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Große Koalition: Gemeinsamkeiten und Stolpersteine

Sebastian Schubert19. Oktober 2005

Seit Montag verhandeln Union und SPD über das Fundament für ein künftiges Regierungsprogramm. Gemeinsamkeiten gibt es, sind aber rar. Die Stolpersteine überwiegen.

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Zweckgemeinschaft für Deutschland: Merkel und MünteferingBild: AP

Der Wahlkampf ist vorbei, der Schlachtendonner ist verraucht und die beiden Volksparteien Union und SPD haben sich plötzlich lieb. Sogar das Personaltableau steht bis auf wenige Ausnahmen fest. Nun beginnt die eigentliche Arbeit. Zwei unterschiedliche Wahlprogramme müssen unter einen Hut gebracht werden. Eine "Koalition der neuen Möglichkeiten" soll es in den Worten der designierten Kanzlerin Angela Merkel werden.

Einigkeit in der Innen- und Rechtspolitik

Wohl in keinem Feld sind sich Union und SPD so nahe wie in der Innen- und Rechtspolitik. Ob in der Terrorismus-Bekämpfung, im Ausländerrecht oder in der Zusammenarbeit der Justizbehörden: Hier gab es schon in der Vergangenheit ein großes Maß an Übereinstimmung. Der bisherige Innenminister Otto Schily (SPD) lag mit seinen Forderungen oft näher bei der Union als der eigenen Partei.

Der einzige Streitpunkt: Die Union möchte die Bundeswehr auch im Innern einsetzen, die SPD ist strikt dagegen. Was die sonstigen Aufgaben der Bundeswehr angeht, herrscht Einigkeit: Beide Parteien wollen die Wehrpflicht erhalten und befürworten friedenssichernde Auslandseinsätze.

Einmütigkeit gibt es auch in der Bildungs- und Forschungspolitik: In den Sondierungsgesprächen wurde bereits eine Aufstockung der Investitionen in Forschung und Entwicklung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts beschlossen. Auch in der Kultur- und Entwicklungspolitik gibt es keine Streitpunkte.

SPD Reformen Konferenz Demonstration
Den Kündigungsschutz hart erkämpft: GewerkschaftsmitgliederBild: AP

Knackpunkt Kündigungsschutz

Viel bewegt hat sich zuletzt in der Steuer- und Tarifpolitik: Mit der Beibehaltung der Tarifautonomie und dem Erhalt der Steuerfreiheit der Nacht- und Feiertagszuschläge hat die Union schon in den Sondierungsgesprächen deutliche Zugeständnisse an die SPD gemacht. Strittig ist aber weiterhin der Kündigungsschutz - für die SPD ist die Beibehaltung ein Kernpunkt; die Union würde ihn gern in bestimmten Bereichen lockern.

Differenzen gibt es auch beim Spitzensteuersatz. Möglicher Kompromiss in dieser Frage: Alles bleibt beim Alten. Ein anderer dicker Brocken ist die Mehrwertsteuer. Die CDU trat im Wahlkampf für eine Erhöhung von 16 auf 18 Prozent ein, um die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von derzeit 6,5 auf 4,5 Prozent absenken zu können. Letzteres würde auch die SPD begrüßen; allerdings hatte sie sich im Wahlkampf klar gegen eine Mehrwertsteuererhöhung ausgesprochen. Die Finanzierung ist somit offen.

Steuererklärung auf Bierdeckel
keine Chance mehr: Steuererklärung auf dem BierdeckelBild: dpa

Vereinfachung ja, Entlastung nein

Große Sprünge sind angesichts der schwierigen Haushaltslage sowieso nicht zu erwarten, zumal Union und SPD spätestens 2007 wieder die EU-Defizitgrenze von drei Prozent einhalten wollen. Ohne einen massiven Sparkurs wird das nicht gehen. Möglich ist daher, dass die Union einem Wegfall der Eigenheimzulage zustimmen wird. Die Pendlerpauschale wird dagegen wohl nicht zur Disposition stehen.

Eine große radikale Steuerreform wird es vorerst nicht geben; auf der Agenda steht eher eine Vereinfachung als eine Entlastung. Auf letztere dürfen allerdings die Unternehmen hoffen: Schon im Mai hatten Union und SPD sich auf dem Jobgipfel in der Frage der Unternehmenssteuersenkung angenähert. Das Thema dürfte unter dem künftigen Wirtschaftsminister Edmund Stoiber (CSU) schnell wieder aufgegriffen werden.

