Grenzgänger - Künstlerische Identitätssuche in Osteuropa
Werke junger Künstler aus dem östlichen Europa zum Thema "Identität" präsentiert derzeit das Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg.
Dan Perjovschi aus Rumänien
Mit scharfer Ironie kommentiert der rumänische Künstler Dan Perjovschi in seinen tagtäglich entstehenden, schnell hingeworfenen und dabei treffsicheren Zeichnungen die Absurditäten und Zynismen der schönen neuen Welt. Ereignisse aus den Weltnachrichten, die Situation in Rumänien, Strukturen von Rassismus und Sexismus oder die West-Ost- und Nord-Süd-Gefälle werden darin ebenso zugespitzt, wie Dinge, die den Künstler persönlich betreffen, zum Beispiel die Erfahrung von Hierarchien oder Ein- und Ausgrenzungsmechanismen innerhalb des Kunstbetriebes.
Dan Perjovschi aus Rumänien
Auf den ersten Blick fällt die artistische Fähigkeit Perjovschis auf, Karikaturen zu zeichnen; auf der anderen Seite evozieren seine großflächig angelegten Bildteppiche den Eindruck von Installationen. Man liest zwar die einzelnen Witze und dennoch lassen diese unregelmäßig verteilten Zeicheneinheiten ein fast abstraktes Wandgemälde entstehen, das an Bilder von Cy Twombly erinnert. Die Zeichnungen füllen Wandflächen nicht nur von Ausstellungsräumen, sondern auch von Fluren, Funktionsräumen oder gar Toiletten. Wer erinnert sich da nicht an die Strichzeichnungen von George Grosz Anfang der 1920er-Jahre? Einmaligkeit und Vergänglichkeit des Mediums Zeichnung knüpfen zugleich jedoch an Traditionen der Aktionskunst und des Happenings und an den Geist von Fluxus an.
Milena Dopitová aus Tschechien
Die Installation "Sixtysomething" (2003) ist eine Hommage an die Familienbindung der Künstlerin Milena Dopitová. Sie und ihre eineiige Zwillingsschwester schlüpfen in die Rollen von über Sechzigjährigen und tanzen langsam im Regen – dem Alter entgegen. Der Videofilm und die Fotografien vermitteln eine nostalgisch-poetische Stimmung von Vergänglichkeit.
Milena Dopitová aus Tschechien
Große farbige Schmetterlinge – Symbole der Jugend und Schönheit – liegen verstreut am Boden oder hängen wie halbtot an der Wand; leise Musik unterstreicht den Eindruck vom Verrinnen der Lebenszeit – und schließlich auch von der Vergeblichkeit des Lebens. Die Frage nach der eigenen Identität als Zwillingsschwester wurde von Milena Dopitová immer wieder gestellt, allerdings noch nie in der Gestalt des herannahenden Lebensendes.
Oleg Kulik aus der Ukraine
Seit 2000 präsentiert Oleg Kulik in Fotografien aber auch in Performances und Installationen eine Symbiose zwischen Mensch und Hund. Der Hund tritt nicht nur als der beste Freund, sondern als ein gleichwertiger Partner des Menschen auf: Sie lesen gemeinsam Bücher, führen Gespräche, sie küssen und lieben sich, ruhen sich gemeinsam aus. In einigen Performances trat Oleg Kulik selbst als Hund auf: Während einer Vernissage lief er nackt auf allen Vieren, bellte und biss die Anwesenden in die Waden.
Oleg Kulik aus der Ukraine
Die Frage nach der Identität des Menschen im Vergleich zum Tier wird auf mehreren Ebenen thematisiert: Als ein Problem, das der westliche Kunstinteressierte mit der osteuropäischen Kunstszene immer noch hat. Er begreift sie als etwas Exotisches und Naturverbundenes, primitiv, aber natürlich und kraftvoll. Als ein ökologisches Problem, das in der Dominanz des Menschen über die Natur begründet ist und schließlich als eine Karikatur menschlichen Verhaltens, das oft dem tierischen nahe kommt.
