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Griechenland im Streikfieber

Jannis Papadimitriou3. Februar 2016

Mit Protestaktionen und Straßenblockaden reagieren Bauern und Freiberufler in Griechenland auf die angekündigte Rentenreform. Ein Generalstreik soll heute das öffentliche Leben lahmlegen.

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Griechenland Landwirte Proteste in Koropi (Foto: EPA/YANNIS KOLESIDIS +++(c) dpa - )
Griechische Bauern streikenBild: picture-alliance/dpa/Y. Kolesidis

So spendabel zeigen sich Streikende nur selten: Direkt vor dem Haupteingang des Arbeitsministeriums in Athen verschenkten Landwirte Obst und Gemüse an Passanten. Ebenfalls vergangene Woche blockierten Bauern wichtige Straßenverbindungen in Nordgriechenland und schenkten den staunenden Reisenden Wein ein. Es lohnt sich nicht mehr, unsere Erzeugnisse auf dem Markt anzubieten: So lautet die eindeutige Botschaft der Aktionen, die bei vielen Griechen für Erheiterung sorgten. Doch am Montag war Schluss mit lustig: Traktoren sammelten sich an den wichtigsten Mautstationen in ganz Griechenland, die Autobahn zum Athener Flughafen und ein Grenzübergang zum Nachbarland Bulgarien wurden gesperrt. Wenige Stunden später stellten die Landwirte sogar ein Ultimatum: Ihre Protestaktionen würden ab Montag (8. Februar) ausgeweitet, falls die Regierung nicht auf die geplante Rentenreform verzichtet. Im TV-Sender Skai sagte ein junger Bauer aus dem Grenzdorf Promachon, der bulgarische Landwirtschaftsminister hätte die aufgebrachten Bauern bereits besucht und versucht zu beschwichtigen. Laut Medienberichten sind auch Protestaktionen an der griechisch-türkischen Grenze geplant.

Schon seit Jahren klagen griechische Landwirte über steigende Produktionskosten und niedrigere EU-Subventionen, über die hohe Steuerbelastung und die Abschaffung einstiger Privilegien. Der Tropfen, der für sie das Fass zum Überlaufen bringt, ist die angedrohte drastische Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge. Selbst bei einem niedrigen Jahresertrag von 5.000 Euro würden die Sozialbeiträge gleich um 873 Euro erhöht. Sollten alle Spar- und Reformmaßnahmen wie geplant umgesetzt werden, müssten Landwirte und gutverdienende Freiberufler auf 80 Prozent ihrer Bruttoeinnahmen zugunsten der Staats- und Rentenkasse verzichten. Die Athener Regierung geht zum Gegenangriff über und behauptet, die Protestaktionen der Landwirte seien fremdgesteuert und durch unlautere Parteiinteressen motiviert. "Das sind doch lediglich Ausreden", sagt Jorgos Tzogopoulos, Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der Athener Denkfabrik Eliamep im Gespräch mit der DW. "Auch in der Vergangenheit hat die Ankündigung einer umfassenden Rentenreform in Griechenland immer wieder heftige Reaktionen ausgelöst - ganz unabhängig davon, welche Partei gerade die Regierung stellte."

Alexis Tsipras telefoniert (Foto: Fotis Vrotsis dpa)
Diesmal richten sich die Streiks gegen Alexis TsiprasBild: picture-alliance/dpa/Fotis Vrotsis

Mehrheit von Tsipras erneut in Gefahr?

Zu den Widersprüchen der griechischen Politik gehört, dass die regierende Linkspartei Syriza den für Donnerstag geplanten Generalstreik durchaus begrüßt. Er diene "der Verteidigung eines öffentlichen, umfassenden und umverteilenden Rentensystems", erklärte die Syriza-Abteilung für Arbeitspolitik am Dienstag und rief die griechischen Arbeitnehmer auf, gegen die Sparpolitik in ganz Europa zu "kämpfen". Mit anderen Worten: Die regierende Linkspartei unterstützt aufs Wärmste einen Streik, den das linksgeführte Kabinett abwehrt und dabei auch noch behauptet, die Streikenden würden instrumentalisiert. Dieser Konflikt zwischen Regierung und Parteibasis wirft erneut die Frage auf, ob Linkspremier Alexis Tsipras seine knappe Mehrheit von 153 der insgesamt 300 Abgeordneten bei einer künftigen Parlamentsabstimmung über die Rentenreform verteidigen kann.

Schon machen Spekulationen über eine Regierungsumbildung oder Neuwahlen die Runde. "Derzeit zögern sämtliche Syriza-Abgeordnete, den umstrittenen Reformmaßnahmen zuzustimmen", sagt Eliamep-Analyst Tzogopoulos. "Je heftiger die Proteste ausfallen, desto deutlicher werden etwaige Bedenken vorgetragen. Aber es ist praktisch unmöglich vorauszusehen, wie sich die Volksvertreter verhalten, wenn es wirklich ernst wird im Parlament - und ob Regierungschef Tsipras einen Plan B verfolgt." Eher zuversichtlich zeigt sich Politik-Analyst Pantelis Kapsis. "In erster Linie verfolgt Premier Tsipras einen ganz konkreten Plan A: Er will nämlich die Sparmaßnahmen mit seiner heutigen Parlamentsmehrheit durchboxen, um anschließend möglichst schnell die Verhandlungen über eine umfassende Schuldenregelung für Griechenland in Gang zu setzen", sagte er im TV-Sender Skai. Die Erwartung, der Linksflügel seiner Partei werde ihm diesmal treu bleiben, sei durchaus realistisch. Anders als im Juli 2015 hätten die Abweichler derzeit keine Alternative, um sich politisch zu betätigen: Keine andere Partei würde sie aufnehmen.

Griechisches Parlament billigt Reformpaket (REUTERS/Michalis Karagiannis)
Das Parlament in Athen hat die Rentenreform gebilligtBild: Reuters

Neuer Trick: "Erweiterung" der Regierungsmehrheit

Doch natürlich hat Tsipras - derzeit im Umfrage-Tief - auch einen Plan B für den Fall, dass die eigene Mehrheit im Parlament schon wieder bröckelt. Und dieser hieße Neuwahl oder "Erweiterung" der Regierungsmehrheit, erläutert Analyst Kapsis.

Darunter versteht man den Versuch des Regierungschefs, sich von der Opposition Unterstützung für konkrete Gesetzesvorhaben zu sichern. Die größte Oppositionspartei, die konservative "Nea Dimokratia", winkt jedoch ab.