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Grün-Rot einig in Baden-Württemberg

27. April 2011

Das bundesweit erste grün-rote Regierungsbündnis steht: Der designierte grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann und SPD-Verhandlungsführer Nils Schmid wollen für Baden-Württemberg soziale und ökologische Reformen.

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Winfried Kretschmann (l.), und Nils Schmid präsentieren den grün-roten Koalitionsvertrag (Foto: AP)
Winfried Kretschmann (l.), und Nils Schmid präsentieren den grün-roten KoalitionsvertragBild: dapd

Vier Wochen hatten die künftigen Koalitionäre in Baden-Württemberg um Inhalte und Posten gerungen. Am Mittwoch (27.04.2011) stellten sie ihren Koalitionsvertrag in Stuttgart vor. Am 12. Mai soll der 62-Jährige Winfried Kretschmann, bislang Vorsitzender der grünen Landtagsfraktion, zum ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands gewählt werden.

Verteilung der Ministerien

Die Partner einigten sich auch auf den Zuschnitt der Ministerien. SPD-Landeschef Nils Schmid soll Superminister für Finanzen und Wirtschaft werden. Die Grünen übernehmen unter anderem das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur. Damit tragen sie künftig auch die Verantwortung für das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21. Die SPD übernimmt unter anderem auch das Kultusministerium, das Innenministerium, das Justizministerium und ein neu geschaffenes Integrationsministerium, wie Schmid erklärte.

Dabei bekommen die Sozialdemokraten als der kleinere Koalitionspartner überraschend ein Ministerium mehr als die Grünen. Ihren Wählern versprechen Kretschmann und Schmid bei der Vorstellung ihres Koalitionsvertrages einen neuen Politikstil. Ihr Ziel sei es, Wirtschaft und Gesellschaft ökologisch und sozial zu modernisieren sowie bessere Bildungschancen für alle durchzusetzen.

Details aus dem Regierungsprogramm

Das Kernkraftwerk Philippsburg, einer der alten Atommeiler in Baden-Württemberg (Foto:AP)
Das Kernkraftwerk Philippsburg, einer der alten Atommeiler in Baden-WürttembergBild: dapd

ENERGIE: Beide Seiten wollen den Ausstieg aus der Atomkraft vorantreiben, auf Landes- und auf Bundesebene. "Wir wollen uns dafür einsetzen, dass die alten Meiler nicht mehr ans Netz gehen", sagte Kretschmann. In Baden-Württemberg sollen die Atomkraftwerke Neckarwestheim I und Philippsburg I, die derzeit nicht am Netz sind, dauerhaft stillgelegt werden. Die Sicherheit der beiden anderen AKWs im Land wird nach strengen Maßstäben überprüft. Nach einem geeigneten Standort für ein atomares Endlager soll auch in Baden-Württemberg gesucht werden dürfen. Die erneuerbaren Energien sollen massiv ausgebaut werden. So soll der Anteil des Windstroms im Land von derzeit 0,7 Prozent auf mindestens zehn Prozent bis zum Jahr 2020 steigen.

BILDUNG: Kretschmann kündigte einen "echten Bildungsaufbruch" für Baden-Württemberg an. Künftig soll es mehr Ganztagsschulen und die Gemeinschaftsschule bis zur Klasse 10 geben. Die erste grün-rote Landesregierung soll nach dem Willen beider Parteien für umfassende Bildungsreformen und mehr Chancengleichheit sorgen. Bis 2012 sollen zudem die Studiengebühren abgeschafft werden.

WIRTSCHAFT/ARBEIT: Die Wirtschaftspolitik soll unter anderem ausgerichtet werden auf die Wachstumsfelder "nachhaltige Mobilität", "Umwelttechnologien, erneuerbare Energien und Ressourceneffizienz" sowie "Informationstechnologien". Die Entwicklung alternativer Antriebe und Ressourcen schonender Mobilität in den Autofabriken des Landes wird unterstützt. Öffentliche Aufträge sollen nur noch an Firmen vergeben werden, die Tariflöhne zahlen. Bei tariffreien Branchen soll dafür ein vom Land festgelegter Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro gelten.

FINANZEN/STEUERN: In der Finanzpolitik strebt Grün-Rot an, den von der schwarz-gelben Regierung hinterlassenen Schuldenberg abzutragen. Das Land soll von 2020 an keine neuen Kredite mehr aufnehmen und damit die auf Bundesebene geltende Schuldenbremse einhalten.

Beide Seiten mussten auch Kröten schlucken

Demonstranten gegen Stuttgart 21 (Foto: dpa)
Das Bahnprojekt Stuttgart 21, einer der schwierigsten Knackpunkter für die neue KoalitionBild: picture-alliance/dpa

Die SPD musste sich in den Verhandlungen von ihrem Wunsch verabschieden, zweistellige Millionenbeträge in den Bau neuer Landstraßen zu stecken. Der Straßenneubau soll nur noch "in begründeten Einzelfällen" möglich sein. Vorhandene Straßen werden stattdessen modernisiert, vor allem soll in die Schiene investiert werden.

Größter Stresstest war und ist für die Grünen der Streit um den Weiterbau des neuen Stuttgarter Bahnhofs. Zwar einigten sich die SPD und die grünen Projektgegner, über die Zukunft von "Stuttgart 21" per Volksabstimmung entscheiden zu lassen. Die Grünen hoffen allerdings, dass es so weit nicht kommen wird: Ein Stresstest am Computer wird im Juni zeigen, ob der Bahnhof teuer nachgerüstet werden muss. Sollte er mehr als die vereinbarten 4,5 Milliarden Euro kosten, zahlt das Land nichts hinzu. Dann wäre ein Ausstieg ohne eine Volksabstimmung möglich.

Ansonsten müsste bei einer Volksabstimmung ein Drittel der Wahlberechtigten des Landes gegen den Weiterbau stimmen, um "Stuttgart 21" zu stoppen - eine hohe Hürde. Für die SPD, die den unterirdischen Bahnhofsbau befürwortet, wäre das Nichterreichen des Quorums daher eine elegante Lösung, um den Weiterbau zu erreichen. Über die 88 Seiten starke Koalitionsvereinbarung stimmen am 7. Mai Sonderparteitage der Grünen in Stuttgart und der SPD in Sindelfingen ab.

Wahldebakel vor vier Wochen stürzte die CDU

Nach 58 Jahren an der Macht war die im Südwesten regierende CDU war bei der Wahl am 27. März auf 39,0 Prozent und damit auf ihr schlechtestes Ergebnis abgestürzt. Die seit 1996 mitregierende FDP erreichte 5,3 Prozent. Die Grünen holten 24,2 und die SPD 23,1 Prozent.

Damit sind die Grünen mit 36 und die SPD mit 35 Abgeordneten im Landtag vertreten. Die grün-rote Koalition wird damit im neuen Stuttgarter Landtag vier Sitze mehr haben als Schwarz-Gelb. Die CDU kommt auf 60 und die FDP auf sieben Mandate.

Autorin: Ulrike Quast (dpa,afp)

Redaktion: Dirk Eckert