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Griechenland darf nicht zur Blaupause werden

Klaus Ulrich23. Juni 2015

Bis Mittwochabend sollen Experten der Geldgeber die jüngsten Reformvorschläge der griechischen Regierung geprüft haben. Dann könnte eine Entscheidung fallen. Doch Ökonomen verlangen völlig neue Konzepte.

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Symbolbild Griechenland Schuldenkrise
Bild: Getty Images/AFP/A. Tzortzinis

Die Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Geldgebern aus EU-Kommission beziehungsweise Eurogruppe, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) sind am Montag wieder einmal ohne konkretes Ergebnis vertagt worden. Doch zumindest eine Zwischenlösung im Schuldendrama zeichnet sich ab.

Etwas entspannt habe sich die Situation dadurch, dass Athen mit seinen deutlich nachgebesserten Vorschlägen der Position der Europäischen Partner deutlich entgegen gekommen sei, meint Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Gespräch mit der DW. "Am Ende wird es angesichts der drohenden Kulisse eines Grexit, der vor allen Dingen für die Griechen dramatisch wäre, zu einer Lösung kommen." Aber es bleibe trotzdem eine harte Diskussion. "Meine Hoffnung wäre, dass dies dann nicht nur eine Lösung für drei Monate ist, sondern auf mittlere Frist."

Börsen nehmen Einigung vorweg

Die Börsen scheinen diese Lösung schon vorweg zu nehmen. Sie schießen seit gestern in die Höhe. Das gilt für die Aktien. Es gilt aber auch für den Wechselkurs. Der Euro hat seinen Tiefststand, als er der Parität zum US-Dollar entgegen taumelte, lange hinter sich gelassen. Auch das spiegelt die Annahme wider, dass es zu einer Lösung kommt und dass sich am Ende alle zusammenfinden. "Aus meiner Sicht hat das die höchste Wahrscheinlichkeit, weil die These, dass ein Grexit eine schnelle und gute Lösung sein könnte, nur wenige überzeugt", so Hüther. Die Umstellungsprobleme und das anfangs drohende Chaos seien so erheblich, dass man diesen Schritt - wenn irgendwie möglich - vermeiden sollte.

Ein wesentliches Problem sieht der Ökonom in den regelmäßigen Ratenzahlungen, die Griechenland an den Internationalen Währungsfonds leisten muss. Als der IWF vor fünf Jahren ins Spiel kam, hatte Europa keine eigenen Institutionen, keine entsprechende Erfahrungen mit der Krise. Mittlerweile sei es notwendig, die gesamten griechischen Schulden bei einer einzigen europäischen Institution zu bündeln und die Tilgungsfristen in einen einheitlichen Zeitrahmen zu stellen.

Dadurch entstehe auch die notwendige zeitliche Flexibilität, die durch Rückzahlungspflichten an den Währungsfonds und auch an die EZB gestört werde."In beiden Institutionen gehören eigentlich keine griechischen Staatsanleihen, das waren vorübergehende krisenbedingte Maßnahmen", so Hüther. Das sollte man bereinigen. "Deswegen wäre auch hier mein Vorschlag, die griechischen Staatsschulden insgesamt beim Euro-Rettungsschirm ESM zu bündeln."

Spiel zwischen Griechenland und den Europartnern

Für Nicolaus Heinen von Deutsche Bank Research ist eine erneute vorläufige Einigung zwischen Griechenland und den Gläubigern gestern eigentlich schon vorgezeichnet worden. Der Ökonom erläutert gegenüber der DW - fast schon süffisant - das Spiel zwischen Griechenland und den Europartnern. Athen habe sich auf einen scheinbaren Sparpfad begeben, der sich aber in erster Linie aus optimistischen Prognosen zum Primärüberschuss, also dem Haushaltssaldo ohne Schuldendienst, ergebe. Hinzu käme eine Liste "mit mehr oder weniger ehrgeizigen Reformversprechungen, bei der Griechenland von den Forderungen, die die Europartner an das Land seit Dezember gestellt haben, natürlich abgewichen ist".

Eine sanfte Reform des Rentensystems , eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die in erster Linie europäische Touristen in Touristenzentren treffen werde und eine leichte Kürzung bei den Rüstungsausgaben sowie einige Privatisierungen "fasse man auch ins Auge". Diese Vorschläge könnten laut Heinen zwar vorläufig für Ruhe sorgen, bald werde es aber wieder neue Konflikte geben.

Grexit steht überhaupt nicht auf der Agenda

"Es ist das feste Ziel, der Wunsch und Wille der Staats- und Regierungschefs, Griechenland in der Eurozone zu halten. Zu wichtig ist die geostrategische Lage des Landes im Osten des Mittelmeers", ist sich Heinen sicher. Niemand werde auch nur im Traum daran denken, Griechenland wirklich aus der Eurozone auszuschließen. So ein Szenario komme nur in reißerischen Schlagzeilen zum Ausdruck. "Aber das steht wirklich nicht auf der Agenda der Staats- und Regierungschefs in Europa. Griechenland weiß das und entsprechend frech kann es natürlich auftreten."

Heinen befürchtet, dass die Einigung, die man voraussichtlich am Donnerstag erzielen wird, sicherlich gut klingen werde, "dass Griechenland aber, sobald das neue Geld fließt, wieder von den Zielen abweichen wird. Dieses Verhalten ist rational für ein Land, das weiß, dass seine Europartner auf dieses Land nicht verzichten können".

Brüssel Sondergipfel zum griechischen Schuldenstreit
Arbeitsatmosphäre: Sondergipfel zu GriechenlandBild: Reuters/E. Durand

Keine echte Zusammenarbeit

Echte Zusammenarbeit findet aus Sicht des Europa-Experten in der Eurozone nicht mehr statt. "Vielmehr haben die Umverteilungsmechanismen, die wir über die Eurorettungsschirme aber auch implizit über die Europäische Zentralbank sehen, für zwischenstaatliche Begehrlichkeiten gesorgt." Und wo es Begehrlichkeiten und Neid gebe, da versuche der eine dem anderen etwas abzujagen. Das zeige sich auch in den jüngsten Verhandlungen um Griechenland. "Man muss also versuchen - oder zumindest so tun - als ob man für das eigene Land das Beste heraushandelt und sich erst ganz zum Schluss, wenn gar nichts mehr geht, mit den anderen einigen", so Heinen.

"Es ist in der Tat ein großes Problem, dass die Verhandlungslösung mit Griechenland tatsächlich die Blaupause sein wird für zukünftige Schuldenkrisen in Europa", sagt Henning Vöpel, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) im DW-Interview.

Das müsse wir verhindert werden. Deshalb sei es so wichtig, neben der aktuellen Krisenbekämpfung auch eine funktionsfähige Währungsunion zu schaffen, dafür gebe es bereits Vorschläge. Notwendig seien neue Institutionen, um die Eurozone zu stabilisieren. "Wir brauchen womöglich auch politische Visionen, um die europäische Idee neu zu befördern", sagt Vöpel. Es gebe auf Seiten der Politik sehr viel zu tun, damit sich in der Eurozone ein Fall wie Griechenland nicht wiederhole. Aber selbst der muss erst einmal gelöst werden.