Flankiert werden könnte die Entlastung durch ein Infrastruktur-Investitionspaket, das im Verkehrsministerium angesiedelt ist. Ein weiteres Thema bei den Koalitionsverhandlungen dürfte der Subventionsabbau sein. Hier könnten die Ergebnisse der Arbeitsgruppe aufgegriffen werden, die unter Peer Steinbrück (SPD) und Roland Koch (CDU) erarbeitet worden waren.

Rentner protestieren gegen eine mögliche Kürzung ihrer Rente
Werden immer mehr: Rentner in DeutschlandBild: AP

Zeitbombe Rentenkasse

In der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik kommt auf die Verhandlungspartner viel Arbeit zu. Die Union möchte die ich-AG's abschaffen. Beide Fraktionen wollen beim sogenannten Arbeitslosengeld II (Hartz IV) unterschiedliche Nachbesserungen durchsetzen. Doch das Wahlkampfthema Nummer eins bleibt davon unberührt: Eine Senkung der Arbeitslosigkeit könnte man durch eine spürbare Senkung der Lohnnebenkosten erreichen, doch gilt das derzeit als unfinanzierbar.

Lediglich eine Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent kommt in Betracht, hängt aber - wie gesagt - aller Voraussicht nach vom Umgang mit der Mehrwertsteuer ab. Handlungsbedarf besteht in der Rentenpolitik. Dort drohen mittelfristig höhere Beiträge und langfristig der Kollaps der Rentenkassen. Auf die alternde Gesellschaft haben beide Parteien kaum Antworten. Eine Anhebung des Renteneintrittsalters stößt jedenfalls weder bei der SPD noch bei der Union auf Gegenliebe. Zu erwarten ist eher eine Ausweitung der privaten Altersvorsorge.

Atomkraftwerk in Frankreich - Bugey
Streitpunkt AtomausstiegBild: AP

Atomkraft: Ausstieg aus dem Ausstieg?

In der Umwelt- und Energiepolitik beharrt die SPD auf dem Atomausstieg und auf der weiteren Förderung alternativer Energien. Die Union hatte sich im Wahlkampf für längere Laufzeiten der Atomkraftwerke ausgesprochen. Beim Verbraucherschutz möchte die Union die "ökologische Wende" von Rot-Grün relativieren. Meinungsverschiedenheiten gibt es auch im Bereich der Gentechnik.

In der Familienpolitik wollen beide Parteien Veränderungen, allerdings auf unterschiedlichem Weg. Die Union plädiert für einen steuerlichen Freibetrag für jedes Kind; die SPD favorisiert ein einkommensunabhängiges Elterngeld. Über beide Vorschläge soll verhandelt werden.

Zoff in der Gesundheitspolitik vorprogrammiert

Zäh dürften die Verhandlungen in der Gesundheitspolitik werden. Hier liegen SPD und CSU möglicherweise näher beieinander als die beiden Unionsparteien untereinander. Während die CDU im Wahlkampf eine einheitliche Gesundheitsprämie für jeden Bürger forderte (Kopfpauschale), befürworteten die Sozialdemokraten und führende Sozialpolitiker der CSU eine Bürgerversicherung bzw. einen einkommensabhängigen Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag.

Beide Lager werden sich wohl im Laufe der Verhandlungen von ihren Plänen verabschieden müssen. Im Gespräch ist eine Festschreibung des Arbeitgeberanteils an den Versicherungsbeiträgen.

Weitgehende Einigkeit in der Außenpolitik

Weniger Konfliktstoff dürfte es in der Außenpolitik geben; hier setzen beide Parteien auf Kontinuität. Die "Achse" Berlin-Paris-Moskau dürfte dennoch künftig keine große Rolle mehr spielen. Angela Merkel hat wiederholt betont, ihr liege es an guten Beziehungen zu den USA und zu den osteuropäischen EU-Ländern. Aus dem Streit über einen EU-Beitritt der Türkei ist nach der Aufnahme der Verhandlungen erstmal die Luft raus.

Föederalismus Gespräche Stoiber und Müntefering
Wollen die Föderalismusreform erneut in Angriff nehmen: Stoiber und MünteferingBild: AP

Das Pfund, mit dem eine große Koalition wuchern kann, ist die Föderalismus-Reform. Hier wird es wohl zügig zu einer Einigung kommen. Nicht ohne Brisanz ist, dass ausgerechnet das Vorgängermodell, nämlich die erste große Koalition (1966-1969), die unübersichtlichen Verflechtungen zwischen Bund und Ländern und die dazugehörige Bürokratie geschaffen hatte.