Róza El-Hassan aus Ungarn
Die Inspiration für die Performance "Blutspendeaktion" waren Absurditäten, die sich aus dem Vorwurf der Kollektivschuld ergaben. Róza El-Hassan konzentriert sich daher auf die Verwirrung, die durch die Art und Weise entstand, wie die Medien am Abend des 11. September 2001 ein Gefühl der Kollektivschuld heraufbeschworen, das sich auf alle Menschen arabischer Herkunft und muslimischen Glaubens richtete. Auf subjektiver Ebene spielt die Performance mit der Frage: Wie und mit welchem Araberbild soll ich mich nun identifizieren? Die Blutspendeaktion fand an drei Orten statt: Sie begann in Belgrad, ging dann nach Budapest und schließlich nach Zürich.
Anri Sala aus Albanien
Die Fotografien fragen nach dem eigenen Ort in der schönen neuen Kunstwelt. Surreal wirkende Bildmomente destillieren dabei Versatzstücke neuen Mythologien.
Ene-Liis Semper aus Estland
Die Videofilme von Ene-Liis Semper sind Dokumentationen ihrer Performances und Aktionen, in denen sie dezidiert ihren Körper einsetzt. Einmal hängt sie kopfüber in der Luft neben einem roten Seil; ein anderes Mal wird Erde in ihren breit geöffneten Mund hineingeschüttet und eine Blume eingepflanzt. Oder sie schiebt sich eine steile Treppe rückwärts im Liegen hinauf; und nach einer deprimierenden Buchlektion klettert sie auf einen Schemel, um sich aufzuhängen. Alle diese Arbeiten thematisieren heikle, kritische Situationen, in die sich die Künstlerin hineinmanövriert. Absurdität oder Surrealität wird dadurch unterstrichen, dass die handelnde Person eine junge, gut aussehende Dame ist, deren Kopf jedoch militärisch kurz geschoren ist.
Milica Tomic aus Serbien
"Vor die unmögliche Wahl zwischen 'Wunde' und 'gesunden Körper' der Nation gestellt, beschloss ich, privat die Identität einer orthodoxen Serbin zu behalten, während ich öffentlich aus der Position der 'Wunde' spreche. Die paradoxe Entscheidung, öffentlich meine nationale und religiöse Identität zu verleugnen, während sie privat weiterhin ein wichtiger Teil meiner persönlichen Identität ist, verläuft umgekehrt proportional zu einem anderen Paradoxon in der nationalen Identität als solche: Sie ist ein völlig künstlich geschaffenes Produkt, wird aber auf persönlicher Ebene immer noch als ganz natürlich und notwendig erfahren, sodass jede Gemeinschaft imaginär ist, aber nur imaginäre Gemeinschaften sind real!"
Boris Missirkov und Georgi Bogdanov aus Bulgarien
Die Serie basiert auf Interviews von etwa 70 älteren Schülern aus drei Gymnasien in Sofia. Die zentralen Fragen der Gespräche waren "Was willst du werden?" und "Wie sieht du dich in 20 bis 30 Jahren?" Sieben ausgewählte Schüler repräsentieren die Träume und Erwartungen jüngerer Menschen in Bulgarien.
Boris Missirkov und Georgi Bogdanov aus Bulgarien
Die Fotografien zeigen Porträts der Befragten eingebunden in ihre Umgebung. Die Haltung der Portraitierten entspricht den im Text festgehaltenen Aussagen. Sie befinden sich jeweils am Rande eines Lebensraums, der in den Vorstellungen der Befragten für ihre jeweilige Zukunft zur Verfügung steht. Die Fotografien strahlen eine würdevolle Ernsthaftigkeit aus; gleichzeitig jedoch spürt man eine unterschwellige Ironie, die sich vor allem in den leichten perspektivischen Deformationen der Breitwinkelaufnahmen des Raumes äußert. Somit wird die Suche nach der künftigen Identität als ein Weg zwischen rosigen Illusionen und skeptischen Erwartungen beschrieben.