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Britischer Superstar

Joscha Weber2. August 2012

Die Briten entdecken den Radsport für sich, strömen zu Tausenden an die Strecke der Radwettbewerbe. Schuld daran ist vor allem Bradley Wiggins, Tourgewinner, Olympiasieger und ein sehr spezieller Typ.

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Bradley Wiggins jubelt mit Goldmedaille und Union Jack (Foto: Adam Davy/PA Wire)
Bild: picture alliance / empics

Es dauerte ein wenig, bis Bradley Wiggins realisiert hatte, was gerade passiert war. Ausdruckslos und ohne jede Geste des Jubels war der Brite über den Zielstrich unmittelbar vor dem königlichen Palast von Hampton Court gerollt. Erst Minuten später, nachdem ihm ein Betreuer gesagt hatte, dass er Olympiasieger im Einzelzeitfahren ist, kamen die Emotionen in ihm hoch: Er ballte die Siegerfaust und ließ sich von Tausenden Fans im Zielbereich feiern für einen Sieg mit Ansage. "Wenn ich ehrlich bin, dann geht es um nichts anderes als um Gold", hatte der 32-Jährige, der mit nun sieben Medaillen erfolgreichster britischer Olympionike aller Zeiten ist, selbstbewusst vor dem Rennen verkündet.

Wie deutlich Wiggins dann Zeitfahrweltmeister Tony Martin (+42 Sekunden) und seinen Teamkollegen Christopher Froome (+1:08 Minuten) hinter sich ließ, nötigt Respekt ab. Ihm gelang eine fehlerlose Gold-Fahrt über den 44 Kilometer langen Parcours vor den Toren Londons, auf dem er quasi permanent von lauten "Wiggo, Wiggo"-Rufen angefeuert wurde. An der Strecke der olympischen Straßenradwettbewerbe zeigte sich, was Wiggins und seine britischen Rad-Kollegen bewegt haben: Mehr als eine Million Menschen sollen beim Straßenrennen die Strecke gesäumt haben - Großbritannien im Radsportfieber.

Seine Leistungen sorgen für Euphorie - und Skepsis

Dafür hatte wenige Tage vor dem Olympiastart eben jener Bradley Wiggins gesorgt, der souverän zum ersten britischen Sieg bei der Tour de France gefahren war. Ihm zur Seite stand die britische Sky-Mannschaft, die mit ihrer Dominanz für Aufsehen und Skepsis sorgte. Ein zweiter Platz für Froome sowie drei Etappensiege für Weltmeister Cavendish - solch eine Dominanz hatte es zuletzt durch das deutsche Telekom-Team gegeben. Doch dessen Geschichte hat nach den Enthüllungen um das Dopingsystem an der Uniklinik Freiburg längst einen langen Schatten.

Bradley Wiggins fährt vor Zuschauern zum Olympiasieg (Foto:dpa)
Wiggins siegt im olympischen Zeitfahren und steigt damit endgültig zum neuen Sporthelden seines Landes aufBild: picture alliance / empics

Wiggins, gegen den es bisher keine konkreten Dopingverdächtigungen gab, reagierte gereizt auf den Generalverdacht, mit dem man ihm und seiner Sportart begegne. Auf die Frage eines Journalisten, was er über die Kritiker denke, die Vergleiche zwischen seinem dominierenden Sky-Team und Lance Armstrongs im Dopingzwielicht stehenden US-Postal-Team ziehen, antwortete der Brite: "Das sind beschissene W*****r! Ich geb' mich mit solchen Leuten nicht ab. Das rechtfertigt deren eigene Faulheit, weil sie selbst nichts auf die Reihe kriegen." Eine Eruption des aufgestauten Ärgers. Dabei ist Wiggins sonst ein eher introvertierter Typ, der dem Erfolg mittlerweile alles unterordnet.

Hungern für den Erfolg

Ende 2009 hatte Wiggins' Teamchef David Brailsford die mutige Aussage gemacht, binnen fünf Jahren einen britischen Toursieger zu präsentieren. Er hielt Wort. Mit Wiggins hatte Brailsford genau den Fahrertyp gefunden, den er für sein großes Ziel brauchte: ein gewissenhafter Arbeiter, begnadeter Zeitfahrer und seit seiner Diät auch ein guter Bergfahrer. Für die Tour 2009, bei der der ehemalige Bahnspezialist Vierter wurde, hungerte sich der 1,89-Meter-Schlaks um acht auf 69 Kilogramm herunter.

Aber das war nicht alles, was Wiggins für den Toursieg ändern musste. Denn nicht immer lebte er das asketische Leben eines Vollprofis: Nach seiner Bahnrad-Goldmedaille von Peking trank Wiggins Alkohol, viel Alkohol. Sechs Stunden täglich, erzählt der Mann mit den langen Koteletten heute, habe er nichts anderes getan, als Bier zu trinken. Erst als seine Frau ein Kind erwartete, hörte Wiggins auf. Mittlerweile wohnt "Wiggo" mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in der 4353-Seelen-Gemeinde Eccleston im Norden Englands. Wenn er nicht auf dem Rad sitzt, pflegt er dort seine Sammelleidenschaft, die er selbst mittlerweile eine "Manie" nennt: In der Garage stehen Vespas, im Haus liegt ein von Muhammed Ali signierter Boxhandschuh sowie ein Gitarrenmodell, das schon John Lennon benutzte.

Bradley Wiggins fährt am Arc de Triomphe vorbei (Foto:Christophe Ena/AP/dapd)
In diesem Jahr kaum zu schlagen: Bradley Wiggins feierte als erster Brite am Arc de Triomphe den ToursiegBild: AP

Vater handelte mit Drogen

Obwohl heute ein Familienmensch, erlebte Wiggins selbst keine leichte Kindheit. Er wurde 1980 im belgischen Gent geboren, und schon zwei Jahre später verließ Vater Gary, ein australischer Radprofi, die Familie. In seiner Biografie "Auf der Jagd nach Ruhm" verarbeitete Wiggins seine Erinnerungen an den inzwischen verstorbenen Vater: "Gary hatte im Feld den Spitznamen 'Doc' und nahm nicht nur Amphetamine, sondern dealte auch damit." Seine Mutter erinnere sich noch immer an die Rennfahrer, die vor der Haustüre Schlange standen, um sich mit Pillen zu versorgen, schreibt Wiggins. "Einmal flogen wir gemeinsam nach Australien zu seiner Familie. Auf dem Rückweg schmuggelte er Drogen in meiner Windel nach Belgien."

Trotz allem wurde auch aus Bradley Wiggins ein Radprofi, der mit seinen Siegen bei Tour de France und Olympia in die Fußstapfen seines "Rad-Idols aus Kindertagen" steigt: des Spaniers Miguel Indurain. Dessen Leistungen provozierten zwar den zweifelhaften Beinamen "der Außerirdische", doch er blieb frei von Dopingsperren. Für die neue britische Radsportbegeisterung ist zu hoffen, dass dies auch Bradley Wiggins gelingt.