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Özdemir neuer Grünen-Chef

15. November 2008

Erstmals wird mit Cem Özdemir ein Türkischstämmiger Bundes-Chef einer Partei. Als Co-Vorsitzende wurde Claudia Roth auf dem Parteitag wiedergewählt. Özdemir will die Grünen wieder stärker zur "Protestpartei" machen.

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Neuer Parteichef der Grünen: Cem Özdemir (Archiv: AP)
Neuer Parteichef der Grünen: Cem Özdemir nach seiner Wahl am SamstagBild: AP

Der Parteitag in Erfurt wählte den Europaabgeordneten am Samstag (15.11.2008) mit großer Mehrheit zum Nachfolger Reinhard Bütikofers an der Parteispitze. Auf den 42-Jährigen entfielen 617 Ja-Stimmen. 107 Delegierte stimmten mit Nein, 9 für seinen in Erfurt selbst gar nicht anwesenden Gegenkandidaten Lars Willen aus Oldenburg, 46 weitere enthielten sich. Dies entspricht einer Zustimmung von 79,2 Prozent.

Özdemir wird die Grünen in einer Doppelspitze zusammen mit der zuvor als Kovorsitzende wiedergewählten Claudia Roth führen. Er ist damit der erste türkischstämmige Bundesvorsitzende einer Partei in Deutschland. Bütikofer hatte auf eine neuerliche Kandidatur verzichtet, weil er im kommenden Jahr für das Europaparlament kandidieren will.

In seiner betont kämpferischen Vorstellungsrede hatte Özdemir seine Partei zuvor aufgerufen, sich künftig nicht mehr mit sich selbst als mit dem politischen Gegner zu beschäftigen. Schließlich führten die Grünen schon immer die Debatte von morgen. Die Große Koalition des Stillstands habe dagegen nicht einmal die falschen Rezepte, sondern gar keine.

Vorwürfe gegen Steinmeier und Gabriel

Claudia Roth auf dem Bundesparteitag (15.11.2008, Quelle: AP)
Claudia Roth wurde als Parteivorsitzende wiedergewählt - und konnte ihr Ergebnis verbessernBild: AP

Ein "dunkler Fleck" in der ansonsten erfolgreichen Bilanz rot-grüner Regierungspolitik sei die Inhaftierung des Deutschen Murat Kurnaz auf Guantanamo. Hier habe Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) etwas gut zu machen; deshalb sei Deutschland in der Pflicht, Inhaftierte aufzunehmen. Dem ebenfalls sozialdemokratischen Umweltminister Sigmar Gabriel warf Özdemir vor, mehr für die Autolobby als für den Klimaschutz einzustehen.

Als Parteichefin wiedergewählt haben die Grünen Claudia Roth – und zwar mit einem deutlich besseren Wahlergebnis. Beim Parteitag in Erfurt erhielt sie am Samstag 82,7 Prozent der Stimmen. Vor zwei Jahren hatte die heute 53-Jährige 66,5 Prozent erhalten. Roth, die langjährige Erfahrung an der Parteispitze hat, wurde ohne Gegenkandidatin gewählt. In der Doppelspitze der Grünen steht die emotional und kämpferisch agierende Roth für die Parteilinke.

Claudia Roth gestärkt

Bei ihrer Bewerbungsrede sagte Roth, sie habe ihre Visionen nie aufgegeben und wisse, dass langer Atem nötig sei. "Wir Grünen verändern das Land." Sie stehe für eine Partei, die am Atomausstieg festhalte, sich für Gerechtigkeit und Menschenwürde einsetze sowie für ein sozial-ökologisches Investitionsprogramm werbe. "Ich möchte mit unserer Partei grün pur in ein Wahljahr gehen, das hart und schwer wird", sagte Roth. Sie setzte sich für breite Bündnisse gegen Rechtsextremismus und mit globalisierungskritischen Bewegungen ein. Die Grünen stellten sich den Problemen. "Wir ducken uns nicht weg."

Reinhard Bütikofer und Claudia Roth auf dem Bundesparteitag (15.11.2008, Quelle: AP)
Er will vom Parteivorsitz ins Europaparlament wechseln: Reinhard BütikoferBild: AP

Zum Abschluss des Parteitags sollen am Sonntag die beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl bestimmt werden. Die Bundestagsfraktionsvorsitzende Renate Künast und ihr Stellvertreter Jürgen Trittin sind die einzigen Kandidaten. Bis zur Mitte des Parteitags präsentierten sie sich als geschickte Vermittler im Streit um das Tempo der erwünschten völligen Umstellung auf Ökostrom in Deutschland.

Bündnis mit den Linken ausgeschlossen

Beide wollen die Grünen als selbstbewusstes Kraftzentrum in die Wahlauseinandersetzung im September kommenden Jahres führen. Welche Koalitionspartner für die Grünen dabei infrage kommen, halten sie offen. Der Union hält die kleinste Oppositionskraft eine Politik "von gestern" vor. Die angestrebte Ampel mit SPD und FDP hält Trittin derzeit wegen der Schwäche der SPD für nicht sonderlich wahrscheinlich. Ein Bündnis mit den Linken schließt Roth derzeit aus.

Zuvor hatte der Parteitag abermals die Menschenrechte zum Thema gemacht. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, Inhaftierte des US-Gefangenenlagers Guantánamo auf Kuba in Deutschland aufzunehmen. Das Lager sei ein Skandal und müsse geschlossen werden. (mag)