Jahresbeginn, wie am Montag aus Umfragen unter rund 900 Unternehmen hervorging. Sie schufen zudem so viele Stellen wie seit über fünf Jahren nicht mehr. "Die deutsche Wirtschaft ist im Oktober nach der leichten Wachstumsdelle in den beiden Vormonaten wieder auf die Überholspur zurückgekehrt", sagt Markit-Ökonom Oliver Kolodseike.

Für das abgelaufene Sommerquartal rechnet die Bundesbank zwar damit, dass sich die wirtschaftliche Erholung im Vergleich zum Wachstum von 0,4 Prozent im Frühjahr leicht abgeflaut haben dürfte. Dennoch sei der Konjunkturmotor weiter recht kraftvoll, konstatierten die Notenbank-Experten in ihrem Monatsbericht. Zudem gebe es Signale, wonach sich die Lage im zuletzt schwächelnden Exportsektor demnächst stärker aufhellen könnte, schreiben die Währungshüter.

Risiken in der Politik

Dennoch sehen viele Experten gerade mit Blick auf die Exportabhängigkeit Deutschlands auch Risiken. Die Welthandelsorganisation WTO rechnet beim weltweiten Handel in diesem Jahr mit dem langsamsten Wachstum seit der Finanzkrise 2009. Für das kommende Jahr haben sich die Aussichten demnach ebenfalls getrübt. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, warnt schon vor "ernsthaften Problemen". Und: "Wegen des um sich greifenden weltweiten Protektionismus wird sich das in den kommenden Jahren leider nicht grundlegend verbessern."

In diesem Zusammenhang sieht Krämer auch die stockenden Verhandlungen der Europäischen Union mit Kanada um das geplante Freihandelsabkommen Ceta als Problem. Es sei fatal, "dass die EU nicht einmal in der Lage zu sein scheint, ein Freihandelsabkommen mit Kanada abzuschließen, obwohl das Land mit Blick auf die Sozial- und Umweltpolitik ähnliche Werte vertritt".

Grundsätzlich ist es Ökonomen zufolge derzeit in erster Linie die Politik, von der Gefahren für die Wirtschaft ausgehen. Stefan Kipar, Experte bei der Bayerischen Landesbank, verweist auf weitere "politische Fallstricke". Italien steht vor einem wichtigen Verfassungsreferendum im Dezember, an das Regierungschef Matteo Renzi auch sein politisches Schicksal geknüpft hat. Hinzu kommen die Präsidentschaftswahlen in den USA im November.

Eklatante Investitionsschwäche

Außerdem werde es zum Brexit erst ab dem kommenden Jahr mehr Klarheit geben, so Kipar. Denn dann erst wird das Austrittsverfahren offiziell in Gang kommen, so dass sich zeigen kann, mit welchen Konsequenzen Unternehmen zu rechnen haben. "All dies dürfte die Konjunktur tendenziell belasten", sagt der Ökonom. Die deutsche Wirtschaft habe aber gute Chancen, das zu verkraften. Eine Rezession, so sein Fazit, drohe jedenfalls nicht.

Doch nicht nur in der Politik lauern Gefahren für die deutsche Wirtschaft - sie selbst verhält sich auch äußerst riskant, indem sie sich eine eklatante Investitionsschwäche erlaubt. Deutsche Unternehmen sitzen auf einem Bargeldbestand von 455 Milliarden Euro oder umgerechnet gut 500 Milliarden Dollar, schreibt das Wall Street Journal – und die Firmen wüssten nichts damit anzufangen.

Das Problem dabei: Die deutschen Unternehmen unterlassen nicht nur riskante Investments im Ausland, sondern investieren auch nicht im eigenen Land. Das aber könnte sich empfindlich auf die künftige Wettbewerbsfähigkeit auswirken, warnt zum Beispiel Reinhold Festge, Präsident der im VDMA zusammengeschlossenen rund 3100 deutschen Maschinen- und Anlagenbauer. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht den technologischen Anschluss verlieren", warnt Festge, "denn wir investieren zu wenig".