1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Griechische Wirtschaft am Scheideweg

Jannis Papadimitriou
14. Oktober 2016

Am Montag soll die zweite Überprüfung des griechischen Reformprogramms beginnen. Linkspremier Alexis Tsipras verspricht eine rasche Umsetzung - und pocht auf Schuldenerleichterungen. Aus Athen Jannis Papadimitriou.

https://p.dw.com/p/2REGM
Symbolbild Griechenland Schuldenkrise
Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Nach der Verhandlung ist vor der Verhandlung: Kaum war die erste Überprüfung griechischer Reformbemühungen abgeschlossen, sollen ab Montag die Kontrolleure der internationalen Geldgeber in Athen eintreffen und erneut die Reformfortschritte des hochverschuldeten Mittelmeerlandes unter die Lupe nehmen. Seit 2010 läuft das dritte an Sparauflagen geknüpfte Hilfsprogramm für Griechenland in Gesamthöhe von 86 Milliarden Euro. Im Rahmen einer ersten Evaluierung leisten die Geldgeber seit Februar bereits 11 Milliarden an Kredithilfen- unterteilt in mehrere, an konkrete Reformen geknüpfte Teiltranchen, die bis Ende Oktober ausgezahlt werden. Die anstehende zweite Überprüfung hat es in sich: Im Gegenzug für neue Kredite sollen die Griechen unter anderem eine umstrittene Arbeitsmarktreform verabschieden, strenge Regelungen für den Umgang mit faulen Krediten einführen und eine Finanzplanung für die Zeit bis 2020 vorlegen. Insgesamt 33 Reformauflagen wollen die Kreditgeber kontrollieren.

Bisher ist Griechenland mit der Umsetzung zugesagter Reformen oft in Verzug geraten. Doch jetzt kann es der linksgeführten Regierung nicht schnell genug gehen: Bis zum letzten diesjährigen Treffen der Euro-Finanzminister am 5. Dezember sind alle Reformen unter Dach und Fach, heißt es in Athen. Von einem angepeilten "Fast-Track-Überprüfungsverfahren" berichtet die Zeitung Kathimerini. Panagiotis Petrakis, Wirtschaftsprofessor an der Universität Athen, zeigt sich jedoch skeptisch. Selbst wenn die Regierung in Athen alles richtig machen würde, gäbe es Schwierigkeiten und Verzögerungen, mahnt der Ökonom im Gespräch mit der DW. Er führt folgendes Beispiel an: "Damit die von den Geldgebern geforderte Finanzplanung bis 2020 tatsächlich zustande kommt, müsste man schon jetzt eine Vereinbarung über mögliche Schuldenerleichterungen für Griechenland treffen - oder zumindest über konkrete Ziele für die notwendigen Überschüsse im Staatshaushalt. Nur dann wüsste man genau, wie viel mehr der Staat einnimmt, als er ausgibt - und ob er dadurch seine Schulden bedienen kann." Doch genau diese Vereinbarung wollen einige der am griechischen Hilfsprogramm beteiligten EU-Staaten vermeiden oder auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.

Griechenland Athen Parlament Alexis Tsipras
Tsipras: "Maßnahmen zur Schuldenentlastung" müssen vereinbart werdenBild: Reuters/A. Konstantinidis

Streit um die Rolle des IWF

Damit hängt auch ein in Athen viel beachteter Streit um die künftige Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF) zusammen. Der IWF meint, die griechischen Staatsschulden seien nicht tragfähig. Er fordert Schuldenerleichterungen für Griechenland als Gegenleistung für seine finanzielle Beteiligung am Rettungsprogramm. Einzelne Euro-Staaten, unter ihnen auch Deutschland, widersprechen der Forderung nach Schuldenentlastungen für Griechenland. In Athen erklärt Regierungschef Alexis Tsipras die Angelegenheit mittlerweile zur Chefsache: Parallel zur zweiten Überprüfung der griechischen Wirtschaft müssten "Maßnahmen zur Schuldenentlastung" vereinbart werden, mahnte er in einer Parteitagsrede am Donnerstag. Zudem müsse Griechenland dem milliardenschweren EZB-Anleihekaufprogramm beitreten. Tsipras erklärte, der unverbindliche Hinweis "zuerst Hausaufgaben machen und dann sehen wir weiter" könne nicht akzeptiert werden - ein Seitenhieb gegen Berlin. Noch gibt es keine Klarheit über die künftige Rolle des IWF: Denkbar wäre auch ein Sonderstatus ohne finanzielle Beteiligung für den Währungsfonds in Sachen Griechenland-Rettung.

Jedenfalls sei es nicht zuletzt für Griechenland wichtig, dass der IWF mit an Bord bleibt, mahnt Wirtschaftsanalyst Nikos Filippidis im TV-Sender Skai. "Für die angepeilte Rückkehr Griechenlands an die Finanzmärkte hat der IWF eine Schlüsselfunktion. Ohne sein Siegel der Kreditwürdigkeit kann sich kaum ein Land am freien Markt finanzieren." Athen stellt für 2017 eine Rückkehr an die Märkte in Aussicht. Spätestens dann soll das Mittelmeerland Wachstumsraten von über 2,5 Prozent vorweisen, verspricht Linkspremier Tsipras. Eine unsichere Prognose, findet Professor Petrakis: "An der Universität Athen nutzen wir ähnliche Analyse-Instrumente wie die EU-Kommission und können derzeit eine derart optimistische Prognose nicht bestätigen. Nach unserer Auffassung könnte die griechische Wirtschaft im Jahr 2017 immerhin um etwa ein Prozent wachsen."

Knackpunkt Arbeitsmarktreform

Für Athen hätte eine IWF-Beteiligung am Rettungsprogramm auch seine Schattenseiten. Denn niemand sonst besteht so vehement auf einer umfassenden Reform des griechischen Arbeitsmarktes. Gefordert wird insbesondere ein lockerer Kündigungsschutz, damit neue Dynamik in den Arbeitsmarkt kommt. Für eingefleischte Linkswähler sind derartige "neoliberale" Rezepte eine rote Linie. Arbeitsminister Jorgos Katrougalos versucht offenbar, Zeit zu gewinnen: Er wolle erst ein anstehendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Kündigungsschutz abwarten und dann einer Arbeitsmarktreform zustimmen. Auch das spricht gegen eine schnelle Umsetzung der Reform in Athen, glaubt Ökonom Petrakis. Es sei nämlich fraglich, ob sich der Europäische Gerichtshof bis zum Jahresende tatsächlich zu einer Entscheidung durchringt.