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Gravierende Behördenfehler bei Suche nach NSU-Terroristen

16. Mai 2012

Eine vom Land Thüringen eingesetzte Kommission hat Pannen und Fehler bei der Suche nach der rechtsextremen NSU-Terrorgruppe aufgedeckt. Besonders den Sicherheitsbehörden wird ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt.

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Ex-Bundesrichter Gerhard Schäfer, Leiter der Thüringer Untersuchungskommission zu den NSU-Morden (Foto: dapd)
Bild: dapd

Die Untersuchungskommission um den ehemaligen BGH-Richter Gerhard Schäfer habe "erhebliche handwerkliche und strukturelle Defizite" aufgedeckt, sagte Innenminister Jörg Geibert (CDU) in Erfurt. Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) erklärte, es müsse nun organisatorische Konsequenzen und weitere Änderungen in den Strukturen und Abläufen geben.

Das Gutachten lege "sowohl individuelles als auch strukturelles Versagen schonungslos offen", sagte Lieberknecht und verwies auf "massive Abstimmungsmängel zwischen den Behörden sowie Führungsversagen oder Inkompetenz auf verschiedenen Ebenen". Justizminister Holger Poppenhäger (SPD) sagte, es sei für die Justiz eine Selbstverständlichkeit, sich aktiv an der schonungslosen Aufklärung der Morde des Zwickauer Trios zu beteiligen.

Teilweise chaotische Zustände

In dem 260-seitigen Bericht findet sich massive Kritik an den Sicherheitsbehörden. Es habe sowohl an der notwendigen Abstimmung zwischen Behörden und Justiz als auch an der Auswertung, der Informationsweitergabe, der Dokumentation sowie der Kontrolle gemangelt, sagte Minister Geibert. Mitunter habe es beinahe "chaotische Zustände" gegeben. Zufrieden zeigte sich der Ressortchef, dass weder Beate Zschäpe noch Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt, die dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angehörten, von staatlichen Stellen gedeckt oder gar V-Leute des Verfassungsschutzes gewesen seien.

Der Landesverfassungsschutz soll laut dem Report von Anfang an über "gute Kenntnisse" zum NSU-Trio verfügt haben. Allerdings sei die Auswertung der Erkenntnisse gemäß nachrichtendienstlicher Grundsätze unterblieben. Zahlreiche Meldungen von Informanten hätten den für die Auswertung zuständigen Mitarbeiter nicht erreicht. Die Kommission habe die vorliegenden Informationen erstmals zusammengestellt.

Verfassungsschutz und Polizei in der Kritik

Demnach wäre früh erkennbar gewesen, dass das Trio nach dem Untertauchen 1998 beinahe im Monatsrhythmus über Geldsorgen klagte und später regelmäßig in der Szene nach Waffen anfragen ließ. Ebenso wäre erkennbar gewesen, dass die drei ab etwa November 1999 ihren Geldbedarf decken konnten - vermutlich mit Banküberfällen. Irgendwann habe es genug Anhaltspunkte dafür gegeben, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt eine terroristische Vereinigung seien, sagte Kommissionsvorsitzender Schäfer.

Fahndungsfotos von BKA und LKA auf der Suche nach der Zwickauer Zelle (foto:dpa)
Fahndungsfotos von BKA und LKA auf der Suche nach der Zwickauer TerrorzelleBild: picture-alliance/dpa

Auf Seiten der Polizei konstatierten die Experten, dass die sonst sehr erfolgreichen Zielfahnder des Landeskriminalamtes (LKA) nicht in das Beziehungsgeflecht der rechtsextremen Unterstützerszene eindringen konnten. Für so einen Fall hätte es daher eigentlich eine Sonderkommission geben müssen. Es sei auch "nicht nachvollziehbar", wieso die Spitze des LKA angesichts der anhaltenden Erfolglosigkeit nicht eingegriffen habe.

Katastrophale Aktenführung

Die dreiköpfige Kommission hatte seit November für den Bericht zahlreiche Akten durchgesehen und rund 40 Zeugen befragt. Dabei seien die Unterlagen von "unterschiedlicher Qualität", zum Teil aber "katastrophal schlecht" gewesen, hieß es.

Der Neonazi-Gruppe NSU werden deutschlandweit zehn Morde vor allem an ausländischen Kleinunternehmern zur Last gelegt. Die mutmaßlichen Terroristen Mundlos und Böhnhardt waren im November nach einem gescheiterten Banküberfall in Eisenach tot in einem Wohnmobil gefunden worden. Beate Zschäpe stellte sich der Polizei. Sie schweigt bislang zu den Vorwürfen. Die Bundesanwaltschaft will Zschäpe eine Beteiligung an den Morden nachweisen.

Mit den Ermittlungspannen bei der Untersuchung der Mordserie befassen sich auch Untersuchungsausschüsse im Bundestag und in den Landtagen von Thüringen und Sachsen. Auch in Bayern soll ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden.

gri/SC (dapd, dpa, afp)